Sprühend vor Leben! ACTs Piano Night: ein Pianistengipfel. Leszek Możdżer, Iiro Rantala und Michael Wollny in der Berliner Philharmonie. Jazz at Berlin Philharmonic XIII: am Dienstag, dem 31. Mai 2016.




Es hatten sich die dreie wohl geeinigt, den Affen Zucker zu geben, so daß der eines Tages wahrscheinlich legendär werdende Jazz at Berlin Philharmonic-Abend in eine Virtuosen-, ja, –Show, muß man wohl sagen, aus-, muß man sagen, –artete. Das war lustig und bekam die standing ovations, auf die sie auch abzielen sollte. So wird man wohl erst im Nachhören, wenn die Live-CD, hoffentlich bald, vorliegen wird, die musikalische Finesse voll erfassen können, die improvisationskompositorisch auch die als Trio gespielte Zugabe ausgezeichnet hat. Für die Musik selbst wäre es nicht nötig gewesen, fliegend im Flirt-à-trois die Klaviere zu wechseln, auch nicht, daß der eine mit der rechten Hand auf der Klaviatur des anderen mitspielt und dieser mit der linken auf der des ersten- und der dritte springt herbei und übernimmt den Part des zweiten. All sowas macht viel Freude, gehört aber, streng genommen, eher in einen Circus als in den Konzertsaal.
Doch Strenge war nicht angesagt; immerhin galt es, mehr als zweitausend Leute von den Stühlen zu reißen, darunter auch solche, die gewiß nicht zu Stammhörern des Jazz‘ gehörten, sondern sie waren, und hier zu recht, dem unterdessen massenmobilierenden Ruf der Events gefolgt; andererseits saßen im Publikum nur sehr wenig junge Leute, die meisten mochten zur HochZeit des europäischen Jazz jung gewesen sein, in den Sechzigern und Siebzigern also, bis etwa Mitte der Achtziger. Nicht dies, ihre seinerzeitige Jugend, sondern der Umstand selbst ist ein bißchen zu bedauern, daß die jazzguten Zeiten vorüber zu sein scheinen. Dennoch dampfte dieser lebenssprühende Abend kein Fähnlein Nostalgie aus.

Mit seinen virtuos-verspielten, das Konzert witzig einleitenden Improviationen auf Bernsteins Candide-Ouvertüre gab Iiro Rantala die Stimmung und vor allem das Tempo gleich vor, das den subjektiven Eindruck allenfalls einer Konzertstunde vermittelte. Mit Ausnahme von Lars Danielssons Africa aus dem Jahr 2008 und wenigen Passagen in Wollnys Wandererfantasie von 2005/2015, sowie Chris Beiers wunderschönem „White Moon“ (2007 – zwei Weingläser stehen umgekehrt auf den Saiten, die so, angeschlagen, sehr helle und ungefähre Flageoletti miterzeugten; neben Danielssons Komposition mein entschiedenes Lieblingsstück des Abends) – favorisierten Leszek Możdżer, auch Michael Wollny und sowieso Rantala das Presto; sehr innenkonzentrierte Musik, wie sie den späten Jarrett kennzeichnet, war nicht angesagt; ein wenig war‘s, als führte man vor, was man technisch kann – und dem sind allenfalls wenig, wahrscheinlich sogar gar keine Genzen gesetzt. Es wurde also, wie‘s nur geht, brilliert. Dabei wirkten Wollnys Stücke als dramaturgisch am tiefsten durchgehört – enorm ohrendeutlich übrigens der Einfluß des experimentellen Franz Liszts –, zumal er, Wollny, als erster auch den Innenraum der Klaviere nutzte; später tat dies Możdżer gleichfalls, und unversehens befanden wir uns in den verschoben-freien Tonalitäten des präparierten Klaviers und also außerhalb der gängigen Dur-moll-Räume mitten in der, fast muß man sagen: vergangenen Moderne. Das wurde dann besonders reizvoll, wenn die drei in ihren Duos und Trios spielten – eine ganz sicher nicht unbewußte Hommage an Petruccianis „100 Hearts“ von 1984, der dazu, Petrucciani, überdies pfiff:


Ich war mir aber nicht immer sicher, inwieweit sich der wirksame Effekt über die Essenz der Musiken stülpte, besonders bei Wollnys Wanderer, und bei derZugabe sowieso, diesem ausgelassen-hinreißenden Fandango, das Rantala denn auch mit einem clownesk gerufenen Olé beschloß. Daß bei den Soli je die anderen beiden Pianisten nach Flamencoart den Rhythmus klatschten, verwies abermals auf Petrucciani. Indes, vom eigentlichen Programm hängengeblieben – neben den schon genannten Stücken – sind mir besonders Możdżers von Anfang an mit Dissonanzen gleichsam impressionistisch spielendes She said she was a painter von 2013, Komedas allerdings schon fast vierzig Jahre altes Svantetic – vielleicht das konzentrierteste Stück des gesamten Konzertes – und die abschließende Improvisation auf Gershwins Summertime aus Porgy & Bess, bei der die persönlichen Handschriften jedes Pianisten – Rantala etwa betont gravitätisch die Themen – gleichsam in nuce vorgeführt wurden, bevor sie sich ineinandermischten – synkretistisch, nicht eklektizistisch, wie, meines Dafürhaltens nach falsch, das Programmheft behauptet. Richtig ist freilich, daß sich alle drei Pianisten nicht scheuen, das auch nicht sollten, ihre Inspirationen aus jedem Genre herzunehmen, das ihnen unterkommt und -kam. So kann es geschehen, daß ein ästhetisch ziemlich banaler „Song“ wie >>>> John Lennons Just Like Starting over zum Material großer Musik wird; zum Beispiel gestern bei Rantala. Freilich ist so etwas weder neu noch müßte es das sein, sondern war schon in der sogenannten Klassischen Musik gang und gäbe: Man nahm sein Material aus dem V/Folk und nimmt es heutzutage logischerweise aus dem, vor allem, Pop. Es ist geradezu eine liebensspöttische Ironie der Musikgeschichte, daß auf diese Weise selbst Leute wie ich, die den Pop nicht ausstehen können, weil sie das Gefühl haben, man stopfe ihnen permanent Buttercreme in die Ohren, eine abgefeimte Methode „soften“ Folterns – daß also selbst Leute wie ich ihn plötzlich genießen können – und wirklich hinhören können auf das, was gemeint gewesen war. Für mich persönlich ein irrer Gewinn.

Die Reihe Jazz at Berlin Philharmonic begann im Dezember 2012 mit einem Konzert als, erst einmal, Versuchsballon. Und zwar mit eben diesen drei Pianisten:


Kann ein Ballon „einschlagen“? Eigentlich nicht. Dieser tat‘s. Und viele der seitdem beteiligten Jazzmusiker, die allerdings in ihren Heimatländern meist schon bekannt waren, hat er fast unmittelbar nach ihren Berliner Konzerten in den auch internationalen Ruhm getragen. Der des Hauses, eben der Berliner Philharmonie, dürfte daran einigen Anteil haben – und somit daran, daß es um die Wahrnehmung des Jazz offenbar doch nicht so trübe bestellt ist, wie es seit zwei Jahrzehnten aussieht. Dank also an den Intendanten und der Stiftung der Berliner Philharmonie; Dank aber auch an >>> ACT. Das auf neuen Jazz spezialisierte Unternehmen scheint die tragende Rolle übernommen zu haben, die im Europa der Siebziger und Achtziger >>>> ECM innehatte. Möge sich der Erfolg damit messen können!
Wie auch immer, nun jedenfalls holte man die drei Pianisten abermals, um ein der Zahl nach ungewöhnliches Jubiläum zu begehen: Üblicherweise steht die 13 ja eher für Unglück. Wer allerdings die Hintergründe kennt, sieht dies anders. Es war die alte matriachale Jahresmonatszahl (13 x 28); die Christianisierung schlug das ebenso nieder, wie der Teufel seine Hörner bekam, die wiederum für den ab- und zunehmenden Mond standen und damit ebenfalls matriachal kommotiert gewesen sind. Damit machte das Patriachat, den Sexus diffamierend, Schluß. Vielleicht wissen sie es nicht, aber Leszek Możdżer, Iiro Rantala und Michael Wollny haben dem nun, unter überbordendem Jubel des großen philharmonischen Saales, lustvoll etwas entgegengesetzt, es gleichsam, wenn auch nur für diesen Abend, zurückgenommen.
Auch darum sei, wer nicht dabeiwar, betrübt.

JAZZ AT BERLIN PHILHARMONIC XIII
Piano Night

Leszek Możdżer
Michael Wollny
Iiro Rantala

Montag, der 31. Juni 2016

Die bisherigen Konzerte sind als CDs >>>> dort zu beziehen.



                                                                                        

2 thoughts on “Sprühend vor Leben! ACTs Piano Night: ein Pianistengipfel. Leszek Możdżer, Iiro Rantala und Michael Wollny in der Berliner Philharmonie. Jazz at Berlin Philharmonic XIII: am Dienstag, dem 31. Mai 2016.

  1. (Wie das wirkt. Also ich höre von Rantala und hab es schon vorher im Programmheft gelesen, er improvisiere auf Lennons Just Like Starting Over. Dann höre ich mir hinterher die Vorlage an, höre aber immer Rantala mit – so daß ich verstehe, was Material ist und wie sich ein jedes verwandeln läßt. Es geht genau das mit ein, was Rantala gehört hat, also seine Wahrnehmung des Lennonstücks, die zu dem Stück sowieso – sowieso durch jeden Hörer – hinzukommt und das subjektive Erleben überhaupt erst werden läßt. Deshalb, wahrscheinlich, spielt die objektive Güte (oder Banalität) eines Stückes gar keine Rolle, sondern nur seine Interpretation durch den Rezipienten. Ist er Künstler, materialisiert er sie – und dann kann aus einem noch so banalen, beliebigen Motiv ein Kunstwerk werden.
    Spannender Prozeß.)

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