Technische Zusammenbrüche. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, den 28. November 2019.

[Arbeitswohnung, 8.45
Joni Mitchell, Don Juans Reckless Daughter]

Hier ist momentan ein Wurm drin, der mich halb verrückt macht – nämlich in meiner Musik, also dem, was sie spielt: meiner Anlage. Erst gab der Nakamichi auf, bewegte die Cassetten nicht mehr, was ich ihm nach bald dreißig Jahren treuen Funktionierens freilich nicht verübeln kann. Es gibt bei Geräten etwas wie Materialerschöpfung; darin ähneln sie unsren Seelen dann doch. – Und danach fing die rechte ProAc-Box immer wieder zu krächzen an, dann fiel sie ganz aus. Erst dachte ich, es liege am Audio-Interface, bis sich herausstellte, daß es die schlimmste der Fehlermöglichkeiten war, nämlich der große Accuphase-Verstärker.
Was da nun tun, wenn man kein Geld hat, aber die Musik mit dasjenige ist, das einen neben Herrn Nabokov noch am meisten in dieser Welt hält (und abgesehen davon, daß einiges noch zu schreiben verbleibt, das ein Recht darauf hat, fertiggestellt zu werden)? Wenn, bzw., das Geld, das noch angespart ist, eigentlich nicht ausgegeben werden darf, weil es in den kommenden Monaten keinerlei Einkünfte mehr gibt und es deshalb spätestens ab Februar eng werden wird? Reparaturen an HighEnd-Geräten sind schweineteuer, auch mit Recht.
Geholfen haben mir die ebay-Kleinanzeigen, sowie hat’s ebay selbst. Mit verzweifeltem Glück ein sich dann als hinreißend herausgestelltes HighEnd-Cassettendeckt für extrem wenig Geld „geschossen“, und gestern kam, der nächste Glücksfall, ein klanglich wundervoller Marantz mit dem unglaublichen Frequenzgang von 7 bis 60000 Hertz hinzu. Nachdem ich ihn aber angeschlossen hatte und nun auch den Linn-Spieler an ihm ausprobieren wollte, war die Nadel aus dem Tonabnehmersystem verschwunden – nicht die geringste Ahnung, wie und weshalb. Ich hatte aber s c h o n den Gedanken, hier verfolgt mich häßlich wer … Deshalb jetzt bloß nicht die Nerven verlieren. Statt dessen drei Stunden lang versucht, das Tonabnehmersystem auszutauschen. Ich hatte nämlich noch, h a b e noch, einen seit zwanzig Jahren nicht angerührten Benz-Glider hier liegen, den ich mir heutzutage schon gar nicht mehr leisten könnte. Doch ich bekam den hochfeinen Einbau nicht hin, die Hände zitterten zu sehr, mir fehlt auch das Präzisionswerkzeug, und ich habe keinen geeigneten Arbeitsplatz. Das Gerät also werde ich nun weggeben müssen, und da ich seit je Probleme mit dem Triebaufschub hatte, noch gleich heute.
Aber all dies reißt Löcher in den ohnedies schon nur noch fadenscheinigen Stoff meiner Taschen. Von vorgestern nacht auf gestern morgen lag ich denn auch mal wieder mit Magenkrämpfen wach, die bis zum Morgen anhielten, bzw. dämmerte ich, auf dem Bauch die Wärmflasche, in meinen mehr und mehr aufsteigenden Existenzsorgen vor mich hin. Bis mich das erste Tageslicht erlöste. – Auch dies freilich hat immer zu meinem Leben gehört, daß ich selten „klug“ gehandelt habe, im jetzigen Fall also halt nur noch über den Computer und Kopfhörer Musik zu hören, oder gar keine, sondern dann eben doch die nur noch wenigen Mittel, die ich habe, für die Geräte aufwende, auch wenn die ab Februar kommenden Monate mit ihren Katastrophen deutlich drohen. Andererseits, ließe ich die Anlage defekt, ich hätte den Eindruck eines um mich her sich fort- und fortsetzenden Zusammenbruchs, etwas, das ich in meiner seelischen, unterschwellig weiterwirkenden Desolation objektiv nicht brauchen kann, auch wenn ich sie momentan recht gut in den Griff bekommen habe. Ich könnte jetzt von sanfter Verzweiflung sprechen. Wobei irgendein Literaturpreis schon hülfe, dessen Geld mich über ein weiteren halbes Jahr hinausbringt. Anders habe ich eh nie gelebt – von der Börsenzeit abgesehen, 1987/88 bis 1993, deren bleibendes Ergebnis eben diese hochwertige Musikanlage war, die wiederum mich zwei Jahrzehnte später in die Lage versetzte,  meine poetischen Hörstücke selbst produzieren zu können. Ach ja, finanziell würde schon helfen, entschlösse sich ein Sender, eins oder zwei von ihnen neu als Wiederholung auszustrahlen. Aber auch das wird nicht geschehen.

Jedenfalls habe ich mit dem „Musikproblem“ nun fast drei Tage sozusagen vertan, und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Dennoch lese ich viel, setze diszipliniert meine Serie zu Nabokov fort und habe gestern abend, derweil die Musik mich durchdrang, sogar wieder ein paar Verse zur Béart versucht, noch handschriftlich im Béartmanuskriptbuch:

***

Was mich außerdem fuchsig macht, ist, daß die automatische Synchronisation meiner HiDrive-Cloud nicht mehr funktioniert. Doch da kann ich erst mal aufs altbewährte Backup-en zurückgreifen und tue es. Was aber quasi existentiell ist, ist, daß ich Musik um mich habe.

Ich weiß, daß dieses Arbeitsjournal nicht sehr ergebig ist. Doch gibt es, ferne Liebste, immerhin von Ihrem

Meldung.

[Pettersson, Zweite Sinfonie]

2 thoughts on “Technische Zusammenbrüche. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, den 28. November 2019.

  1. „Aber auch das wird nicht geschehen“ = ich glaube, es ist Gift, so zu denken ! Denn manchmal geschieht doch ganz unerwartetes Positives ! Herzlichen Gruß

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