III, 420 – “Gemachte Rosen seien viel schöner”

Vorgestern, aber auch noch heute die Windgeräusche draußen, die Papiertüte auf der anderen Seite des Tisches, die dauernd zittert und den Eindruck erweckt, es sei der Wind, der sie bewegt, trotz der geschlossenen Fenster. Die Kerzenflamme indes bleibt einigermaßen senkrecht. Ihr Halo ist schwächer als am Tag von Annegrets Beerdigung, als er sich recht deutlich zeigte, so daß ich mir einbilden konnte, da spiele jemand mit. Ein bißchen feuchte Augen, die nicht zu verwechseln mit der Feuchte in den Augen besonders vormittags, wenn die Maloche losgeht (bewegt sich mitnichten auf den Abwegen einer Bütterkeit, schlichte physiologische Vorgänge).
Nein, das Zittern der Papiertüte, an deren Grund ein runder Apfel (verwundert’ mich, wär rund er nicht) liegt, kommt von den Bewegungen der auf dem Tisch aufliegenden Unterarme. Da zittert sie dann vor sich hin.
Alltag dann doch wieder. Fast tägliche Anfragen. Und immer unmögliche Abgabezeiten meinerseits. Und meistens schlucken sie die zu meinem Entsetzen.
Vorgestern eine ungewöhnlich Anfrage auf lokaler Ebene: ob ich nicht als Protagonist in einem Kurzfilm auftreten möge. Drehort: Chiostro S. Agostino, 100 Meter weg von hier. Ich habe zugesagt. – Heute das Script bekommen. Meine Rolle:

Un anziano signore [!] entra lentamente, con fare annoiato. Si guarda intorno e nota un oggetto scuro in un angolo. Una inquadratura di dettaglio svela l’oggetto: un visore di Realtà Virtuale. L’uomo si avvicina, afferra il visore, si va a piazzare al centro del chiostro e lo indossa.

Also in etwa: ein älterer Herr [!] betritt etwas gelangweilt den Kreuzgang, schaut sich um und bemerkt in einer Ecke ein dunkles Objekt. Nahaufnahme des dunklen Objekts: ein 3D-Helm für virtuelle Realität. Der Herr nähert sich, schnappt sich den Helm, begibt sich in die Mitte des Kreuzgangs und setzt ihn sich auf.
Dies dann über- oder überübermorgen, es komme auf die Wetter- und Windverhältnisse an. Mal sehen, ob ich ein Standfoto ergattere. Im Grunde, wie ich weiterlas, eine Werbung für Drohnen, denn die Bilder sollen bis nach Rom reichen, aber dennoch nicht den hiesigen Standpunkt und das Virtuelle der ganzen Geschichte verleugnen (es soll auch nicht an immer intensiver werdender Musike fehlen, las ich). Eine kleine willkommene Abwechslung. Zumal der Macher mir gut bekannt ist. Wir sahen uns erst neulich auf der Geburtstagsfeier der Enkelin von Aldo Fabrizi.
Hübscher Satz von Chamisso gestern (den ich dann doch als guten Beobachter und Beschreiber einstufen muß nach den anfänglichen verwirrenden Zeitsprüngen in der Beschreibung seiner Weltreise unter Kapitän Otto von Kotzebue (zweiter Sohn des ein Jahr nach der Weltumseglung ermordeten August) auf einem russischen Kriegsschiff):

Ich habe einmal eine junge Berlinerin sagen hören, gemachte Rosen seien viel schöner als natürliche, denn sie kosteten viel mehr. Das ist ein großes Kapitel in der Geschichte des Menschen.

In diesem Sinne.

III, 419 – Annegret

4 thoughts on “III, 420 – “Gemachte Rosen seien viel schöner”

  1. Unwichtige Bemerkung: Also, Äpfel haben zwar Rundungen sind aber insgesamt oft recht unrund, hier und da eingedatscht eingebuchtet verdellt abgeflacht. Macht nichts! Wichtig ist, dass sie schmecken. Was man übrigens grad von den schön Runden aus dem Supermarkt nicht immer behaupten kann.

    1. der apfel, immer noch ungegessen, liegt nach wie vor in der tüte, die schale hat etwas an straffheit eingebüßt, die farben indes noch frisch rot-gelb, keine supermarkt-herkunft… und rund ist eben nicht kugelig… über äpfel nachdenken ist nicht unbedingt verkehrt, etwa wenn Chamisso von chilenischen “eingeborenen” berichtet, sie seien dem trunk ergeben und in einer fußnote beigibt, dies beruhe hauptsächlich auf apfelwein, die entsprechenden bäume seien von den spaniern eingeführt worden… ein dito unwesentliches addendum

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