Eine Interdisziplinäre Komposition für sechs Instrumentalisten, Schattentheater, Video und Lautsprecher nennt die 1980 geborene griechische Komponistin >>>> Irini Amargianaki ihr Stück, das allein an diesem „Interdisziplinären“ krankt, jedenfalls so, wie es >>>> in der Werkstatt der Berliner Staatsoper in Szene gesetzt wurde. Nicht weniger, doch anders wäre mehr gewesen. Hier indes überfitzelten Firlefanz und Bildkitsch die Kunst, der ich mich hörend dennoch nicht entziehen konnte – sofern ich denn die Augen schloß. Was wiederum schade war, weil mich allein das Ensemble und die hohe Konzentration seines Spiels den extrem physischen, ja physiologischen Klangsog auch bildlich spüren ließ.
Für den Kitsch stehe das folgende Foto (die hinter die Figur projezierten kommunizierenden Röhren von Nervenbahnen, bzw. -enden unterstreichen noch die scheinkosmisch wohlfeile Weltbild-Esoterik):
Den Hintergrund der Installation wie der Musik hat in der nmz Peter P. Pachl so gut beschrieben, daß ich es nicht wiederholen mag, sondern Ihnen informationshalber >>>> verlinke. Sowieso besteht das Problem darin, daß eine solche „Erklärung“ der Musik ihre Kraft nimmt; sie reduziert sie aufs Konzept. Ich bin also recht froh, der theoretischen Einführung in das Stück nicht beigewohnt zu haben, die jeweils vor der Aufführung stattfindet. Zwar im Nachhinein stellen Erklärungen einiges klar, vorher indessen hätten sie dem musikalischen Erleben noch mehr im Weg gestanden, als es schon genug die Installations, nun jà,‚geschehen‘ taten.
Bei Adam und Eva blieb es nicht. Vor den Sitzreihen über dem Orchester eine deutlich erkennbare Projektionsfläche
Das Hörerleben selbst ist enorm. Was wir wahrnehmen, erinnert nicht von ungefähr, und zwar gerade zu Anfang, an >>>> Scelsi. Tatsächlich hat sich Amargianaki mit Mikrotonalitäten beschäftigt, sie um Fragmente von Melodien allerdings erweitert; besonders das Cembalo ließ mich ein wenig an >>>> Alfred Schnittkes Concerti grossi denken ließ; wie bei ihm stehen diese Momente für den Klang von Erinnerungen – hier, anders als bei ihm, melodiethematisch aber nicht aus- bzw. durchgeführt. Amargianaki erfaßt vielmehr etwas, das sich der bewußten Bearbeitung entzieht, ein quasi Vorsprachliches. Genau dies dringt in die Hörer:innen tief ein, und zwar weil es sich nicht fassen, schon gar nicht als verschubladet-erledigt beiseitestellen läßt. Deshalb führt diese Musik, ohne eben Kisch zu werden, in Zustände geradezu religiöser Versenkung; zumindest wirkt ie hochgradig meditativ.
Die latente Religiösität, sagen wir Spiritualität, wird denn auch unversehens manifest – am Ende nämlich, als eine auf Griechisch aus dem Off gesprochene Rede von den „idealen und geliebten Stimmen“ laut ward – Gestorbener und/oder all jener, „die für uns verloren sind“. So wird das naturwissenschaftlich-funktional nach dem autonomen Nervensystem des Menschen benannte „ANS“ zu einem Musiktheater über die Präsenz das Jenseits im Diesseits und ist damit zugleich Beschwörung der Wahrheit des Traums. Hier auch funktionierte die Schattentheater-Projektionsfläche endlich, indem sie zu nichts anderem mehr herhielt, als in Gestalt von Übertiteln die gesprochenen Sätze – waren es Verse? – ins Deutsche zu bringen, doch die Anmutung war eine andere, indem sie Sprachlichkeit eben unterstrich: als (Klang)sprache des Un- und Überbewußten. Ähnlich hat Godard oft in seinen Filmen gearbeitet. In diesem, seinem, Sinn ist diese Aufführung ein ganz ganz großes Klangtheater, das vorgeführte Kino aber, die Illustration der Musik, nicht nur ungelenk und überflüssig, sondern sogar – selbstverständlich ohne sowas zu beabsichtigen – diffamierend; nämlich einerseits das Stück als, was es aber musikalisch nicht ist, Kitsch, andererseits als, sagen wir, „Konzept“kunst – die schon für sich genommen Oxymoron ist, und zwar in einem mehrfachen Sinn, weil nicht als Unsinn intendiert.
Nimmt man die „Bebilderung“ weg (schließt man also die Augen), beginnen sogar die zuweilen über Schnarr- und Scharrgeräuschen eingesprochenen wissenschaftlichen Sätze etwas brennend Abgetrenntes, nahezu Psychotisches zu bekommen, etwas, das die schiefe Tonalität des Cembalos und besonders auch der Harfe geradezu drängen macht; die Musik wird quasi selbst psychotisch, indem das, was Wissenschaft will, faßbar erklären, ihren Gegenstand nun besonders weit von uns wegrückt: Die wirkende, aber bewußt nicht mehr gespürte Entfremdung wird zu empfundenem Klang. Dagegen kann schließlich nur noch ein Allgemein-Religiöses gestemmt werden. Mir scheint genau dies Amargianakis Stück abermals mit Scelsi zu verbinden, namentlich mit seinem Brahma, eigentlich aber wohl dem Brahman gewidmeten Aiòn: ein gestalt- und eigenschaftsloses, damit unerkennbares und nicht mehr der Zeit unterworfenes Klangkontinuum, in dem eben deshalb die Toten, weil es sich hören läßt, sehr wohl zu den Lebenden sprechen können.
Radikaler kann sich kein Stück von seinem gedachten Entwurf entfernen – oder aber, wenn wir einen beliebigen Ansatz konsequentest verfolgen, heben wir ihn auf. So daß er undefinierbar allgemeingültig wird. Dies ist Amargianakis großer Musik hier gelungen. Um mit Scelsi zu sprechen: „Der Klang ist die erste Bewegung des Unbeweglichen, (nämlich) der Anfang der Schöpfung.“
Unbedingt hingehen also, heute abend. Und aber wirklich die Augen schließen. Danach können Sie sie mit allem Grund wieder öffnen:
Irini Amargianaki
A N S
Interdisziplinäre Komposition für sechs Instrumentalisten,
Schattentheater, Video und Lautsprecher
Raum Stephan von Wedel Video Maryna Shuklina
Ton Sébastien Alazet Schattentheaterfiguren Lisa Haucke
Baßklarinetten Vincent Burkowitz, Joshua Löhrer – Harfe Katharina Harstedt – Violoncello Xin Shi – Schlagzeug Alexandros Giovanos – Cembalo Mutsumi Shimamaru
Musikalische Leitung Róbert Farkas
Nur noch eine Vorstellung:
16. Juli 2016, Werkstatt, 21 Uhr
>>>> Karten
Achtung! NUR NOCH HEUTE ABEND! Gehen Sie hin, sofern es noch >>>> Eintrittskarten gibt. Egal, was Sie sonst noch vorhaben (die Aufführung dauert nur etwas mehr als eine Dreiviertelstunde).