[Arbeitswohnung, 7.18 Uhr]
kann Kunst werden, was Religion nicht sein kann.
Steffens, Die Narbe, 195
Es war in den letzten Tagen nicht möglich, Ihnen, Freundin, zu schreiben, weil zu viel aufeinander eng gepackt war, weil vor allem eines in dem Stoß, das bereits einmal „angedacht” war, seine Vorrealisierung wollte: nämlich eine Arbeit der Zusammenstellung.
Vor schon zweidrei Monaten hatte mir mein >>>> Arcoverleger nahegelegt, doch einmal ein Buch mit meinen Texten über andere Autor:inn:en vorzulegen, weil dies sehr schön die eben „andere” Seite meiner Produktivität bezeuge: nämlich eben nicht „nur” der egomane Schriftsteller zu sein, der immer nur sein Eigenes vor Augen habe, sondern sehr wohl Literaturen refletiere, die nicht aus seiner Feder/seinen Tasten stammten – und weil die Art, in der ich dies täte, etwas Besonderes habe.
Nun sind oder waren mir die in Buchform noch nicht veröffentlichten eigenen Gedichte zwar wichtiger. Dennoch gibt es nun einen Anlaß – ich mag über ihn noch nicht sprechen, sollte es jedenfalls nicht –, der solch einen, sagen wir, „Sekundär”band recht wichtig machen könnte, so daß aus der Idee etwas wurde, das sich mir fest in den Kopf zu setzen begann. Und also stellte ich mal zusammen, was in den Dateien so abgelegt ist. Hinzu kommt, daß der Verleger ein Auge auf meine Hörstücke geworfen hat und mit der Idee einer CD-Sammlung spielt, besonders eben auch da, weil sich rund die Hälfte dieser Stücke ebenfalls mit anderen Autoren beschäftigt.
Was nun die Texte anbelangt, war ich schließlich selbst erstaunt, wie viele es eigentlich sind. Ich habe jetzt alles beisammen, was seit den späten Achtzigern verfaßt wurde – seit ich mit dem Computer arbeite, der das Anlegen von Dateien erst ermöglicht hat, also das relativ problemlose Archivieren. Was ich davor zu anderen Autor:inn:en schrieb, liegt noch als Durchschläge in den Papierstößen unterm hinteren Regal – weggeschmissen habe ich, meiner Erinnerung nach, eigentlich nie was; selbst Durchschläge von Briefen, die ich mit sechzehn schrieb, sind aufbewahrt. Wie auch immer, das neue Buch hätte bereits jetzt einen Umfang von näherungsweise eintausend Seiten – so daß gewiß nach einer Finanzierung Ausschau gehalten werden muß. Es alleine zu stemmen, setzte den Verlag – vor allem angesichts der Schnelligkeit des Zeitlaufs – durchaus unter Druck, wobei es halt wichtig ist oder sein könnte, wirklich bereits im Herbst mit dem Band auf dem Markt zu sein.Dreivier Tage, bisher, war ich mit der Zusammenstellung beschäftigt; dazu waren die Familienunterlagen der Contessa zu sichten, um den bis ins 15. Jahrhundert rückreichende Stammbaum entwerfen und danach dann auch die eigentliche Geschichte beginnen zu können. Eine proppevolle CD-Rom mit sämtlichen Daten und eingescannten Unterlagen, Papieren, Aufzeichnungen traf hier ein. Außerdem waren die nächsten Fahnen zur Aeolia durchzusehen und korrigiert nach Wien zurückzuschicken. Schließlich, doch eben nicht zuletzt, hatten wir Feiertage und gleich auf diese folgend den Zwillingsgeburtstag gestern:
Angesichts des Buchumfangs ist „klein” ein hübscher Euphemismus.
Die >>>> DTs setze ich bis zu meiner Rückkehr am 16. Januar allerdings aus.
Mich beschäftigt derzeit sehr >>>> der Steffens:
Fraglich freilich – oder der Konsequenz der These ausgewichen – ob, daß die Änderung der Formen eine Veränderung der Substanz bewirke, eine Illusion sei, nämlich diejenige, so Steffens S. 173, auf der die Vorstellung eines Jenseits beruhe. Die eigentliche, nämlich realitätsbildende, ja -schaffende Kraft der Illusion zeigt sich doch in dem Umstand, daß sie real wirkt, wirken jedenfalls kann. Er beweist sich in dem Buch selbst (Aragon: „Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen”), insofern es den Anspruch auf Glück im Diesseits zwar negiert, bzw. das Glück derart momenthaft faßt, daß es quasi sofort in Unglück umschlagen muß, es aber immerhin als Glück durchaus zugibt und sogar, siehe abermals das Motto, dieses Glück in der Kunst als ein länger währendes sich einrichten sieht. (Jetzt stelle auch ich schon das Reflexpronomen nach….). Damit wird immerhin der sozialrevolutionäre Anspruch erfüllt, das paradiesische Jenseits eben doch in unser Diesseits herüberzuziehen – als ein mögliches selbst dann, wenn eine dauerhafte Realisierung verwehrt bleibt. Unterm Strich freilich sieht Steffens das Unglück der Welt in ihrer Veränderbarkeit, mehr noch: in ihrem Charakter stetiger Veränderung selbst begründet, also in der Endlichkeit des empfindenden Subjekts.Problematisch, für mich, ist diese Ansatz, insofern er im Rahmen der – ohnedies nur abendländischen – Trennung von Subjekt und Objekt ebenso die Trennung von Substanz und Akzidenz mitmacht, die wiederum ich ebenso zu unterlaufen versucht habe und versuche wie den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Denn diese Trennung wertet, und zwar von vornherein. Indem Steffens sagt, Welt sei das Unglück, übersieht er Kinderaugen und -herzen. Er wertet mit dem Blick zurück, nicht einem nach vorne – alleine des Umstands wegen, daß er seiner eigenen Endlichkeit spürbar näherrückt. Daß Erfülltheit aber war, wird, weil sie nun nicht mehr sei (oder stetig unwahrscheinlicher werde), zum „nie gewesen”. Daß aber etwas und nicht nichts ist und etwas Spezielles nicht nicht war, wird dabei überwalzt.
Fragwürdig ist für mich eine weitere These, die direkt auf die Unterstellung des menschlichen freien Willens zurückgeht: Das größte Unheil, das größte Unglück sei das von Menschen zugefügte, weil es nämlich vermeidbar gewesen wäre, einen anderen Willen der Schädiger vorausgesetzt. Dies unterschlägt, daß sehr wahrscheinlich unsere Willen ebenfalls bedingte, das heißt mit notwendigen Gründen erzeugte sind, daß sie letztlich selber naturhaft sind. Steffens hingegen macht die alte, meines Erachtens falsche „Gleichung” – also Ungleichung – Natur ./. Mensch auf, und zwar deshalb, weil Natur kein Bewußtsein habe, sondern sich „einfach” vollziehe – so blind wie gefühllos (in der Psychologie: gemütlos). Nun ist aber nicht zu sagen, ob nicht das menschliche Gemüt (Empathiefähigkeit, ja selbst die Erzeugung von Illusionen) eine fortentwickelte Emanation von Natur ist.
Hier fußen meine Kritikpunkte. Steffens setzt den Schmerz absolut, nicht die Lust, die, um zu sein, um überhaupt empfunden werden zu können, den Schmerz aber braucht. Womit er, Steffens, allerdings recht hat, ist, daß etwa der Liebeskummer umso unerträglicher gerät, je näher wir an unser physisches Ende kommen, das für mich dem psychischen völlig entspricht. Nach mir wird eine andere Form aus mir werden, es werden – vorausgesetzt man verbrennt mich nicht, was Demeter von mir abwenden möge – viele Formen aus mir werden, doch keine von ihnen wird, schon gar nicht alle zusammengenommen, noch etwas mit dem zu tun haben, was Ich war. Dieses, was Ich war, wird manifestiert in dem bleiben, was ich hinterlasse, aber sich von dem tatsächlich gewesenen Ich in ein ideales verwandeln, das eine Interpretation meiner späteren Leser:innen sein wird – also in jedem Fall ein fiktives Ich, das selbst Literatur ist – oder Musik, oder ein Gebäude, oder ein Bild. Daß es Beethoven gab, Bach gab, Musil gab, Kafka, Hilbig, ist nichts mehr als eine Erzählung, und zwar vom selben Rang der uns überlieferten Erzählungen über Cäsar, Kung fu tse, Sherlock Holmes, Konrad Adenauer, Jesus von Nazareth, Tarzan, Elias,Adrian Leverkühn, Mohammed usw.
Doch wie gesagt, noch bin ich mit dem Buch nicht durch.
Auch noch nicht mit >>>> Eckers, der heute bezeichnenderweise von jemandem erzählt, der, obwohl er längst tot ist, einfach weitermacht, und niemand merkt, daß er tot ist, sondern man gibt ihm sogar gute Ratschläge, dessen infamster folgendermaßen lautet: „Laß es bleiben. Morgen ist ein neuer Tag.” Dabei habe er, Ecker, „das Recht auf Teilhabe längst verloren”:
Hiergegen halte ich entschieden die neunte >>>> Bamberger Elegie:
Ihr ANH