Wenn man Mails beantwortet, hat man allemal mehr Anhaltspunkte, als wenn man auf die Nachrichten antwortet, die der Alltag bietet. Und davon ist sogar manches zu verschweigen. Das Altern als Klimakatastrophe. Es fühlt sich für mich nicht wirklich dramatisch an, aber hat Auswirkungen auf die Konvivialität. Da beginnt dann ein Betretensein. Man möchte es nicht, aber es läßt sich nicht vermeiden.
Man zögert meinethalben und winkt dann doch ab, wenn Oltre il Visibile anfragt, ob ich etwas zum Fall der Mauer sagen oder vortragen könne, da eine Reihe von Filmen zu diesem Thema vorgesehen war. Sicher, ich hätte über Grenzen reden können, mit denen ich aufgewachsen bin. Über eine grenzüberschreitende Liebelei. Bin auch in ihre Stadt (Gardelegen) gereist. Das ging, weil ein Onkel von mir dort wohnte. Bei ihm lief dauernd Westfernsehen. Dann dort irgendeine Tagesschau, die vom Tod Pasolinis berichtete. So erfuhr ich davon, in der DDR. Das Ganze versiegte, als ihre Briefe bei mir in Wolfsburg irgendwann ohne Briefmarken ankamen (Spitzeleien?). Und auch schon eine andere, greifbarere da war.
Und man fängt an, mit der Schwester beim Telefonieren zum Geburtstag über Zipperlein zu reden. Was damals, als man es haßte beim Zusammensitzen mit den Leuten der vorhergehenden Generation, gang und gäbe war. Es war nicht zum Aushalten. Hinzu kamen die öden Krankenhausbesuche: mal die Großmutter, mal der Großvater, mal der Vater. Die Mutter: nie. Als es dann doch geschah, war es zu heikel und auch bald vorbei. So kam ich nach Jugoslawien und recht ausgemergelt zurück. Aber das ist eine andere Geschichte, angedeutet habe ich sie, glaub’ ich, schon mal (aber find’ jetzt nichts (doch noch gefunden: die Geschicht war ansatzweise woanders erzählt worden).
Hat aber nicht mit Handkes Jugoslawien zu tun, dessen Texte zu diesem Land ich in der letzten Zeit auch las. Der Rufmord an ihm ging mir doch zu nahe, als daß ich hätte ignorieren können, diesen “letzten lebenden Dichter”, wie sich der Ex-Freund mal ausdrückte. Freund mag ich nicht wirklich mehr sagen. Ich finde keinen Draht mehr zu ihm. He is his own world, Zeit, in meiner dann zurechtzukommen.
Alles sehr verzwickt wie in dem Trakl-Vers: Und leise entschwebt der Ton der Immen (Gedichte 1909-1912), den ich ziemlich spontan so las:
Und leise entgeht der Tod den Immen
Normalerweise entgeht man dem Tod. So ungefähr: der Tod rettet sich vor den Bienen. Was machen aber die Bienen aus dem Tod? Räumen sie ihn aus der Welt? Muß der Tod sein Leben retten? Wenn aber der Tod sein Leben rettet, dann gibt es ihn weiterhin. So müßte es wohl zu verstehen sein. We are Showroom Dummies. Seit vorgestern wieder Kraftwerk als sozusagen “Meditationsmusik”.
Und seit gestern morgen im Schummerlicht. Die Glühbirne über der Kochecke fiel aus. Sie hängt ziemlich hoch. Draußen im Hof gibt es zwar eine Standleiter, aber die ist recht wackelig. Um einen Haushaltsunfall mit unvorhersehbaren Folgen zu vermeiden, verzichte ich vorerst auf ein Auswechseln der Glühbirne und improvisiere mit dem Licht. Paßt ganz gut zur Wintersonnenwende. Entweder hilft Mauro mir oder der Besuch, der sich angekündigt hat.
Sehr intensiv gearbeitet am König Bär, denn andere Arbeiten lagen und liegen nicht an, auch wenn in Morgenträumen wieder mal Gespenstertexte auftauchen, die ich vergessen habe zu übersetzen. Und ich eigentlich unbedingt aufstehen müßte, um die eintreffenden Arbeitsmails zu kontrollieren. Der Tee nach dem Aufstehen beruhigt mich dann immer wieder allemal.
Papiol: Dann eß ich sie eben – Bei meiner Seel’!, ratzekahl auf.
Der König: Paß auf, Papiölchen – Sie ist größer als du: Wohlauf!
Papiol: Das Atom, im Vergleich – Zum Welttisch ein Trikliniarch;
Der stete Holzwurm nagt am Thron, – Die Auster aber an der Arch’,
(zuletzt überarbeitete vier Zeilen aus “König Bär”; “sie”: die dem Papiol versprochene Pastete).
Ich sollte mich wieder mal öfter melden. Heute abend: Spaghetti essen üben. Denn der Odontoiatra fand schließlich doch eine vorerst praktikable Lösung.