Teebaumöl. Im Arbeitsjournal des Sonntags, den 5. November 2017.


Teebaumöl,

liebste Freundin,

[Arbeitswohnung, 10.30 Uhr]


ich sag Ihnen: Teebaumöl (unverdünnt) und die pikanten, über die man nicht spricht, Partien. Um zwei Uhr nachts, völlig entnervt von Gejucke und Schmerz, erhob ich mich wieder. An Schlaf war nicht im entferntesten zu denken. Statt dessen den Computer neu an, eine Flasche Wein entkorkt, wiewohl ich dieses Wochenende komplett alkoholfrei bleiben wollte – wie um Herrgöttinswillen stellte ich jetzt eine Müdigkeit her, besser: eine solche Erschöpfung, daß man einschlafen muß? Ich meine, dies mir, dem Meister des abrupten Hinwegschlafs? Normalerweise leg ich mich hin und bin schon davon, und genauso, normalerweise, stehe ich auf, nur umgekehrt halt.
Bis vier Uhr Serie geguckt, dann fielen die Augen von selber zu. Auch das Gejucke hatte fast aufgehört, was am Antihistamin lag, das ich nun auch noch draufgeschmiert hatte. Daß ich da um, wie geplant, sechs Uhr wieder aufstehen könne, schloß sich von selbst aus; ich löschte das Weckerprogramm.
So wurde es neun. Viereinhalb bis fünf Stunden Schlafs, von daher alles im Grünen Bereich. Schon aber meldete sich der Freund, der in Not. Also, mit erstem Latte macchiato freilich und mit der morgendlichen Pfeife, eine Stunde lang gesprochen, nachdem ich schnell noch >>>> das heutige DTs skizziert.
Jetzt bin ich mit dem bereits in Verzug.
Andererseits, es ist ja bereits ein Erfolg zu verzeichnen. Die Biester, die mein alter Hausarzt, der jetzt pensioniert ist, „Volksseuche Nummer 1” genannt hat, sind bis auf eines oder zwei schon wegge-, so muß ich es nennen, -brannt; doch diese beiden oder anderthalb sind hartnäckig. Deshalb kam ich ja auf die Idee mit dem Teebaumöl; in einem entsprechenden Internetforum gab es entsprechende Tips. Sie warnten aber auch. Nebenbei, schulmedizinisch ist die Wirkung nicht belegbar. „Am besten, du kombinierst das Medikament mit dem Öl.” Hatte ich gelesen. Und weil ich hart im Kämpfen bin, auch zu Weinerlichkeiten bei physischem Schmerz nicht sehr neige, und weil mich‛s insgesamt auf die Palme bringt, eingeschränkt zu werden, die Stellen halt unverdünnt betupft. Das brachte nun den Feind auf die Palme, er hat es mir deutlich zu verstehen gegeben. Aber bis Mitte Dezember auf schlagkräftige Alliierte zu warten, in diesem Fall den Chirurgen, ist mir allzu entsetzlich. Das Problem ist ja unterdessen fast allgemein: Kassenpatient zu sein.
Ich warte jetzt noch den Mittwoch ab, wenn ich in die erste mögliche Akut-Sprechstunde gehe; der Fachmann muß mir sagen, wie weit der Kampf schon gewonnen, tatsächlich, oder wo er halt doch mit dem Lötkolben ranmuß. Der Eingriff geht ambulant. Sollte der Chirurg auf Mitte Dezember beharren, zahle ich privat. Dann nämlich wird es sofort gehn.
Es ist ein riesiger Vorteil freier Berufe, daß sie solche Konsultationen und auch OPs steuerlich absetzen können, und zwar in gänze. Dann kommt das Geld indirekt zurück, wenn auch erst ein Jahr später.
Es ist, liebste Freundin, die Einschränkung der Möglichkeiten, was mich am tiefsten trifft, und zwar gerade in diesem Bereich, egal ob er zur Zeit nun sonderlich aktiv ist oder dieses nicht. Aus dem Spiel genommen zu sein. Grauslich. Nicht verkehren zu dürfen, bis das Zeug in die Flucht geschlagen.
Momentan ist übrigens Ruhe, jedenfalls fast. Mir wäre danach, abermals zurückzuschlagen, doch mein Instinkt sagt, gib uns mal eine Waffenruhe, wenigstens, eben, bis Mittwoch. Nicht daß der Arzt da befindet, so könne er erstmal gar nichts machen, das müsse erstmal verheilen.

Nicht sehr literarisch. Weiß ich. Doch etwas formulieren zu können, heißt immer schon, es im Griff zu haben. Ich habe es Ihnen schon oft zitiert: „Auch die Tiere schämen sich und kneifen den Schwanz ein, weil wir sie wissen und über ihren Namen befehlen und die brüllende Gegenwart ihres Einzeltums entkräften, indem wir ihn ihr entgegenhalten” (Th.Mann, Joseph und seine Brüder 1, Die Geschichten Jaacobs).

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Und das Buch wieder weggestellt. Eigentlich müßte ich die Stelle längst auswendig wissen.

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Abends, zumal bei geöffnetem Oberfenster, friere ich jetzt schon. Ich will aber noch nicht heizen. Für den Kopf ist die Kühle auch gut. Und Damenbesuch, derzeit, ist, siehe oben, ausgeschlossen. Was mich freilich erst recht wurmt, ob einer nun in Sicht oder nicht.
Ecker wiederum, in der >>>> Morgenlektüre, setzt übern Styx. Dabei belästigt es ihn sehr, dies nicht alleine zu tun. Dauernd weint eine Mitreisende, und der Herr nebenan guckt wiederholt aufs Zifferblatt einer Taschenuhr, die längst von Sterbewasser gefüllt und also stehen geblieben ist – was in dieser Situation allerdings sowieso geschehen wäre. Das einzig aber Beruhigende findet sich in dem Umstand, daß Charon (den der Erzähler einen „Schaffner” nennt) niemals kommen wird; beruhigend insofern, als Ecker keine Fahrkarte hat. Das ist natürlich logisch: Wie sonst könnte er uns diese Geschichte erzählen, wie sonst hätte sie ihren Weg nicht nur in ein Buch, nein auch zu einem Verlag gefunden?
Freilich der vorletzte Satz ist perfid: „Wäre dies eine Erzählung, könnte man ihr, ohne zuviel zu verraten, den Titel Unter Wasser geben.” Wie sie nämlich, o h n e „könnte”, h e i ß t:



Zurück zur Arbeit, Liebstfreundin und herrlichst’ Imago!
Die täglich dreißig Seiten Überarbeitung >>>> Thetis habe ich bislang stets geschafft, werde sie weiterhin schaffen. Auch mit der Übertragung der Aufnahme des Contessa-Familiengesprächs in ein schriftliches Protokoll geht es voran, wenn auch langsam. Die fünf Sprechenden sprechen teils arg durcheinander, auch nicht immer verständlich, zudem nicht selten in ihrem mir nicht sehr vertrauten Rheinisch. Wobei ich aber auch Wörter lerne, „im Kött” zum Beispiel für Schwalbenschwanz, also Frack.
Immer wieder stoppe ich und denke nach, immer wieder höre ich Stellen mehrfach ab. Es wird mich noch zwei Wochen kosten, mindestens, bis ich mit dieser ja nur Vorarbeit fertig sein werde. Zu anderem derzeit komme ich kaum; auch die Lektüren leiden schon wieder. Was mich gleichfalls nervt. Ich schriebe halt wieder so gern auch an Neuem oder käme zumindest mit bereits Begonnenem weiter. Die laufende – nötige – Arbeit geht indes vor.

November is‛, auch die, vorübergehend, Sonne, die wir gestern hatten, wischt den mir unangenehmsten Monat des Jahrs, zu dem längst der gesamte Berliner Winter geworden, nicht vom Tisch. Ich heize trotzdem noch nicht – und also t r o t z e (/–/-).

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