Wo Rettendes aber. Im Arbeitsjournal des Dienstags, dem 6. Dezember 2016.


Wächst auch Gefahr.



So dachte ich, als ich, dem Hinweis eines alten Freundes folgend, >>>> diesen Artikel las, der uns klarmacht, daß jegliche Befreiung zugleich die Enge weiter zuschnürt. Du mußt halt nur die Laufrichtung ändern.
Für den Freund ist es das, und zwar zurecht, was man im Geschäftsleben ein business tool zu nennen sich angewöhnt hat. „Ich sehe mir die Dinge an, wie sie sind, kann sie nicht ändern. Also stelle ich mich auf sie ein.“ In der Gefahr – sagen wir Gefährdung – das Rettende sehen. Wobei die Rettung eine Frage des Preises: ob wir ihn zahlen können. Ob wir ihn zahlen wollen, um die Gefahr des Untergangs.

[Arbeitswohnung, 6.59 Uhr
Brahms, Serenade Nr. 1, Orchesterfassung]

Ich dachte gestern abend, beim Essen im >>>> Delizie d‘Italia, weiter. Es sei schon erstaunlich, dachte ich nämlich (wobei bezeichnend das trefflichere Wort): Kaum gehe es mir besser, reiche erneut die Börse mir die Hand. Eine Verlockung, durchaus.
Später fuhr der Freund in edelstem, einem alten, Jaguar davon. Und ich, im Pelz, schritt heim zu Ofen, Büchern und Musik.

Ein|Balsam Gott der Fliegen liegen Aphroditen bei.So habe ich heute früh >>>> Bruno Lampes III,219 für Cambridge Analytica verlinkt. Ich hege die klamme Hoffnung, daß das Poetische in die Maschinen fährt, und also in die Psychomechanik, wie die Teufel in die Säue:Es war aber daselbst eine große Herde Säue auf der Weide auf dem Berge. Und sie baten ihn, daß er ihnen erlaubte in sie zu fahren. Und er erlaubte es ihnen.
Da fuhren die Teufel aus von dem Menschen und fuhren in die Säue; und die Herde stürzte sich von dem Abhange in den See und ersoff.
Da aber die Hirten sahen, was da geschah, flohen sie und verkündigten es in der Stadt und in den Dörfern.
Lukas 8,33 ff

Außerdem war ich ein wenig verstimmt und gab dem auch spontanen Ausdruck. „Sei nicht so empfindlich“, hätte meine geliebte Großmutter gesagt. An deren Grab ich bis heute nicht war. Ich war auch fern, als sie starb. Die Kunde, die mich erreichte, ließ ich ungekündet. Schon darin liegt Unrecht. Als Glenn Gould starb, bekam ich einen Weinanfall, wie ihn nahe Freunde jetzt bei Cohens Ende hatten. Bei meiner Omi blieb ich trocken. Das Unrecht spitzt sich zu, indem auch diese Information zum >>>> Helferlein im Wahlkampf irgendeines Daniel Machttriebs werden kann. Erzähle mir also jemand noch einmal, ich hätte jemals >>>> „futuristisches Tamtam“ geschrieben, geschweige damit „aufgetrumpft“. Ich habe meine Arbeit gemacht, so gut, wie ich‘s vermag: Gerät etwas Prophetisches durch sie hindurch ins Bewußtsein – oder versucht‘s –, habe nicht ich es zu vertreten, sondern das Material selbst. Ich geb ihm nur die Form.
Auch deshalb war ich ein bißchen verstimmt. Man wird dem Buch, an dem ich jetzt schreibe, die Genauigkeit des Gerüstes nicht mehr ansehen, soll sie auch gar nicht sehen, aber im Vorfeld, bevor eine Haut darum geschaffen ist, liegt es nackt. Dann ist es, hautlos, besonders empfindlich, und dem Rat meiner geliebten Großmutter zu folgen, würde unsensibel zu werden bedeuten, was wiederum heißt, gar nicht mehr fähig zu sein, künstlerisch zu arbeiten.
So war die Versuchung besonders groß, gestern abend. Weshalb nicht, dachte ich, noch einmal ein radikal anderes Leben beginnen? Um es in den Worten meines alten Brokerfreundes auszudrücken: „Ich will in drei Jahren fünf Millionen machen“ – machen ist tatsächlich das passende Wort; der US-Anglizismus hat hier recht. Vielleicht hat mein Freund auch zehn gesagt oder hundert. Es kommt darauf nicht an, ist tatsächlich im Wortsinn gleich|gültig.
Mein alter Verkaufsleiter – ein Gaunergenie – sei erbärmlich gestorben: „verreckt“ ist das angemessene Wort. Auch diese Nachricht kam mir. Andere wieder, ohne die geringste Ahnung vom Markt (was ihre horrende Stärke, ja das Geheimnis ihres Erfolges war), sind gewaltig die Treppen hinaufgefallen, kochkatapultiert von den Banken.
Ich war im Nu in der Materie wieder drin.
Also weshalb nicht mein Werk Werk sein lassen und mich anderen Gefilden zuwenden, in denen es nicht darauf ankommt, ob man irgendwelchen Kritikern gefällt, sondern allein darauf, daß man Erfolg hat, Erfolg aufgrund einer Leistungsfähigkeit, die man alleine in der Hand hat? In den Kunstbetrieben sind wir ausschließlich vom Gutwollen der in ihm Mächtigen abhängig. Wir müssen sozial „passen“. Die eine Autorin (ich weiß, wer) wird gehypt, weil sie so viel Holz hat vor der Hütte, der andere (ich weiß, wer), weil er hübsch Gitarre spielt. Wir sind so eine Mischung aus Hofnarr und Prostituierter/m und dürfen vortanzen, wenn‘s genehm.
In der „freien“ Wirtschaft ist das anders. Wir bringen die „production“ oder nicht.
Mir geht seit Jahren ein Satz >>>> Sinopolis nicht aus dem Kopf: Wer ein Genie als Musiker sei, könne es auch als Arzt sein, als Wissenschaftler, als was immer er wolle. (Man wird mir gleich den Geniebegriff wieder um die Ohren hauen. Oder anders naserümpfen, vielleicht wie >>>> die beiden Kommentatoren unter Winkels‘ schon oben verlinktem ZEIT-Artikel, denen man das, sagen wir, „Persönliche“ gleich anliest. Sei‘s drum. Was kümmert‘s die Eiche, wenn undsoweiter ein Schwein: Sie gehn ja doch ab in den See. Da aber die Hirten sahen, was da geschah, flohen sie und verkündigten es in der Stadt und in den Dörfern.)

Personalisiertes (Wahl- und Güter-)Marketing.

Zu lang, zu lang schon ist
Die Ehre der Himmlischen unsichtbar.
(…)
Wir haben gedienet der Mutter Erd
Und haben jüngst dem Sonnenlichte gedient,
Unwissend, der Vater aber liebt,
Der über allen waltet,
Am meisten, daß gepfleget werde
Der feste Buchstab, und Bestehendes gut
Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.
Mag sein, daß >>>> Hölderlins Verse Anlaß werden, mich für Cambridge Analytica zum Zielgrupp zu machen (meinem, für groupie, Neuwort forthin), so denn die AfD sie beauftragen wird. Jetzt ist alles nur noch eine Frage der bids.

Weshalb ich aus meiner Verstimmung aber gar nicht mehr rauskomme, weiß ich nicht. Ihr Anlaß war und ist marginal.
Vielleicht habe ich deshalb Schnupfen seit gestern.

Bekümmern Sie sich, Freundin, einfach nicht drum.

ANH

[Galina Ustwolskaja, Sonate für Violine und Klavier]

2 thoughts on “Wo Rettendes aber. Im Arbeitsjournal des Dienstags, dem 6. Dezember 2016.

  1. (Es käme darauf an, Schicksal d y n a m i s c h zu fassen
    als ein Wandelndes Sich-Wandelndes immer
    und ohn‘ doch des Menschen | Willkür
    trotz Wollens:

    Wenn aber einer spornte sich selbst,
    Und traurig redend, unterweges, da ich wehrlos wäre
    Mich überfiele, daß ich staunt‘ und von dem Gotte
    Das Bild nachahmen möcht‘ ein Knecht –
    Im Zorne sichtbar sah‘ ich einmal
    Des Himmels Herrn, nicht, daß ich sein sollt etwas, sondern
    Zu lernen. Gütig sind sie, ihr Verhaßtestes aber ist,
    So lange sie herrschen, das Falsche, und es gilt
    Dann Menschliches unter Menschen nicht mehr.
    Denn sie nicht walten, es waltet aber
    Unsterblicher Schicksal und es wandelt ihr Werk
    Von selbst, und eilend geht es zu Ende.

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