III, 352 – Absolute Stille

Es hatte mich wieder hinabgezogen. Das war Samstag. Letzter Film vor Weihnachen. >>> ‘Cuori puri’ – ‘Reine Herzen’ – sollte es geben. Liebesgeschichte zwischen einem 25- und einer 18jährigen. Möglich, daß ich etwas wiedererleben wollte, was damals die Zahlenkombination 20/17 (oder 21?) hatte. Italienische Produktion, herausgekommen in diesem Jahr. Aber schon nach einer halben Stunde war klar: ich bin im falschen Film. Und hätte es mir auch schon vorher denken können: italienische Filme sind nichts für mich. Was zumindest das gängige Muster betrifft.
Eine Tochter und eine Mutter. Kein Vater. Engagement in der Kirche. Ein Priester oder sonstwie Kleriker, der über Keuschheit vor der Ehe redet, vor ihm als Zuhörer lauter junge Menschen. Engagement zugunstens eines Rom-Lagers (also Zigeuner): Geschenke, Gaben. Emotionen, die im Konzilianten versinken: “Wir sehen uns in der Kirche?” So die Mutter zur Tochter. Eine moderne, aufgeschlossene Kirche. Konziliant, wie gesagt.
An das Rom-Lager grenzt ein Parkplatz. Wächter des Parkplatzes ist der 25jährige. Job-Probleme. Manchmal Ärger mit den Zigeunern. Auch er hat eine Mutter, aber eben auch keinen Vater. Verhältnis dito konziliant.
Was Konflikt sein und auf Widersprüche verweisen könnte, wird im Keim erstickt. Etwa die Geschichte der Mutter des 25jährigen, die ihre Wohnung verliert. Irgendwann besucht er sie mit der 18jährigen (da hatte er sie schon geküßt gehabt und war mit ihr am Meer und auch im Wasser gewesen (also wahrscheinlich, um doch noch etwas Körper hineinzubringen)), dann in ihrer Notbleibe: ein Bekannter hatte ihr einen Wohnwagen zur Verfügung gestellt. Das war’s aber auch schon zu dieser Thematik. Nicht der Anflug einer Analyse.
Schauspielerisch überhaupt flach und bar aller Innigkeit. Die Mütter erscheinen als zufällig gewählte Schauspielerinnen. Nach einer Stunde stand ich kurzentschlossen auf und ging. Bloß keine italienischen Filme dieser Art mehr!
Carlo, ein Doppelmensch, denn es gibt Carlo I und Carlo II, geht da ganz anders mit seiner Mutter um in Pasolinis >>> ‘Petrolio’ (hier eine andere Rezension der bei >>> Wagenbach erschienenen Übersetzung): den bzw. das mir für diese Jahresendzeit hervorgeholt (das Buch besitz’ ich als Erstausgabe (heißt aber nur, ich kaufte es, sobald es erschienen war, ohne es aber gleich zu lesen (aber verräterisch allemal das Wort ‘Besitz’ (ein Buch besitz’ ich erst, wenn ich’s gelesen)))), der sie nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals fickt. Und nicht nur sie, sondern auch seine vier Schwestern, was aber nicht näher beschrieben, sondern nur noch erwähnt wird, wie auch noch die Großmutter, einer ihrer Freundinnen, mit der Dienstmagd der Familie, ihrer vierzehnjährigen Tochter, zwei Dutzend gleichaltrigen Mädchen usw. Beschreibungen exhibitionistischer Szenen.
Kann auch sein, es sei dies nur eine Metapher für das, was Seiten später folgt: die Beschreibung von Firmenverflechtungen. Mutter- und Tochtergesellschaften. Das Sexuelle der Macht wie schon in >>> ‘Die 120 Tage von Sodom’ (als ich ihn damals sah, waren es eher die anderen Zuschauer, die den Film vorzeitig verließen).
Es folgen Szenen aus dem Salon-Leben (Macht-Besitzer) im Rom der späten 50er und frühen 60er Jahre. Und bin bei einem Fünftel dieser Geschichte. Das ganze Projekt war auf 2000 Seiten angelegt, publiziert wurde dann das, was sich vorfand. Pasolini: “ma io vivo la genesi del mio libro” (petrolio 48).
Also eher das Beschreiben der Entstehung dieses Projekts.
Da ich ihn, Pasolini, schon oft sprechen hörte (youtube gibt hierzu reichlich Möglichkeit): ich höre tatsächlich seine Stimme, die Art, wie er sprechend die Worte setzt.
Am Heiligen Abend die Einladung zum Weihnachtsessen bei den Ukrainern. Wahrscheinlich, weil ich vor ein paar Tagen Meroslava auf ihre Bitte vom Zahnarzt abgeholt, denn sie hat ja keinen Führerschein. Also Rotwein schon zu Mittag und auch noch zwei Gläschen 50prozentigen Vodkas direkt aus der Ukraine. Kindheits- und Jugendgeschichten, die gar nicht mal so unähnlich waren, was zum Beispiel Schweineschlachten betrifft, oder daß da einer gewesen sei, der immer sagte, man müsse morgens, wenn man einen Kater hat, gleich erstmal ein Bier trinken. So einen gab’s im meinem Dorf auch. Nu’ lebt er nich’ mehr.
Beim Rauchen auf dem kleinen Terrässchen die Feststellung an diesem ersten Weihnachtstag: absolute Stille!
Und, oh holy shit, die ganze Zeit lief der Fernseher, während wir am Tisch saßen! Und immer noch dieselben Gesichter, die ich noch vor meiner fernsehlosen Zeit (zehn Jahre nun schon) kannte.
Als ich heimkehrte, lief wieder die Wiedergängerin um, die es scheinbar zu Hause nicht aushalten kann, verduckt ihre Richtungen wechselnd, aber sie ließ sich nicht vermeiden. Ich grüßte, machte ein paar Bemerkungen zur Stille der Tageszeit und schlupfte in meinen Hof hinauf.
Bis zum nächsten Morgen, der heute war, fastete ich.

III,351 <<<<

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