[Arbeitswohnung, 6 Uhr]
Nachdem er in Brindisi aus politischen Gründen seine zweite Frau, die vierzehnjährige Isabella von Brienne, geheiratet hatte, habe er nicht mit ihr die Hochzeitsnacht verbracht, sondern, derweil das Mädchen in einer Kemenate des Castellos d’Oria ausharren mußte (offenbar war er so wenig pädophil wie ich selbst), mit ihrer Cousine Anais — die von so großer Schönheit und eine solch dolze compania gewesen sein muß, daß er dieser Orientalin, als er sich zum Kreuzzug einschiffen mußte, ein sogar von den Troubaduren weithin bewundertes Liebesgedicht geschrieben hat:
Oi lasso, non pensai si forte mi paresse
lo dipartire da madonna mia
da poi ch’io m’aloncai, ben paria ch’io morisse,
membrando di sua dolze compagnia;
e giammai tanta pena non durai
se non quando a la nave adimorai,
ed or mi credo morire ciertamente
se da lei no ritorno prestamente
a la fior di Soria,
a quella c’à in pregione lo mio core:
Dì a la più amorosa,
ca per sua cortesia
si rimembri de lo suo servidore,
quelli che per suo amore va penando
mentre non faccia tutto l suo comando;
e pregalami per la sua bontade
ch’ella mi degia tener lealtate.
In der ausführlicheren, später Rugiero von Palermo zugeschriebenen Fassung, deren Terminologie mir angemessener als die hochitalienische zu sein scheint und die ich nachts im vielgeschmähten Googlebooks, für das ich dankbar bin, fand:
Oi lasso nom pensai
Si forte mi parisse
Lo dipartire da madonna mia
Da poi chio nalontai
Bene paria chio morisse
Membrando di sua dolze compagnia
E gia mai tanta peno non durai
Se non quanto a la naue adimorai
Ed hoc mo credo morire cietamente
Se da liei non ritorno prestamente.(Tuto quanto eo via
Sie forte mi dispiacie
Che nin mi lascia imposa inesu loco
Si i distringe e disia
Che non posso auere pacie
E fami reo parere riso e gioco
Membrandomi suo dolze fegnamente
Tuti diproti m’escono di mente
E nin mi vantu cha disdotto sia
Se non la oue la dolce donna mia)Canzonetta gioiosa
Vale fiore di Soria
A quella cha lo mio core impregione.
Di ala pu amorosa
Ca per sua cortesia
Si rimembri del suo feruidore
Quelli che per suo amore va pennando
Mentre non faccio tuto il suo commando.
E priegala mi per la sua bontate
Che ami degia tenere leatare.
(Im Druck von 1661 >>>> d o r t)
Ich hatte, weil sich mir im Hirne die Rinnsale drehten und drehten, nicht schlafen können, war wieder aufgestanden etwa gegen Mitternacht und fing an, nach Quelle und Originalfassung des mir über Heinisch vorliegenden, bei ihm in der Übersetzung eines Hans Naumanns wiedergegebenen Gedichtes zu suchen. Eine nachmittägliche Nachfrage bei >>>> Parallalie hatte nichts Konkretes erbracht. Nun wurde ich, sogar mehrfach, bei Googlebooks erst halb (nämlich mit anderen „Kanzonen“ Friedrichs), dann vollen Umfangs fündig – wobei ich für die Originalsprache ganz sicherlich in der vatikanischen Bibliothek werde nachsehen müssen; das Italienisch des 17. Jahrhunderts dürfte sich von dem des frühen 13. immer noch genugsam unterscheiden. Schon die im Gedicht benannte „Kanzonette“ gab es erst ab dem 16. Jahrhundert; höchst unwahrscheinlich also, daß Friedrich dieses Wort verwendete. Ich habe mich deshalb für „Weise“ (= „Lied) entschieden.
Wie auch immer, es schien und scheint mir eine Verbindung zu den Rinnsalen zu bestehen, der ich sogar so weit folgen wollte, daß ich das Gedicht, zumindest die beiden hier zuerst zitierten Strophen, selbst übersetze. Des mir ohnedies – politisch – heiklen Naumanns Übertragung ist zu prosaisch, verströmt kein Melos, schon gar nicht eines der Sehnsucht.
Also, erst einmal grob auf Klang, ohne die für die italienische Lyrik wesentliche Silbigkeit zu beachten (wobei in der italienischen Lyrik des Mittelalters das Wort ca für „daß“ verwendet wurde):
Ach hätt ich denken können
wie schwere mir zu scheiden war
von einer Göttin so wie sie
daß ich zu sterben fühlte
da ich solch süßen Beimirseins nun bar
und kannte diesen Kummer nie
wie nun, da über See ich flieh
und weiß, daß ich enterde,
eil ich nicht heim zu ihr, und sterbe.Fliege, meine jauchzende Weise
zur Blüte von Syrien hin
ihr zu, die mein Herze gefangen,
und bitte die Lieblichste leise,
sie mög sich neigen voll der Gnadens Sinn
zu meinem verwundeten Bangen,
das ich, der liebet, an ihr leide,
bis ich sie wieder, dienend, weide;
und bitte, daß mir ihre Güte
treu ihre Huld behüte.
Ich weiß, nur ein Entwurf, vielleicht gibt später Parallalie etwas hinzu; ich kenne ihn, es wird ihn reizen, etwa der für mich sehr klingende, aber nicht wirklich übersetzbare Vers „ch’ella mi degia tener lealtate“ oder gar „lealtade“.
Jedenfalls vergingen so ein paar Nachtstunden, und, nachdem ich mich wieder hingelegt hatte, doch nun, ab gegen halb sechs, bereits wieder auf bin, mache ich sofort mit der Nachdichtung weiter, bzw. mit diesem ihrem ersten oder anderthalbten Versuch. Zugleich, bei aller Zartheit seines libidinösen Verfangenseins, muß ich mir immer wieder vor Augen halten, daß Friedrich deutlich ein Machtmensch war, und zwar durchaus verwandt mit Kazantzkis` Odysseus:
„Die größte Pflicht des Mannes hier, auf dieser Erde, ist, mein ich,
daß er sein Schicksal mitleidlos bekämpft und das Geschriebne löscht;
auf diesem Wege kann der Mensch sogar die Götter übertreffen!“
S.215
— oder vorher, S. 99, gegen eines Greises Verteidigung der Schwäche
„Je nun, mein König, auch die Götter – altern wie des Waldes Tiere;
des Alters Schwächen dringen auch ins Seelenreich des Menschen ein;
und ob du willst, ob nicht, o Herr, auch du mußt das Gesetz erfüllen!“
— woraufhin Odysseus, ganz wie Friedrich getan hätte, erst seiner utopischen Überzeugung Ausdruck gibt:
„Mein Lieber, wisse, mit dem Alter treibt die Seele neue Blüten,
und auf die Blüten folgen Früchte – Knechttribute zahlt sie nicht;
werd ich auch noch so alt, so streb ich aufwärts stets zu neuer Jugend!“
— um dann aber voll mitleidsloser Verachtung auszuruften:
„Beim Gott, du scheinst mir, wenn ich dich im schwachen Dämmerlicht betrachte,
bald als ein eitler Pfau, durch Schorf zur alten Henne umgewandelt,
bald als ein schamloskeckes, fettes Götterweib, mit Öl beschmiert,
das nackt die Beine spreizt und ihre Gunst an Kreuzungen verschenkt.“
(aus dem Griechischen von Gustav A. Conradi, Elfenbein, Berlin 2017)
Auch dieses ist ganz Friedrichton, Härte und Sanftheit stets ineinander, jene nicht selten in mittelalterlicher Rigidität, ja extremer Brutalität. Das, wenn ich meinen Roman denn schreiben sollte, muß mir stets gegenwärtig bleiben, vielleicht allerdings relativierend auf die Gegenwart bezogen; Möglichkeitenpoetik; wie empfände und dächte er – einer wie er – h e u t e?
*
Aber ich muß an die Auftragsarbeiten zurück und dann vor allem für den zweiten Erzählband die Erstveröffentlichungen aller Texte eruieren. Das muß bis zum Sonntag fertig sein, weil ich ab dem 11. Juli quasi permanent unterwegs bin, erst zu einer Hochzeit auf Mallorca, dann gleich nach Wien zum Lektorat; es liegen nur zwei Tage dazwischen, die überdies ein Wochenende sind.
ANH
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>>>> FA.E3
FA.E1 <<<<
sowie
>>>> Arbeitsjournal zu Bianca Lancia
Just mit Elke deinen Bogen auch hier im Ffm-Nirdend gespannt von damals bis jetzt. Danke! Gunter
„ch’ella mi degia tener lealtate“ – „ch’ella mi debba tener lealtà“ – „che ella mi deve rimanere leale“ – (deg(g)ia: poetischer Konjunktiv von „dovere“), più o meno così.
Ah, prima! Danke. Das „dovere“/“degia“ wäre bei mir im „treu“ aufgehoben; jedenfalls war ich auf der richtigen Spur.
Im Druck von 1661, Sie werden es sich angeschaut haben, sind viele Apostrophe weggelassen und die Wörter einfach zusammengezogen worden; etwa hier („da poi chio malonchai“):
[draufklicken, dann sehen Sie’s größer]
Im mittelalterlichen Original wird es noch mal heftiger sein.
die Transkription wäre zu korrigieren, nachdem ich gerade hineingeschaut habe: „che a mi degia tener lealtate“ (was natürlich für die Übertragung zweitrangig ist)
Erledigt. – In der wohl hochitalienischen Fassung der >>>> Biblioteca IntraText aber steht tatsächlich „pregalami“: >>>> dort.
also so ein Fall von Handschriften-Lesarten, stillschweigenden Anpassungen usw. reinste Philologie!