Nicht nur ein Abend für Wolf Wondratschek. Sondern, nämlich, vor allem, für uns. Als nachträgliches Fest zu seinem Fünfundsiebzigsten zur Feier Ullsteins als seinem neuen Verlag. Überraschend mit Arash Marandi.

was du träumst,
beginnt wie Liebe,
was du liebst,
hört auf zu sein
Wondratschek, Es gibt etwas
 

Freitag, den 31. August 2018

Freundin,

von einem grandiosen Abend ist zu erzählen. Ich war, sagen wir, heikel hingegangen, >>>> deshalb, aber hatte mich schon lange angemeldet; dies sei für den Anlaß erfordert, hatte es geheißen.
Ich war darüber hinaus – eigentlich „darunter hinaus“ – in so schlechter Verfassung, daß ich das Fahrrad nicht nehmen mochte, wirklich kein gutes Zeichen bei mir; doch es regnete draußen, ich wäre nach den knapp zehn Kilometern klitschnaß angekommen. Was mich normalerweise nicht stört, bloß daß ich die Nacht zuvor – einen Depressionsgrund austragend, den ich noch jetzt nicht nennen kann – unter heftigen Bauchattacken gelegen hatte, so, wie man „im Gefechtfeuer“ sagt, und deshalb so gut wie nicht geschlafen, stand den ganzen Tag über ein bißchen neben mir, als wäre ich tablettensediert, war deshalb zu gar nichts gekommen; imgrunde war mir nur noch danach gewesen, mich ins Movie-Entertainment wegzuschießen, aber zog den Trenchcoat über, packte mein Buch (Kjærstads hinreißenes >>>> Norman-Areal), wählte den Hut und begab mich zur SBahn.
Nimmt man s i e anstelle des Rades, wird Berlin eine gänzlich andre Stadt, so wie beim Autofahren eine wiederum andere und auf Spaziergängen n o c h eine nächste. Das Thetis-Vorspiel erzählt davon. Mir wird’s in S und U deshalb schwer, mich auf ein Buch zu konzentrieren; ich sehe da fast nur die Menschen an, die Sinnlosigkeit ist ein unsichtbarer Gegner,/wo das Kinn treffen,/wo es keinen Kopf gibt? (Wondratschek, Spätvorstellung in der Stammkneipe). Doch auf dem Ku’damm schließlich war von Regen gar nichts zu spüren, die Stadt bleibt zweigeteilt, fürwahr. Mich empfingen Litfaßsäulen (welch >>>> ein Wort!), deren Plakate auf Englisch und Deutsch von Zügen der 68er-Bewegung erzählen, was ich, weil ich noch Zeit hatte, las, dann weiterflanierte, ein Wort, das fast nur am Ku’damm noch stimmt, jedenfalls in Deutschland.
Über die Meineke hinweg, auch über die Fasanen noch weg, nur ein Stückchen, der lockenden Schuhauslagen halber, auch war mir Patrizia Pepes Name noch neu. Doch weder er noch ihre „Hautcure“ wußten mich wie Litfaß zu binden (läßt sich’s von „litfassen“ sprechen? jemanden litfassen). So rückwärts schwenk, zwei- oder dreimal zehn Schritte und rechts in die, ecco, Fasanenstraße.

Vorm Eingang des Literaturhauses schon drängte sich die Menschenschlange bis durch die Tür und die Treppen hinter der hoch. Da ich vorbestellt hatte, kam ich aber schnell hindurch, erhielt oben sofort einen Wein und suchte mir einen Platz. Nur waren im Saal schon alle Stühle belegt. Was mich nicht störte, auf Veranstaltungen stehe ich gerne. Doch war auch für Stehplätze fast kein Platz mehr.
Nach zweidrei Durchrundungen auch des Nebenraumes noch fand ich dennoch einen, mit allerbester Sicht,

von der aus ich nach Wondratschek schaute. Ich war ihm niemals vorher begegnet, obwohl er für mich lange Zeit eine Art Ideal gewesen ist – weniger waren es seine Gedichte, deren auch formale Qualität mir wirklich erst gestern abend klar wurde, erst recht nicht war es seine Prosa, die ich überhaupt nie wahrgenommen hatte, sondern seine persönliche und professionelle Kompromißlosigkeit, dabei diese höchst vitalistische Geradlinigkeit, auch die Furchtlosigkeit dieses Mannes – kurz: seine Freiheit.
So ist es ausgesprochen bezeichnend, daß ich bis zum Beginn der Veranstaltung, der sich wegen des Andrangs immer mehr verzögerte, jemanden anderes für Wondratschek hielt als ihn selbst, der mir nämlich gar nicht auffiel. Dabei dachte ich doch, meine Güte, für 75 sieht er aber jung aus! Wie 50 sieht er aus! Wie macht er das? Er ist drin ja besser als ich! Und welch eine, ich möchte sagen: gestikulare und in Haltung des Körpers , Ähnlichkeit >>>> mit Krausser er hat! Was ebenfalls paßte, meinen Irrtum grundierte: Auch von ihm, Krausser, spreche ich wie von Wondratschek klar als von einem Kollegen, etwas, das mir bei nur wenigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern so einfach von den Lippen geht. Jedenfalls spürte ich, mit dem sei nicht gut Kirschen essen. Ihn allerdings als Freund zu haben, bedeutete unbedingten Verlaß.
So beobachtete ich meinen vermeintlichen Wondratschek weiter, Raucher, aha, mit halb der Welt vertraut, was die Halbwelt mit einschließt, meine Güte, welch Frauentyp, welche Schultern … undsoweiter … als dann die beiden Damen des Hauses, seine Leiterinnen, das Fest mit einer Art Zwiegespräch eröffneten, das spürbar geplant nicht laufen wollte und also ziemlich danebenging, so daß sie, nachdem das ebenso geplant eingestanden war,  nunmehr den Verleger an das Mikrofon baten.
Ui.
Justament ihn, Gunnar Cynybulk, hatte ich für den Dichter gehalten, der indes, sehr viel schmächtiger, auch von Körpergröße kleiner, sehr viel bescheidener, ja überhaupt – ausgerechnet Wondratschek – bescheiden am linken vorderen Tisch saß. Nicht die Spur des „unerträglichen“ Querkopfs, mit dem selbst die Einladung warb:

Eigentlich ist er unerträglich… 

Davon war und blieb nichts zu merken. Statt dessen Cynybulks Leidenschaft, aus der auch das Bewußtsein sprach, einen großen Schritt in die Richtung getan zu haben, die er vor etwas mehr als einem halben Jahr >>>> im Börsenblatt ausgerufen hatte. Mit Wondratscheks Werk hat er Ullstein ohne jeden Zweifel einen Merkstein der deutschen, zumindest bundesrepublikanischen eben nicht nur Literatur, sondern Literaturgeschichte ins Haus gewuchtet, einen des unabhängigen großen poetischen Außenseitertums und zugleich aufrechten heißen Lebens. Anders als viele Dichterinnen und Dichter, die meinen, die Welt allein beobachtend begleiten zu müssen oder auch nicht anders, meinetwegen, zu können, gehört Wondratschek zu jenen eben nicht, die Aldous Huxleys Burlap, ja, ich glaub, es war Burlap, aber nageln Sie mich hier nicht drauf fest, >>>> das Buch ist zu dick, um jetzt lange zu blättern … also die er kalte fliegende Nacktschnecken nannte:

Sie sahen aus wie Männer,
als das Leben noch Männersache war.
Sie waren müde,
man sah, daß sie müde waren,
müde vom Warten.

(Spätvorstellung in der Stammkneipe, ff)

Zu denen gehört auch Cynybulk zweiffellos nicht (zur Unterstreichung dessen wollten meine Finger das Wort, wie Sie sehen, gleich mit zwei f schreiben; nun ist eines durchgestrichen, wiewohl es ihm doch stand). Sein Hohelied auf den Dichter nannte der Verleger zum Abschluß eine Predigt, um ihr ganz folgerichtig, und auch das sprach er aus, die Liturgie folgen zu lassen.
Ich war sprachlos von der Qualität solcher Rhetorik, nein, nicht sprachlos, … – angesext. „Warum bist eigentlich du nicht bei Ullstein?“ fragte mich in der Pause eine Berliner Kritikerin. „Nun jà“, gab ich zur Antwort, „wie Wondratschek eben gesagt hat: ich hab nicht viel Glück mit meinen Verlagen gehabt – auch ich eben nicht. Wobei, j e t z t bin ich doch sehr gut versorgt mit Elfenbein, Arco und mare und im nächsten Jahr mit Septime dazu.“
(Selbstverständlich kam nicht nur d i e s e s Pausengespräch auf >>>> meine Werkschau; die gehört aber hier nicht hin; was darüber zu sagen ist, schreibe ich als Kommentar vielleicht nachher.)

Wie nun vordem das Zwiegespräch der Hausleiterinnen, ging Cynybulks Liturgie freilich erst recht schief, die vorgesehen hatte, daß, bevor Wondratschek selbst, nach der Pause nämlich, lesen würde, und zwar aus >>>> seinem neuen Roman — also daß einige seiner Gedichte von Schauspielern und Schauspielerinnen vorgetragen werden sollten. Womit eine junge, im Publikum sitzende Dame denn auch begann.
Und sie setzte sich wieder.
Da erhob sich Wondratschek widerliturgisch und sagte: „Das Gedicht habe ich nicht geschrieben“, die junge Dame möge verzeihen. Dann nahm er vorn am Mikrofon Platz. Und überhaupt, es mißfalle ihm höchst, erst nach der Pause dran zu sein – nicht, weil er, jetzt in meinen Worten, solch eine Rampensau sei, sondern weil er dann bis nach der Pause keinen Rotwein trinken dürfe. Was  aber wär das für ein Fest, auf dem er sich, das Rauchverbot sei finster genug, enthalten müsse? Deshalb werde er seine Lesung vorziehen und auch nicht zwei, sondern nur ein Kapitel uns zu Ohren bringen.
„Ah Wondratschek! Typisch! Jetzt wirft er schon  den gesamten Ablauf durcheinander!“
Eigentlich ist er unerträglich,“ murmelte zitierend jemand nahbei.
Ich indes war tief erfreut, auch übrigens über Cynybulks und seiner Mitarbeiterinnen Grandezza, mit der plötzlich neuen Situation umzugehen, die freilich, wie sich zeigen sollte, dem Abend überhaupt erst zu dieser seltenen Größe verhalf. Sie ahnten es wohl, zumal ohnedies nur wenig kaputtgehen kann, wenn es freie Getränke und auch etwas zu essen gibt.
Also, Wondratschek las.
Da war dann von der machistischen Großheberei nicht mal ein Nötchen zu spüren, den ihm der (eine contradictio in adiecto) „Kleingeist“  so gern nachsagt. Wir vernahmen statt dessen eine sensible, ja zärtliche Hommage an Clara Haskil, deren insbesondere Aufnahmen der beiden moll-Klavierkonzerte Mozarts auch bei mir einen Ehrenplatz haben.
Was mich an Wondratscheks Prosa nun aber besonders berührte, war, wie ausgerechnet er, der vorgebliche Großkotz, ein Liebeslied auf die Bescheidenheit singt, und zwar so, daß es auch Ihnen, Freundin, das Herz eingeschnürt hätte – und wie etwas, das sich billig, weil er über eine eigene Formulierung ins Schwärmen geriet, als Selbstverliebtheit interpetieren ließe, in Wahrheit für ein Zeugnis der Liebe Wondratscheks zu seiner Sprache erweist. Das Deutsche, soll er einmal gesagt haben, sei wundervoll — sofern man es nicht brülle. Wer dächte da nicht an Daniela Danzens Satz, sie sei dankbar dafür, in der Sprache Hölderlins schreiben zu dürfen?
Ich war sehr benommen, sagte später zu Gaga Nielsen, die mich Wochen vorher auf diese Veranstaltung überhaupt erst aufmerksam gemacht hatte: „So etwas bekomme ich viel zu selten aus deutscher Sprache zu lesen“, wobei ich’s ja „nur“ hörte, was aber fast mehr ist als Gelesenes, Musik-selbst ist, was eben Sprache als Dichtung sein muß. Alles andre ist Regieskript.
Da bekam ich Lust, selbst ein Stück Wondratschek vorzutragen. Wozu auch Zeit und Ort gewesen wären, ja „die Liturgie“ sah eben solches vor: daß Gäste ans Mikrophin traten, um aus den übrigens frei verteilten Büchern vorzulesen. Hier hätte ich mich sehr gerne mit eingereiht, einfach so, ohne zu sagen, wer ich bin. Ich hatte auch schon das entsprechende Lyrikstück gefunden, das „Männer und Frauen“ heißt und nicht nur einem ganzen Band den Titel gab sondern – so hätte ich es auch angekündigt: – Wondratscheks EIN·FÜR·ALLE·MAL zur wie politischen so erotischen „Correctness“ ist:

Was ist es,
dieses Tier,
aus Mann und Frau gemacht,
und ungeboren?

Aber es kam anders. Ganz anders. Wie er selbst, also Wondratschek, später sagte, da war er restlos beglückt: „Jedes Fest braucht auch eine Überraschung.“ Nur daß freilich erstmal die nachgeschobene Liturgie sich nun abspulte. Nach und nach traten die Vortragsverpflichteten auf, gingen nach vorne, lasen brav ihren Text – einmal las sogar, allerdings von ihrem Tisch aus, die Kritikerin Julia Encke ein Wondratschek-Gedicht, auch dies ein zarter, je zärtlicher Text, nämlich auf seinen Sohn, als der noch klein gewesen -, – – – als jemand sich vors Mikrofon setzte, von dem nicht nur ich zuerst annahm, er gehöre in die vorgeplante Riege … der nun aber etwas tat, was Wondratschek selbst durchaus entsprach: Er riß nämlich die gesamte Veranstaltung an sich, nicht vorlaut, nicht drängelnd, sondern qua Klasse. Der vierunddreißigjährige Schauspieler Arash Marandi.
Anders als seine Vorgänger:innen memorierte er und trug frei einen langen, sehr langen Text, nämlich die Carmenverse vor. Wondratschek saß — verzeihen Sie die Stanze, ich erspare Ihnen das „wie“ — gebannt. Und wir, wir waren es a l l e. Die ganze Verzweiflung, die ganze Lust und Wollust, das ganze Verhängnis der glückhaften Liebe hauchte Marandi und tremolierte es und ließ es strömen, so daß ich dachte, meine Güte, nur noch zwanzig Lebensjahre mehr, und er wäre selbst die begeisterte Tragik, diese ganze Carmen selbst – als ein Mann, der ihr huldigt.
Wondratschek nahm ihn nachher in den Arm, und der Verleger, glaube ich, hat sich sogleich das Hörbuch gesichert, die ganze Serie, wenn er klug ist, jedenfalls. (Und er ist es, denk ich mir.)

Nun war also alles durcheinander, jeder Plan zerrückt, der Abend rundweg grandios. Dazu zum Wein die kulinargeniale Idee, massenhaft Butterbrot mit Schnittlauch zu reichen. Wobei Wondratschek jetzt doch noch einmal lesen sei’s, daß er sollte, sei es, auch wollte, und dies nunmehr z u s a m m e n mit Marandi tat. Das war nett, wirkte aber doch wie ein Anhängsel, das nicht weiß, wie weggeschnibbelt es gehört, rein aus dramaturgischen Gründen. Was gesagt werden mußte, war doch gesagt und zu gut gesagt, um wieder zurück in die Mitte zu rutschen.

Immer ist etwas tot von dem,
was wir lieben.

Wondratschek, Was machen Sie den ganzen Tag?

Also nahm ich mir den bereits fünften, glaub ich, Wein, doch begab mich noch aufrecht schließlich nachhaus. In den nächsten Tagen wird mich wohl Wondratscheks neuer Roman erreichen, ich möchte drüber schreiben, habe eben bei Volltext angefragt, lege Ihnen aber schon hiermit >>>> Ullsteins Wondratschek-Gesamtausgabe dringend, sehr sehr dringend ans Herz.

Ihr
ANH

2 thoughts on “Nicht nur ein Abend für Wolf Wondratschek. Sondern, nämlich, vor allem, für uns. Als nachträgliches Fest zu seinem Fünfundsiebzigsten zur Feier Ullsteins als seinem neuen Verlag. Überraschend mit Arash Marandi.

  1. ich war sehr angetan, dass Wondratschek den Ablauf umgedreht hat. Eine Stimme, die ich gerne höre, für mich nicht das erste mal. Als ich doch einen Blick in den Saal erhaschte, wirkte er wie ein sehr interessierter Zuschauer, so am Rande, an einem Tisch. Man hätte freilich auch einen Thron auf die Bühne stellen können, von dem aus er wie ein König Hof hält. Die Größe seine Lyrik ist für mich unbestritten und nicht verhandelbar, aber er entfaltet auch die mit ihm assoziierte Präsenz, wenn er allein auf der Bühne ist und die Show schmeißen muss, das habe ich im Kuppelsahl in Soeht7 erlebt. Da gab es allerdings schon während der Lesung Rotwein und geraucht hat er da auch. Er muss die Sonne sehr angebetet haben, die letzten Wochen, fiel mir auf. Er hatte einen leichten Sonnenbrand. Interessiert lese ich, dass nicht nur ich gestern nicht in bester Verfassung war, was sich aber auch besserte, aber keinen weiteren hemmungslosen Genuss des gebotenen Weins zuließ. Ich hielt es gestern mit „wenn es am schönsten ist, soll man gehen“, das war für mich nach der Lesung von Wondratschek. Wenn ich jetzt aber höre, dass die Carmen-Verse angemessen vorgetragen wurden, bedaure ich es doch ein wenig. Ich fand immer, dass es eine innere Verwandtschaft zwischen Wondratschek und ANH gibt, in sinnlicher und zärtlicher und musikalischer Qualität.

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