Elontril 4 – 7: Das VorsichtigDieArbeitWiederaufnahmeJournal, nämlich des Mittwochs, dem 16. März 2016.


[Roter Tisch, 9.35 Uhr]

Nebenwirkungen wie gehabt: ab frühen Nachmittag Zittrigkeit, zum Teil stark, jedenfalls auf dem Fahrrad. Nicht ganz ungefährlich, wenn ich, wie hier, das Rad nicht kenne. So gestern auf der Fahrt zu Do, die meine Selbstdiagnose einleuchtend findet, aber mir sofort einen Termin bei einem ihr bekannten und von ihr geschätzten Psychiater gemacht hat. Normalerweise muß man ein Vierteljahr warten – so lange sind die Listen. Nun werde ich schon morgen um 15 Uhr dortsein. – Weitres: hin und wieder etwas Gejucke und ganz leichte Anflüge von Übelkeit: möglicherweise eine Kreislaufwirkung. Die Depression aber ist weg. Ich bin zwar nicht wirklich hochgelaunt, aber habe schon wieder nach den Gedichten gesehen, sogar etwas dran getan.
Gestern dachte ich, und sagte es der Löwin so: ‚Vielleicht fühlen sich die meisten Menschen so wie ich jetzt, gleichmütig, abwartend, ohne diesen ständigen Produktivitätsdruck, ohne die dauernde Spannung.‘ So lese ich zum Beispiel ‚einfach vor mich hin‘ – den Melville im ICE zuendegelesen, im Zwischengang am Boden hockend, weil der Zug derart voll war. Und Thomas Kunsts neuen Roman begonnen: >>>> Freie Folge:


Ein in Wiederholungsspiralen gebauter Text, der genau deshalb etwas Mahlstromartiges hat, das einen in diesen Strudel hineinzieht. Noch keine Ahnung, worauf die Handlung hinausläuft, aber vorgewittriges Fühlen: ein Ungeheures, das sich in banale Abläufe tarnt. Genau deshalb dämonisch.
Bei >>>> Kunst war ich von Montagnacht auf Dienstagmorgen zu Gast, nach meiner erstaunlich besuchten >>>> Lesung in Leipzig. Ich hatte befürchtet, vor drei bis fünf Leuten zu sitzen, ja war, bevor ich die Tabletten einnahm, versucht gewesen, die Lesung abzusagen. Nun fand sich ein gutes, aufmerksames Publikum beisammen, in einem zudem sehr schönen Raum. Und fein war‘s, >>>> Jörg Schieke zu begegnen, der unterdessen Redakteur beim mdr ist.
Wiederum der WDR wird Ende April eine Woche lang aus >>> Traumschiff lesen lassen, täglich zwölf Minuten, am die Woche abschließenden Sonnabend als Block Wiederholung der fünf Lesungen. Vermutlich werde ich selbst sprechen (aber mein Wunsch‚kandidat‘ wäre >>>> Matthias Brandt gewesen).
Lange mit Kunst in die Nacht gesprochen; irgendwann fuhr er Gintonic auf, was ich überhaupt erst am nächsten Morgen wirklich realisierte; aber um sechs war ich schon hoch und las in der Küche.
Sich sagen: es ist nicht schlimm, wenn ich derzeit nicht schreibe. Es ist einfach so, laß es gehen. Gleichmütig sein. Seltsam.
Ich habe den Eindruck, mein Körper hat auf dem chemischen Wege des Geistes STOP gesagt: leise, aber eindringlich. Hier darüber hinaus geht es einstweilen nicht. Gib es Dir zu, daß Du derzeit nicht weiterkannst, gönn Deinem Geist meine Ruhe. Und er setzt mich still – für den Fall, daß ich mich wehre, bzw. mich zu wehren versuche. Anstell‘ ihm zuzuhören. (Selbstverständlich >>>> hat Gogolin recht, und räumliche Entfernung täte mir gut; auch Do sagte gestern „fahr in die Sonne!“, doch es ist kein Geld dafür da). Kunst wiederum möchte, daß ich die Triestbriefe zuendebringe, aber dazu die Kraft habe ich nun g a r nicht; außerdem müßte ich dafür wenigstens eine Woche in Triest verbringen und vor allem die slowenische Grenze abfahren, um Lenzens Grenzhaus zu finden.
Ich werde auch nicht zur Leipziger Buchmesse reisen, die morgen beginnt. Dabei hat mir UF die Eintrittskarten geschickt. Aber ich würde den Betrieb nicht ertragen:
… – denn nicht ein Mann in fünf Zeitaltern wird, wenn er weise ist, anerkennende Wertschätzung von seinergleichen oder von sonst jemandem erwarten. Wertschätzung! Anerkennung! Findet Gott Anerkenung? Wo wäre denn einer seit Adams Zeiten gewesen, der den Sinn Seiner großen Allegorie, dieser Welt, erkannt hätte? Also müssen wir Pygmäen damit zufrieden sein, daß unsere papierenen Allegorien nur schlecht verstanden werden.

Melville an Hawthorne, Ende 1851
Doch auch die Elve, die hinfährt, ertrüge ich nicht, sie vielleicht am wenigstens, jetzt, da auch Ciane hinweg ist.
Der innere Kampf, den ich führe, den es in mir führt, ist einer gegen Akzeptanz, damit auch gegen Resignation, wer gewinnt, noch lang‘ nicht heraus. Übrigens habe ich >>>> Friedrich II wieder vorgenommen. Ich muß >>>> den Stern noch einmal lesen; erst danach werde ich entscheiden können und entscheiden. Vorher, in jedem Fall, sind die Triestbriefe fertigzuschreiben und davor noch die Brüste der Béart: doch ohne meine innere Hymnik wird‘s mir versagt sein. Also erstmal raus aus dem Loch. Und wie gut, daß mir die Löwin zur Seite steht. Und auch Do und die Freunde passen auf mich auf, sind wachsam, ohne zu bedrängen. Und von Leser:inne:n immer wieder die Nachricht, wie schön das Traumschiff sei. Ich sauge so etwas auf wie ein ausgedörrter Schwamm.

ANH

2 thoughts on “Elontril 4 – 7: Das VorsichtigDieArbeitWiederaufnahmeJournal, nämlich des Mittwochs, dem 16. März 2016.

  1. Akzeptanz vs. Resignation Genau dort liegt m. E. wenigstens einer der Hunde, vermutlicher Pudel in Schwarz, begraben: beides nicht über einen Kamm zu scheren – die Gleichsetzung wäre ein schwerwiegender Denkfehler.

    Akzeptanz: bewusstes Anerkennen, dass etwas bestimmtes existiert – und möglicherweise auch nicht so rasch verschwindet – heißt noch lange nicht: sich damit abzufinden. Ich kann etwas vollkommen akzeptieren, ihm aber sehr wohl vehement widersprechen. Ein Problem, das ich nicht akzeptiere, kann ich nicht lösen – Akzeptanz ist notwendige Voraussetzung für einen bewussten und produktiven Umgang; dafür, sich _nicht_ unterzuordnen (und sich idealerweise gleichzeitig auf den Bereich der _Selbstwirksamkeit_ zu konzentrieren, das heißt: der Autonomie). Ergo: das ziemliche Gegenteil von Resignation. (Notabene: im spezifischen Kontext «Depression», also einem primär psychotherapeutischen)

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