III, 271 – Peau de chagrin

Im Moment spiegelt sich nichts als die eigene Haut vorm inneren Spiegel, sie dorthin zu bannen, ohne sie noch auf dem Leibe zu tragen. Anders als Eckenpenn, der zwar auch ‘nur’ Spiegel ist, aber einer, der das wuselige Unlebendige reflektiert, er selbst ist der Spiegel, den das alles nicht wirklich angeht. Man liest zwar, er gehe durch einen frostigen Morgen, aber man spürt es nicht als Leser, es steht dort so geschrieben.
Ein solcher Blick gelingt mir im Moment nicht. Ich bin nicht der Spiegel, sondern sehe mich im Spiegel dessen, was außen seine Blicke auf mich wirft. Haut, in der ich bin, die zu verschwinden droht. Selbstverständlich bildlich gesprochen, aber doch auch wieder spiegelbildlich. Einzelne mich betreffende Episoden erscheinen mir kaum beschreibenswert. Etwa die Geste der Neffen-Mutter, die gestern Abend Karnevalsgebäck vorbeibrachte, um daran im Nachhinein die Bitte zu knüpfen, in den nächsten beiden Tagen nach der Katze zu schauen. Denn sie fahre mit ihren Söhnen wieder nach Rom, wo sie ja nun studieren und dort in der ihr gehörenden Wohnung leben. Das geht schon einen Monat so, daß sie immer mitfährt und dort ist. Dieses Kümmern.
Seit über einer Woche liegt auch die Forderung, 1200 Euro an Steuern für das Jahr 2012 nachzuzahlen, hier, ohne daß ich mich darum gekümmert hätte. Am Samstag verschob ich den Kauf einer neuen Gasflasche. Prompt gab die alte gestern vormittag ihren Geist auf, so daß der Stampfer schon ab zwölf Uhr herhalten mußte.
Spiegel und Spiel und Mißbrauch. Ein Motiv in den ersten Monaten (die Kapitel in Gurks Roman entsprechen den Monaten, die dort dahinfließen) ist ein blaues Heftchen mit Gedichten, auch die NÄHErin nahm’s damals mit. Am nächsten Tag brachte es eine Göre zurück, die NÄHErin sei abgehauen. Gedichte von ihm darin. Ein Schriftsteller-Beau bekommt’s in die Hände. Benutzt eines der Gedichte für eine eigene Publikation. Und dunkle Geschichten mit einem “Dorian Gray”. Gigolo. Glatt, glatter, am Glattesten.
Kurz, Eckenpenn wird gegen gute Bezahlung von letzteren gebeten, das blaue Heftchen mit seinen Gedichten zu einer reichen Bankierstochter zu bringen. Visitenkarte zwischen Seite 17 und 18. Man versteht nicht wirklich warum, aber das Fräulein versteht das Wort “Rauchen” auf der Visitenkarte und frißt die Seite auf. Und stirbt. Gewisse Hinweise darauf, es könne sich um Arsen gehandelt haben.
Eckenpenns Ekel vor der Stadt. Der Entschluß, wieder zur Natur zurückzufinden. Erinnerungen an die schlesische Kindheit. Raus aus der Stadt. Natur. Tippelt einfach los. Aber es gelingt ihm nicht. Sie, die Stadt, verfolgt ihn mit Jungvolk und Musike, ratternden Fahrzeugen, und als er sich dennoch ganz darin wähnt, wird ihm unheimlich, und er fährt zurück in die Stadt.
Der Buchtrödler fühlte beschämt, daß [ich merke erst jetzt, daß das Buch keine normalisierte Rechtschreibung hat: gut!] er der großen Mutter Landschaft verloren sei. Er, der ausgezogen war, um die Stille zu suchen und die einsame Seele der menschenlosen Natur klopfen zu fühlen, konnte das eingeborene Schweigen mit seinen tausend Tiefen, seinen dröhnend unhörbaren Geräuschen nicht mehr ertragen.
Pessimistische Melancholie. Wahrnehmen, um zu registrieren, ohne wirkliche Teilnahme, und wenn, dann eher zufällig. Es sei denn, es handelt sich um NÄHErinnen. Oder um einen NÄHer, einen junger Maler, den schon seit drei Morgen inmitten der Landschaft immer wieder eine Wolke in dem Moment stört, die einzig wahre Horizontlinie mit der aufgehenden Sonne einzufangen.



Eine zumindest für heutige Zeiten schwer vorstellbare Figur. Wie bei jedem Lesen: man muß sich darauf einlassen. Alle Sätze sind Spiegel, die sich mit jedem Satz anders verwinkeln.
Nur das Umdrehen ist schwierig. Die Rückenschau. Man verliert die Eurydike, die geliebte Vorstellung vom eigenen Körper, und verdammt ihn zum Hades. Pardon, zum Hadern mit sich selbst.

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