Der Vater ist es. Das Arbeitsjournal vor der Frankfurtmainer Meereslesung des 10. Oktobers 2017. Darinnen zu Christoph Schröder ff.


[Bei den Pflanzen, die fleischlich, 7.33 Uhr
Keine Musik; zu sehr ein Schwirren im Kopf.]




Zwei Traumreste:

— Der Vater ist es, sagt zu mir jemand (eine Frau? ein Mann?), als es klopft. Es klopft aber von über der Zimmerdecke, durch die der Klopfende Einlaß begeht. (Ist ein Vertipper, ‚begehrt‘ muß es heißen; doch ist ‚begeht‘ auf schauerliche Weise treffend).

— Zuvor eine Frau, auf High Heels, sonst aber nackt, die sich auf einen Fahrbahnkreisel stellen und drehen und sich bücken soll und wenden. – Ich versuche lange, sehr lange herauszubekommen, welcher Kreisel es sei. Denn ich kenne den Ort, aber finde ihn in meinem Gedächtnis nicht wieder.
Es regnet in Strömen (im Strömen). Deshalb haben nach der „Session“ die Schuhe heftige Wasserflecken; imgrunde sind sie hinüber. Leider waren sie teuer. Nun entspricht aber die Heftigkeit dieser Flecken (sie lassen sofort an verschmiert eingetrocknetes Sperma denken) der Heftigkeit ihres, der Frau, Erlebens.
Ich war Frankfurt Süd abgefahren; so wird der Kreisel die Fahrbahnschleife vor dem Waldstückerl des Wäldchestags sein. Tausende Autos fahren dort täglich, und sie, die Frau, kann sich da zeigen – komplett anonym. Sie zeigt einen Teil ihrer Seele – den, der sich um ihren >>>> „dunklen Kontinent“ (L‘Origine du Monde) konzentriert und leiblich in das Organ führt. Es ist ein Übertritt, nicht nur moralisch, sondern in die Freiheit.
Dies interpretiere ich nachher; hätte ich das Spiel aber geleitet (wie ich es de facto schon tat), hätte ich es vorher zur Basis meines Kalküls gemacht.
Und dann klopft „der Vater“.

Meere reaktiviert Geschichte, damit auch Seelengeschichte, und zwar nicht chronologisch, sondern als clusters. Deshalb ist es gut, daß die gestern von mir quasi verbitternd begonnene >>>> Diskussion nunmehr die Form eines Gespräches angenommen hat. Ich dachte ja zuerst, der Herr Schröder selbst stecke hinter dem gegnerischen Kommentator, oder einer seiner Lakaien. Da habe ich mich wohl geirrt. Aber selbst wenn, wird jetzt nicht mehr behauptet, sondern offene Stellung bezogen, und die Schlagetots rutschen in ihre Futterale zurück. Statt dessen werden die Lampen gehoben.
Es ist schon erstaunlich, wie meine Depression von mir abfließt, sowie ich die Möglichkeit sehe, sie wieder sehe, sinnvoll zu kämpfen: Kampf, nicht Krieg, wie Bloch es formuliert hat. Kultivierter gesellschaftlicher Kampf. „Sexualität ist kein Spaziergang im Grünen“ hat es >>> die große Paglia ausgedrückt – und Liebe, Frau Paglia, ganz gewiß auch nicht. (Manchmal stelle ich mir vor, die „verehrte Freundin“, der ich viele dieser Arbeitsjournale als quasi Briefe schreibe, seien Sie: mein „Liebes Tagebuch“).

Gestern abend, wissen Sie, Freundin, saß ich lange mit >>> Phyllis Kiehl beisammen. Wir aßen, wir sprachen. Sie las diesen gräßlichen Text von Schröder, fand ihn dann aber gar nicht so schlimm. Er sei, der Herr Schröder, sagte sie mir, ganz sicher kein AfD-Wähler, aber erzkonservativ und – prüde. „Es ist zum Lachen“, sagte sie. „Schauen Sie sich nur >>>> seinen lokalen Wikipedia-Eintrag an: Ein Frankfurter, mit einer Frankfurterin verheiratet – ja!, das steht da wirklich drin. Extrem wichtig, finde ich, wenn Sie einen Kritiker einschätzen wollen. Jetzt wissen Sie immer gleich von den Würstchen bescheid. – Aber das waren nicht Sie, der den Artikel zum Löschen vorgeschlagen hat? Das hoffe ich zumindest. Es ginge uns doch Erkenntnis verloren.“
War ich nicht, klar. Ich bin prinzipiell gegens Löschen, schon weil doch immer Spuren bleiben, auf unseren Festplatten, in unseren Hirnen, in den Sedimenten. Dann kommt wer und gräbt alles aus, ein Künstler zum Beispiel oder eine Künstlerin. Schon (um es mal daktylisch mit Auftakt zu sagen) ist groß das Geschrei. „Arschloch!“ – Auch dieses, nebenbei bemerkt, führt in das Innerste, Ihres, Freundin, wie meines. „Zeig mir deinen Arsch, zieh die Backen auseinander“: ‚klassischer‘ Fichtesatz. Mit Grimmelshausens Landsknecht gesprochen: Ich will endlich sehen, was das ist, ‚Seele‘. Deutlicher läßt sich Verzweiflung nicht ausdrücken und nicht, wie wir es schaffen, aus ihr Lust zu destillieren. Keine Seele ohne Stoffwechsel. (Deshalb ist nichts so falsch wie das Paradies.)
Wir sprachen auch hierüber, Frau Kiehl und ich. Wer >>>> ihre Bilder kennt, die und den kann das nicht wundern. Ihret-, also der Bilder wegen wurde ich sogar macchiavell. Das Gespräch gab mir Gestalt zurück, Haltung außen (ein Exoskelett) wie aber auch innen. Haben Sie großen, sehr großen Dank. Anders wär ich verloren gegangen. Als wieder Herr – das ist ein Mann mit Form – ging ich heraus. (Der Nachteil daran ist: man(n) muß nun das Essen bezahlen und auch den Wein. Man tät es aber selbst dann, und zum Verdammtsein gerne, läg Schmalhans‘ Küchenmeister dir zum Bettgenoss‘ oder – wenn du hetero bist – seine, sagen wir, lydische Aushilf‘.)

Ein bißchen nervös bin ich wegen heute abend freilich ohnedies, doch nur, weil ich um Publikum bange. Herrn Gerhard Schröders Artikel … – ähm, Christoph natürlich, Verzeihung – … hält in jedem Fall das Frankfurtmainer Bürgertum fern, das leider es ist, Bücher auch zu kaufen.
„Die High Society liest doch nicht das journal Frankfurt!“ rief Phyllis Kiehl hiergegen aus. Außerdem sei sie, also diese, bzw. dieses sowieso auf der, nun jà, „Konkurrenz“veranstaltung mit dem neuen Buchpreisträger und Eva Demski. Dort, nicht bei mir, lasse sich ‚repräsentieren‘ – „das ist bei Ihnen schon kunstästhetisch nicht drin.“ – Schtümmt. Dennoch wäre es absolut übel, weil für die Christophgerhards der Welt ein Triumph, säßen bei mir nur zehnelf Leute herum, von denen ich obendrein elf Zehntel kennte. Davor, ja, habe ich Angst. Ich habe es zu oft erlebt, um eine solche Demütigung weiterhin mit poetischem Glauben balancieren zu können. Ich meine, Freundin, bei Wondratschek neulich, in Berlin, war auch nur eine Handvoll – bei Wondratschek!, echt! (Oh-der-Vater-klopft-an).

„das im Wasser gespiegelte Strebwerk“, ein Wahnsinnssatzteil aus Bild und Vokabular – mehr möchte, muß und darf ich zu meinem heutigen >>>> Ecker nicht sagen – außer vielleicht noch, daß ihm, also Ecker, Böhmen nicht am Meer, sondern an der Seine liegt:

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Seien Sie umarmt.

3 thoughts on “Der Vater ist es. Das Arbeitsjournal vor der Frankfurtmainer Meereslesung des 10. Oktobers 2017. Darinnen zu Christoph Schröder ff.

  1. Manesse, höre ich gerade, habe den Buchpreis ge, tjä,wonnen. Fast alles erkennt sich an der Sprache. Wobei – auch wenn ich erst einmal dachte jo mai, dea Roabat – mir diese Wahl ausgesprochen nachvollziehbar ist und ich mich deshalb für ihn freue. Daß sie, die Wahl, nicht spektakulär ist, nun jà. Wir sind ja schon dankbar, daß nicht nee, den Namen schreib ich nicht geECCOwonnen hat. So werden wir älter und üben uns in Demut.

  2. Lieber ANH, ich bin sehr gespannt auf die Lesung heute Abend im Literaturforum.
    “Meere” war mein erster Herbst-Roman, ist viele Jahre her. Ich hatte noch nie etwas Vergleichbares gelesen und verschlang das Buch am Stück. Es wird eine Wiederbegegnung der besonderen Art – und ich hoffe, der Raum platzt aus allen Fugen! Es würde dem Roman sehr entsprechen.

    Mich zitiert in Ihrem – mal wieder lebhaften, provokativen – Arbeitsjournal wiederzufinden ist aber ein zwiespältiges Gefühl. Wenn wir zu zweit über Personen oder Personengruppen sprechen, wenn ich Mutmaßungen über Einzelne oder über “die High Society” anstelle, formuliere ich das salopp, zugespitzt und in freundschaftlicher Loyalität, wie es für ein Privatgespräch okay ist. Tatsächlich empfand ich den Programmhinweis im Frankfurt Journal als sehr gehässig.
    Dazu stehe ich. Ich finde, der Tonfall der Ankündigung wird diesem wunderbar ungewöhnlichen Roman nicht gerecht. Nicht im mindesten.
    Trotzdem: Ich fühle mich nicht wohl, wenn Sie meine privaten Äußerungen zum Autor der Ankündigung hier wiedergeben.
    Ich kenne den Mann nicht. Ich würde ihm jederzeit in einer persönlichen Begegnung sagen, wie ich seine Ankündigung wahrgenommen habe: als bewusste Herabsetzung eines von mir hochgeschätzen Autors und innigen Freundes. Diese Möglichkeit ist mir nun genommen. Sie verwenden unser Gespräch als Material, um im Arbeitsjournal Gleiches mit Gleichem zu vergelten. (“Wie man in den Wald hineinruft…”)

    Ich kenne Ihre rigorose Haltung, werde aber nicht gerne für öffentliche Attacken instrumentalisiert. Nun soll Ihr Arbeitsjournal, will es sein Profil wahren, keinen Zimperlichkeiten unterworfen sein – auch nicht meinen. Aber ich habe ein Bild von mir. Und ich sehe mich so, dass ich inhaltliche, kritische Auseinandersetzungen mit Einzelpersonen am liebsten Angesicht zu Angesicht führen würde, bevor ich entsprechend zitiert werde.

    So. Mein Protest ist hiermit formuliert. Hugh. Wir sehen uns heute Abend – bei vollem Haus!

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