Fahrräder und Trollmaschinen. Sowie von Gedichten und einem rebellischen Bauch. Im Arbeitsjournal des Dienstags, dem 3. Mai 2016.


[Arbeitsjournal, 6.24 Uhr]

Harte Nacht. Offenbar habe ich die Spargelsuppe, die ich mir gestern zubereitet hatte, nicht vertragen. Vor Bauchkrämpfen kaum geschlafen. Zwar schon kurz nach Mitternacht zu Bett, aber nur herumgewälzt. Um fünf, genervt, das erste Mal auf. Es aber noch mal versucht und um Viertel vor sechs Uhr aufgegeben.
Der Magen brennt immer noch. Leichter Säurerückfluß dazu.
Und brennende Beine. Denn gestern das Lauftraining wieder aufgenommen, nach einer „Pause“ von fast einem, gefühlt, Vierteljahr. Neun Kilometer Friedrichshain in knapp einer Stunde. Zwei Stunden später ging ich wie auf Eiern.
Dennoch. War wunderbares Laufwetter. Auch, wenn ich dachte: Du fällst schon w i e d e r herein, trainierst dich abermals für eine Hoffnung, deren Saldo Vergeblichkeit heißt. – Ich lief drüber weg, war dann ganz gut drauf, aber in einem Telefonat, einige Zeit danach, kam die Rede abermals auf den Mainstream und daß, wer Erfolg haben wolle, taktisch sein müsse. Das zog mich wieder hinab.
Denn da hat offenbar mein Fehler gelegen, daß ich‘s nie sein wollte. Die Grenze zur Korruption ist zu unscharf. Ich habe mein Lebtag statt dessen versucht, ehrlich – das heißt: offen – zu sein, und mich nie gebeugt. Sowas schrappt am Konsens.
Immerhin wehrt sich mein Körper wieder, begehrt wieder auf, anstelle sich zu ergeben wie in den vergangenen Wochen, ja fast Monaten, zweien oder dreien. So kann man die Bauchkrämpfe auch sehen. Dann haben sie was Gutes. (Bin gespannt, ob sie dieser Gedanke jetzt psychosomatisch ausschwemmt).

Einige der Gedichte überarbeitet, ja, einige gleich. Das ging mir ziemlich flüssig von der Hand. Las der Löwin ein paar vor. Sie fand sie gelungen, „auch wenn sie wahrscheinlich den Mainstream verfehlen“.
Wer liest denn Gedichte? Im Prinzip nur die Szene. Ein wirkliches Publikum haben sie schon lange nicht mehr. Ich las, daß es auch so gut wie keine deutschen Jazzmusiker:innen gab, jemals, die von ihrer Kunst leben konnten, geschweige denn heute können. Selbst >>>> Eberhard Weber, den ich immer als internationalen Starbassisten sah und der’s wohl auch ist, bzw. war, habe seine Existenz nur mit Lehraufträgen finanzieren können.
Gedichte liest allein die Szene, und die hat ihre eigenen schon festen Geschmacks- und Konstruktionsstandards. Publikumsgedichte sind seit Rilke nicht mehr entstanden… das heißt: doch:: Sie wurden von Liedermachern geschrieben und hielten vor der Szene, wär nicht die meist simple Musik, nicht stand. Es ist das Einfache, oft kompositorisch sogar Banale, eben ihrer eingängigen Melodien, was sie in deren Augen adelt. Schon bizarr.

Heftiger Trollangriff, seit gestern nachmittag, auf Die Dschungel: in englischer, bzw. US-amerikanischer, meistens verstümmelt-absurder Sprache. Nach jeder Löschung, händisch, klar, standen schon wieder zweidrei neue Kommentare drin – bis ich mich entschloß, die anonyme Kommentarfunktion auszuschalten. Daß seither Ruhe ist, spricht für eine Maschine.
Irgendwann im Lauf des Tages werde ich die Funktion wieder einschalten und gucken, ob‘s bei der Ruhe bleibt.

Weiter mit den Gedichten. Schön geworden, gerad in dieser Schlichtheit, ist, glaube ich, dies:

Nun bist du wieder da

Trägst eines andren Kind,
sagst, es ist nicht von dir,
doch nimm es dir von mir.
Sagst, daß wir eines sind.

Ich kann nichts sagen, kann nur raunen:
Seid mir, ihr zwei, willkommen.
Die ganze Straße ist benommen
von meinem fassungslosen Staunen.

Nun bist du wieder da


Es wird aus dem Jahr 2006 stammen, die Erstentstehungszeit ist, ungewöhnlich für mich, nicht notiert. Jedenfalls dachte ich heute früh, es sei vielleicht unklug, tatsächlich alle noch nicht veröffentlichten Gedichte in einem Band zusammenzufassen; vielleicht sollte ich mich eher für eine schmale Auswahl entscheiden, der ein, sagen wir, halbes, vielleicht auch ganzes Jahr später die nächste folgt. Vielleicht guck ich zu sehr auf, quasi, Gesamtausgaben, die doch immer schon was Endhaftes, bzw. Beendetes an sich haben, also – im fatalen Sinn – Endgültiges. Ist ein Buch als „Sämtliche Werke“ bezeichnet, ist sein Autor tot.
Mein „Problem“ ist aber, daß ich dann meine Schriften gar nicht alle veröffentlichen kann; es sind schlichtweg zu viele, um sie zu streuen. Gut, ich habe Die Dschungel.

Ich dachte beim Laufen außerdem, daß ich, wenn sich der Depression schon nicht ausweichen lasse, diese Welt lieber als ein hagerer, denn als ein fetter Dichter verlassen wolle, und auch auf Alkoholismus habe ich keine Lust. Wobei auch das eine ästhetische Position ist, nicht etwa eine der guten Gesundheit oder gar eine moralische. Ästhetik als Ausdruck von Stolz.
Insofern werde ich heute abermals laufen, trotz Muskelkaters; aber die Bauchkrämpfe sollten aufgehört haben, gekrümmt rennt es sich nicht gut.

Zumal allerdings welch eine Freude, meinen Sohn zu erleben, nun mit erster fester Freundin. Die beiden gehen nebeneinander, er ein Stückerl größer als sie, und ich denke, da ist nun die nächste Welt. Und der Zwillingsbub hat das Fahrrad bekommen, das ich, schaun Sie mal >>>> dort um 13.15 Uhr, vor fast elf Jahren meinem nun Großen geschenkt hatte. Wie sich die Bilder gleichen:


2005

2016


Wir haben das Rad, das bestimmt fünf Jahre lang im Keller gewartet hat, instandsetzen lassen. Nu‘ sindse beide stolz: der große & der kleine Bruder. – Meine Güte, die Zeit!

ANH

P.S.:
Die Traumschifflesungen der vergangenen Woche sind beim WDR noch bis Ende dieses Monats >>>> als Podcast abrufbar.

3 thoughts on “Fahrräder und Trollmaschinen. Sowie von Gedichten und einem rebellischen Bauch. Im Arbeitsjournal des Dienstags, dem 3. Mai 2016.

  1. WDR Podcast Danke für den Link zum Podcast, so hört man alles kompakt. Sehr schön, wie Sie lesen, die richtige Satzmelodie, die richtige Betonung. Das intensiviert das Verstehen. Man kann es immer wieder hören. Und fühlt, wie Sie mit Ihrem Text verbunden sind. Fein dazu die Klänge im Hintergrund. Haben Sie diese ausgesucht?

    1. @Cellofreund. Ja, die Töne stammen auch direkt von der seinerzeitigen Keuzfahrt; sie hinzuzumischen, war meine Idee. “Normaler”weise ist derartiges bei dieser Sendereihe unüblich, wurde eventuell sogar überhaupt noch nie gemacht. Das hat auch rechtliche Gründe: Mit solchen Tönen gilt eine Tondatei nämlich als Bearbeitung, was Honorarfolgen hat und einer vorherigen Genehmigung des Verlages bedarf. Weil ich in diesem Fall auch die Nähe zu meinem >>> Hörstück betonen wollte, habe ich von mir aus beim Verlag interveniert. Ich meine aber auch prinzipiell, daß die Arbeit mit zusätzlichen Tönen dem Medium Rundfunk viel mehr entspricht als eine pure Vortragsstimme.
      (Die gelesenen Stellen sind übrigens gekürzt, also nicht textidentisch mit dem Buch, damit die Episoden trotz der vorgegebenen je elf Minuten in sich abgeschlossene sein konnten. Für die Gesamtausstrahlung war dann abermals etwas zu kürzen, weil der Sender hernach fünf Minuten für den Trailer einer anderen Sendung brauchte.)

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