Euch täuschten Rosen nicht. Kleine Poetiken (1): Luis de Góngora.


Der Mund, der süß zu schlürfen muß verführen
den Saft, der köstlich zwischen Perlen quillt,
den Neid um Jupiters Getränk gar stillt,
mag’s ihm, von Ganymed kredenzt, gebühren,

an den, wollt liebend leben, dürft nicht rühren;
in Lippen, die Versuchung farbig schwillt,
sitzt Amor, der mit Gift die Waffe füllt:
in Blüten ist die Schlange nicht zu spüren.

Euch täuschten Rosen nicht, sagt ihr, euch schien,
daß Blütenstaub und Duft sind nur Genuß,
Aurorens Purpurschoß entsprängen sie in Reine;

nicht Rosen, Äpfel sind`s des Tantalus,
den, der erst angelockt sich sah, sie fliehn –
und von der Liebe bleibt das Gift alleine.


„Nur das Schwierige ist anregend“, schreibt der Kubanische Dichter Lezama Lima in seiner so klassisch gewordenen wie für die deutsche Literatur unmaßgeblich gebliebenen Essay-Sammlung >>>> „Die amerikanische Ausdruckswelt“: Nur das Schwierige sei anregend, denn allein der uns herausfordernde Widerstand könne unser Erkenntnisvermögen „geschmeidig krümmen und in Gang halten“. Und bezieht sich in seiner seinerseits vorgeblich dunklen Metaphorik auf den vorgeblich dunkelsten aller spanischen Poeten, den Barockdichter Luis de Góngora, dessen nach ihm in „Gongorismus“ benannten manieristischen Stil noch der gegenwärtige Brockhaus verunglimpfend „gewollt schwierig“ nennt… germanistoid, läßt sich das nennen, und lebensfeindlich sowieso innerhalb einer akademischen Doktrin, die jedes Adjektiv der Überflüssigkeit verdächtigt und wie ein böser calvinistischer Priester – wie ein Studienrat halt – das Leben so ausgedünnt wie möglich haben will: Texte ohne Gerüche, Gedichte, in denen es keinen Saft gibt und schon gar nichts monatlich blutet. Dabei schrieb doch Proust – er allerdings, vielleicht seiner weichlichen Filigranität wegen, auch von deutschen Rezensentlern geschätzt -, es vermöge nur die Metapher, dem Stil eine Art Ewigkeit zu geben.
Luis de Góngora ist ein Wahnsinniger der Metapher gewesen, – und da er zugleich jede Form erläuternder Erklärungen auf das stolzeste abwies, galt er auch im eigenen Land über zweihundert Jahre lang als unlesbar, geschmacklos, widersinnig. Es ist ohnedies immer verdächtig, wenn ein Dichter weiß, was er tut. Es war die Moderne, die ihn wiederentdeckte, und kein geringerer als Federico Garcia Lorca ist dann glühender… ich kann es zeitgenössischer nicht sagen: Fan geworden. Lezama Lima wiederum, dessen Roman Paradiso zu den literarischen Wundern des 20. Jahrhunderts zählt, folgte ihm in der Metaphernwut sogar noch nach. Die deutsche Germanistik (welch eine Wortverbindung!) hat davon freilich kaum etwas mitbekommen; sie favorisiert halt noch immer ihr Ghetto, und von draußen darf niemand da rein. Okay, paar Dichter aus den USA, aber auch das nur wegen Bündnistreue und weil sie sich so freundlich Robert Luis Stevensons Verdikt unterstellen, der gute Dichter meide Adjektive. Zu einem Satz indes wie dem folgenden ist der Engländer, so sehr ich ihn schätze, niemals vorgestoßen: „In Blüten ist die Schlange nicht zu spüren“. Er hätte auch nicht die Kraft besessen, eine Grotte das „melancholische Gähnen der Erde“ zu nennen, geschweige daß ihm, um einen unter der mediterranen Sonne verdunstenden Morgentau zu beschreiben, die Gnade der folgenden Formulierung zuteil geworden wäre: „Und kaum daß ihre Zunge drüberzuckte…/beginnt’s zu trocknen…“ So etwas bringt einem erst das Wagnis ein und die begeisterte Perversion, in der bewunderten Schönheit, die dir gegenübersitzt, bereits das helle höhnische Lachen zu ahnen, mit dem diese Frau dich verlassen wird – und dennoch ihre Schönheit zu preisen, das Leben zu preisen, „den Saft, der köstlich zwischen Perlen quillt“ – eine glückhafte, geradezu obsessive Lust an Speichel, dem der Dichter seinen Mund wie einen Kelch öffnet, in den interessanterweise Ganymed einschenkt – unversehens wird die homosexuelle Konnotation deutlich – und m e h r: Ganymeds „Saft“ reicht an die Lust nicht heran, die einem der Speichel dieser jungen Dame gewährt – so groß ist die sinnliche Gewalt solcher Schönheit, daß selbst der Schwule konvertiert – „mag’s ihm,“ – Jupiters Getränk – „von Ganymed kredenzt, gebühren“: Möge es also bei Jupiter bleiben, beziehungsweise wo der Pfeffer wächst!
Wobei selbstverständlich der „Kelch“ auf einen anderen deutet, auf ein anderes Gefäß, das wie der Gral ist, ein Motiv, das dasjenige der „Rose“ dann aufnimmt und im „Purpurschoß“ verstärkt, zumal in der Farbe der Morgenröte, fleischfarben also: Keine Frage mehr, daß es sich hier um ein pornographisches Gedicht im Gewande der Mythologie handelt. Post coitem omne animal triste, eine ästhetisch hochgradig perfekte Erinnerung aus der Perspektive der Vorausschau. Sämtliche Männer- und Schwulenängste verstecken sich drin: Daß Amor in der Möse sitzt und mit Gift die Waffe fülle, nimmt die vagina dentata – ich meine den Begriff, nicht die Furcht – um drei Jahrhunderte vorweg, und die lebensfeindliche Männerfantasie von Jungfräulichkeit – „Aurorens Purpurschoß entsprängen sie in Reine“ – koppelt die symbolische Rose an den symbolischen Apfel – der übrigens ein Granatapfel war und anders als u n s e r e Herbstfrucht wirklich bluten kann; schneiden Sie ihn einfach einmal auf… – All dies hast du gewußt, all dies hast du an dich gezogen, all dies hast du beiseitegewischt und hast vom Speichel der Schönen getrunken. Sie hat dich gelockt, sie hat dich genommen. Nun steht sie auf und lacht und geht. Zu lieben bedeutet, die Liebe zu verlieren, geliebt zu haben nämlich: „y sólo de el Amor queda el veneno“. Das höchst ambivalente spanische Wort- und Bedeutungsspiel, aufgespannt zwischen Amor als der Liebe und Amor als dem Gott, wurde leider ins Deutsche nicht mitübersetzt, – ich weiß auch gar nicht, ob es geht.
Der Mund, der süß zu schlürfen muß verführen
den Saft, der köstlich zwischen Perlen quillt,
den Neid um Jupiters Getränk gar stillt,
mag’s ihm, von Ganymed kredenzt, gebühren,

an den, wollt liebend leben, dürft nicht rühren;
in Lippen, die Versuchung farbig schwillt,
sitzt Amor, der mit Gift die Waffe füllt:
in Blüten ist die Schlange nicht zu spüren.

Euch täuschten Rosen nicht, sagt ihr, euch schien,
daß Blütenstaub und Duft sind nur Genuß,
Aurorens Purpurschoß entsprängen sie in Reine;

nicht Rosen, Äpfel sind`s des Tantalus,
den, der erst angelockt sich sah, sie fliehn –
und von der Liebe bleibt das Gift alleine.


Gongora Sonette Henssel

Luis de Góngora, >>>> Sonette
Übersetzt von Sigrid Meurer
Karl H. Henssel Verlag, Berlin 1960



>>>> Kleine Poetiken 2

2 thoughts on “Euch täuschten Rosen nicht. Kleine Poetiken (1): Luis de Góngora.

  1. Euch täuschten Rosen nicht. Kleine Poetiken Vielen Dank für dieses großartige Góngora-Sonett – und den faszinierenden Kommentar!
    (Den Band mit Sonetten werde ich mir besorgen. Góngora lernte ich in den Soledades-Nachdichtungen von Erich Arendt kennen. Góngora ist für mich selber ja auch eine kleine „Entschuldigung“ dafür, daß meine eigenen Texte von vielen als schwierig wahrgenommen werden. Limas „Paradiso“ war zu DDR-Zeiten ein Mythos, den Band des Aufbau-Verlags hatten wir alle. Die in dem Kommentar erwähnten Essays von ihm kenne ich leider noch nicht.)

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