[Arbeitswohnung, 7.50 Uhr
Wagner, Walküre (Régine Crespin), Vinyl]
Die Pavoni spinnt. Hat sie schon mal getan. Ich mußte sie einzwei Tage in Ruhe lassen, dann ging sie wieder. Also auf den italienische Espressokocher zurückgegriffen und die Milch im Topf auf dem Herd erhitzt. Dazu übers Reise>>>>bös‘chen, das, wenn ich in Berlin bin, die Küche beschallt, den gestern neu begonnenen Nibelungenring weitergehört. Irgend etwas, obwohl ich doch >>>> nicht mehr wollte, lockte mich hin. Daß ich oben Régine Crespin nenne und nicht Karajan, ist so eine Art Ausrede, eine leise Rechtfertigung dafür, daß mein Wagnerunwille sich abgeschliffen hat. Es ist aber auch so, daß die Musik, hör ich sie ohne Bewußtsein über ihre unselige, teils dämliche, teils unangenehme Handlung, rein über ihr klangliches Genie wirkt, im Wortsinn ungeheuer wirkt. Man darf einfach nicht die Tölpel und Verbrecher vor Augen haben, die Wagner mit ihr heroisiert hat. Ich kann es auch anders sagen: Es klingt durch diese Musik etwas gegen Wagner hindurch: es war eben sein Genie, es gegen den eigenen, wie Liszt aufseufzte, schlechten Charakter aus dem Welt- und Zeitfluß aufgefangen und notiert zu haben. Das ist dem widerlichen Genie Céline durchaus ähnlich. Vielleicht, denke ich gerade, gehört ein Teil Schlechtigkeit sogar dazu, so etwas zu können. In der Kunst kann Moral durchaus ein Hindernis sein; die Menschen sind, wenn kunstgütig, angenehm, aber verwehen nach ihrem Tod im Geschichtsstaub.
Kunst ist Ausgraben. Sagte ich gerade der Löwin beim Wecken. Es ist der wohl wichtigste Satz in >>>> Meere. Wir graben aus, was wir weggesteckt und bedeckt haben. Alle Kunst, sozusagen, ist Enthüllung und Bekenntnis. Deshalb geht intentionale Kunst – eine, die Botschaften vermitteln will – grundsätzlich fehl. Die Botschaft muß sie selbst sein; sie kommt nicht aus einem „Vorhaben“, sondern findet in sich selbst Gestalt: Dann können wir sie hören, ohne den Autor/die Autorin zu hören. Was zeigt, wie fehl dieser Begriff, Autor, geht. Hier ist nichts Selbst; das Selbst löst sich in der Gestaltung auf; es ist allerdings die notwendige Voraussetzung dafür, daß dies geschieht. Möglicherweise ist die Egozentrik, die Künstlern oft und meist mit Recht vorgeworfen wird, ihre Art der Notwehr – weil sie doch spüren, wie sie sich in dem, was sie tun, auflösen. Sie brauchen der täglichen Alltagsverrichtungen wegen Konturen, erst recht, wenn sie Familie und also Verantwortung haben.
Verantwortung.
Kinder haben.
Mein Sohn, der gestern kam und von seiner Musik erzählte – wie leidenschaftlich er erzählte!
Wir saßen beisammen, kurz nach fünf, ich mit dem Sundowner, er mit dem obligaten Espresso.
Er komponiert die Musik zu Raps, hat einen neuen Sängerkontakt. Wie klug er argumentiert! Er hatte den Kontakt zu einem Label, das seine Sachen veröffentlichen würde, eventuell. „Aber dann wäre ich stilistisch festgelegt, das will ich nicht werden und sein.“
Zwei Stücke spielte er mir über Youtube vor. Und ich spürte, obwohl es nicht meine Musik ist, wie doch, was mir ästhetisch wichtig, durch ihn in ihr mit aufgefangen wird: bestimmte Werte, bestimmte Überlegungen zur Komplexität von Kunst. Auch daß er jetzt sein Cello in die neuen Formen integriert, das er eine Zeit lang beiseitegelegt hatte.
Morgen fährt er mit seiner Klasse nach Rom und Neapel; nach Neapel hatte auch ich kurz reisen wollen, um die Truppe zu treffen. Ist ja >>>> „meine“ Stadt. Aber die Flüge sind teuer geworden; außerdem muß ich am 29. zu dem neuen Ghostauftrag reisen. Also habe ich den Plan fallen lassen, auch zum Bedauern meines Sohns. Und hier liegt derart viel Arbeit an! – gestern >>>> schrieb ich ja dazu.
Kark-Jonas. „Die Sache mit Kark-Jonas“. An der Erzählung sitze ich grade und versuche, so etwas wie eine Urfassung wiederherzustellen. Ich schrieb das Ding, als ich sechzehn war. Es ist der für meine spätere Arbeit wahrscheinlich entscheidende Text. Er war so wichtig, daß ich ihn Anfang der Neunziger noch einmal komplett umbaute, mit weiteren Motiven versah und dann in den >>>> Wolpertingerroman implantiert habe. Also eigentlich ist die Erzählung schon veröffentlicht. Dennoch gehört sie in eine Ausgabe Sämtlicher Erzählungen unbedingt mit hinein – und eben möglichst in der frühen Form, d.h. ohne die späteren motivischen Zusätze. Gleichzeitig bringe ich den Text aber – wie alle anderen – auf mein sprachliches Gegenwartsniveau.
Das macht solche Überarbeitungen heikel; Verfälschung legiert mit Wahrheit. Es geht aber eben um Kunst, nicht um Dokumentation. Womit ich wieder bei Wagner bin.
Außerdem werde ich auf meine Lektorin hören, der ich künstlerisch vertraue, wie ich es vorher bei niemandem tat. Wenn sie sagt, das besser nicht, werde ich es herausnehmen. Sie muß nicht einmal Gründe nennen. Wobei es mir schon wichtig war, daß die Löwin, als ich ihr in Paris die erste der Erzählungen – „Svenja“ von 1971 – vorlas… daß sie knapp sagte: „großer Text“. An seinem Ende habe ich aber noch einigermaßen herumknibbeln, und so wirklich zufrieden bin ich noch nicht. Als Lektoratsvorlage mag es freilich reichen. Allerdings habe ich aus Wien noch keine Rückmeldung.
Kark-Jonas gab dem Wolpertinger übrigens seinen leitmotivisch zentralen Satz:
Daran, mithin, sitze ich jetzt und werde ich bis etwa mittags sitzen. Danach nehme ich mich der letzten Korrekturen des Ghostromans an; die von der Contessa letztkorrigierten Seiten bis 198 lagen gestern in meinem Briefkasten.
Ohne scharfe Einteilung der Tagesarbeit wird es in den nächsten Wochen also nicht gehen. Denn noch bis Jahresende will >>>> Elfenbein auch von >>>> Thetis mindestens das ebook auf dem Markt haben. Also Früharbeit: Arbeitsjournal und Erzählungen; Vormittags- bis Nachmittagsarbeit: Contessa; Abendarbeit: Thetis.
Inofern läuft es wieder. Sorgen allerdings, nach wie vor, bereiten mir meine Gedichte, weil ich einfach keinen Verlag für sie finde. Aber ich schiebe sie, die Sorgen, unter den Schreibtisch. Da mögen sie schlafen. Für sie ist jetzt wirklich kein Raum.