Isola africana (1). Das Arbeitsjournal des Mittwochs, den 3. Januar 2018.

[Mâconièrevilla Uno, Terrasse im Vormittagslicht
10.32 Uhr
Britten, Rhapsodie für Streichquartett]

Arbeitsplatz vormittags 030118
Das Netz hier ist wahnsinnig langsam. Die erste Villa steht landeinwärts vier Kilometer, also entfernt vom Meer; bei der zweiten wird es ähnlich sein, fürs Netz möglicherweise noch problematischer, da diese frei, fort von jeder Ansiedlung, direkt aus der Vulkanlandschaft heraus erbaut wurde: als ein, soweit ich bislang vernahm, architektonisches Kunstwerk, das auf die Landschaft antwortet. Dort sei das Internet allein über Satellit erreichbar, und wir möchten doch bitte darauf verzichten, größere Datenpakete hin- und herzuschicken. Aber schon hier dauert es und dauert, bis ich allein nur aus meinem flickr-Konto eine einzige Fotografie heruntergeladen habe – was ich soeben für dieses Arbeitsjournal tue. Der Emailverkehr hingegen funktioniert problemlos. Ich muß mich nur darauf einstellen., daß alles langsam, sehr langsam vonstatten geht. Doch entspricht dies durchaus meiner Verfassung. Denn dieses Arbeitsjournal, wie wahrscheinlich die nächstweiteren Journale ganz genauso, wird auch ein Trauerjournal sein. Weshalb, Freundin, >>>> wissen Sie ja.
Da haben die langen Gespräche, die gestern seit meiner Ankunft und bis in die späte Nacht hinein die Mâconière und ich geführt haben, mehr als nur gepaßt – erwachsene Gespräche, die um leidvolle Erfahrungen und Prägungen kreisten und sicherlich weiter kreisen werden, zyklisch wieder und wieder liegen gelassene oder vorübergehend beiseitegestellte Motive an ihren offenen Enden wieder aufnehmend oder Dasselbe oder Gleiche aus anderer Perspektive betrachtend, miteinander dabei schonend im Umgang, zuhorchend, wobei ich Ihnen mehr, verehrte Frau, hier nicht erzählen möchte, denn darum hat die Mâconière mich gebeten. Sie war nach meinem Trennungstext erschüttert und verängstigt, so sehr, daß sie ihre Einladung fast wieder zurückgenommen hätte, jetzt aber froh ist, es n i c h t getan zu haben; auch ich selbst war bis direkt zum Abend vor der geplanten Abreise unsicher geworden, wobei es mir nun ganz genauso geht wie ihr. Es gibt eine Art Frieden im Einverständnis mit Leid ab dem Moment, da wir es als ein nötiges in uns integrieren, es also annehmen und dann schauen, auf uns zukommen lassen, welch eine Wandlung es in uns bewirkt.„Keine Worte“, schrieb mir die Löwin am Neujahrstage und wünschte mir ein Jahr, das mich tragen werde. Manchmal weine ich still und trocken vor mich hin. Ich habe einen Teil von mir selbst amputiert; das Messer aber war das amputierte Teil selbst: eine Hand, die sich selbst abschneidet, ein sich selbst entnehmendes Organ. Wahrscheinlich macht alleine dies, macht dieser Diese Umstand macht den Vorgang bemerkenswert, der ansonsten so banal wäre, wie es die meisten Trennungen sind. Daß etwas banal sei, bedeutet ja nicht, es sei nicht voller Schmerz; doch das nicht-Banale begründet eine Haltung und garantiert wahrscheinlich auf eine besondere Weise den Fortbestand der Liebe. Wir entfernen sie nur aus der Realisierung; sie entfernt sich von der Notwendigkeit, vorgezeigt zu werden; nun braucht sie keinen „Beweis“ mehr.

Es ist dabei erstaunlich, daß ich ausgerechnet in dieser Zeit zu >>>> Steffens’ Narbe griff, über dessen Buch ich nun auch anderswo, gewissermaßen zusammenfassend, schreiben möchte. Habe solch einen Text heute früh angeboten und warte nun ab, ob die Redaktion mag. Es hat sich, nebenbei bemerkt, ein Briefwechsel zwischen dem Philosophen und mir ergeben, der mit hoher Sicherheit fortgesetzt werden wird. Zugleich hat mein Arcoverleger für >>>> Gerd-Peter Eigners hinterlassenes Werk ein tiefe Leidenschaft entwickelt und sie in einem Brief an seine Rechtsnachfolgerin auf nahezu erschütternde Weise zum Ausdruck gebracht. Ich war, als ich – ins Cc gesetzt – ihn las, enorm bewegt.
Ich las ihn am Meer, wohin wir vor dem Einkauf gefahren und worin ich entgegen meiner Vornahme nicht schwamm, sondern wir hatten ein Restaurantchen direkt am Ufer, davor eine kleine Promenade entdeckt, bekamen einen Tisch, aßen eine Fischplatte und sprachen langsam weiter, während wir aufs hier fast ungedünte Wasser blickten, das zunehmend zu einem Spiegel wurde, zusammengehalten als Milliarden Miniaturspiegel aus dem blendenden Schuppensilber Hunderter Nymphen, wenn deren Flossen sich ins Licht herauf heben und aber langsam wieder senken; nein, sie schlagen die Oberfläche nicht, es ist vielmehr dem Streicheln gleich, mit dem übers Wasser wie uns über die Haut der Wind streicht.

Meere & Vulkane

Was ich hier nun tun werde außer weiterzusprechen, sicher auch hin und wieder etwas vorzulesen – der Mâconière wie mir, zur Selbstvergewisserung selbst? Vorrangig am Familienbuch der Contessa arbeiten, auch die Überarbeitung der alten Erzählungen wieder vornehmen, die beiden Rezensionen schreiben und gewiß viele Briefe schreiben. Ob ich tatsächlich tauchen werde, ist mir seit heute morgen fraglich. Denn ich habe das Glück geschenkt bekommen, arbeiten in der Sonne zu dürfen, unter freiem Himmel. Das möchte ich nicht für einen weiteren Terminplan gefährden. So ist meine Gastgeberin nun schon ans Meer gefahren, derweilen ich selbst mich in die Dichtungen versetze und Musik höre dabei (unterdessen Brittens Cellosinfonie). Allerdings hält mich gerade mal wieder der vermaledeite Unnetzzugang auf. Aus irgendeinem Grund wird nun auch mein mobiler Speedport nicht mehr erkannt, genauso wenig wie meine Bosereiselautsprecher von Bluetooth. Blöd das.

Sonne, Freundin, immerhin. Und dieses dort ist der Leseplatz der Mâconière:

Ohne Titel

 

Diesen, von ihr, werd ich zeigen dürfen.Ihr, in der Sonne Ruhe, traurig
ANH

3 thoughts on “Isola africana (1). Das Arbeitsjournal des Mittwochs, den 3. Januar 2018.

  1. lieber alban sehr bewegend dein abschied von der löwin, der schon seit jahren meine bewunderung galt, fest an deiner seite.
    und eigentlich euch beiden denn das zu leben, wie du es beschriebst, romantische liebe und harte sexualität in einer beziehung, halte ich inzwischen für ein unterfagen, das nur sehr selten gelingt. die interpretation deiner impotenz bestürzt mich in ihrer offenbarung eines tief liegenden aberglaubens und macht im nachgang die konsequenz mit der du dein leben lebtest zu einem höllenritt, der schließlich die lebensfeude verbrannte. soll ich sagen ich habe es geahnt? es käme mir vor wie postmortale besserwisserei. wiederum die naivität des romantischen moments in dem du dich als varer wähntest ringt mir bewunderung ab. eigentlich ist er nie verloren gegangen der kleine junge in dir voller begeisterung. ich wünsche dir für 2018 dass du ihn wiederfinden mögest.
    in entfernter und entfremdeter, aber bleibender verbundenheit
    a.h.

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