[Casa di Schulze, Kaminraum, ore 9.47]
An sich hätte ich mit einem ziemlich guten Grundgefühl morgen zurückreisen können. Doch ist es jetzt, ich sag mal, beschlagen. Zum einen schweigt die → „neue Madonna“ nun; rückschauend wäre von einem emotionalen Feuer im Wasserglas zu sprechen, hätte mich nicht dieses Aufwallen einer einzigen Nacht wirklich in Béart XXIX hineinkatapultiert, nur daß die Strahlkraft nicht anhielt, sondern dieser Stern – in der Sprache des von mir heute früh entdeckten → Physikblogs gesprochen, auf den mich → dort der archäologische führte – kollabierte allzu schnell (wiewohl ich vorsichtig noch zweimal, und aus anderer Perspektive, zu schüren versuchte), was wiederum dazu führte, daß ich nun „rational“ wurde und meine Zeit, jedenfalls zum Teil, damit füllte, mich auf kunsthistorische Fährten der „erotischen Madonna“ zu begeben: Vergleiche der Pietà mit ihren möglichen Herkünften aus Aphrodite/Adonis und Demeter/Kore etwa, ihren Verwandtschaften in der Abfolge des Jahreslaufes usw., aber auch mit Spekulationen zur „Braut Christi“ — Dante: „Vergine Madre, figlia del tuo figlio“ (!) —, die eben nicht nur künftige Gattin, sondern zugleich Mutter des Bräutigams ist. (Ich fände gern einen religiösen, doch deutlich fleischlichen Kopulationsakt, der derart explosiv ist, daß die transzendente Strahlung – unsere Ekstase also – ein für allemal den skandalösen Begriff der Erbschuld mitsamt ihren vermeintlichen Gründen komplett in die Luft jagt und als Energie verschießt, die zwar, physikalischerseits, nicht „verloren gehen“, aber doch in anderer, uns geneigterer, sich eben nicht als uns niederdrückende Macht verdinglichter Weise zurück-, bzw. voranwirkt. Eine solche Darstellung müßte uns blenden, nicht nur erotisch anziehen. Wir würden uns darin quasi auflösen, so, wie die sexuelle Ekstase uns begeisternd enticht. Sämtliche Kategorien stürzten zusammen. Doch wurde ich bislang nicht fündig.)
So bin ich mit dem nächsten Béartgedicht grad mal eben eine Seite weitergekommen; davon, daß ich hier in Umbrien den gesamten Zyklus „zuende“ bringe – der Vorsatz, für den ich aufgebrochen war –, kann nicht entfernt mehr die Rede sein.
Zum zweiten bin ich aber auch mit der → Nabokovserie nicht wirklich weitergekommen; jetzt sogar schon, gelesen, zwei Bücher voraus: Der zweite Band der Erzählungen muß noch besprochen werden und „Die Gabe“, von der ich zwar schon erzählt, insgesamt, als Roman eben, auch. Doch spätestens morgen werde ich bereits Nabokovs nächsten Roman, seinen ersten, zu lesen beginnen. Damit ist absehbar, daß meine Texte in noch weiterem Abstand hinter der Vorgabe einherhinken werden.
Zum dritten aber, und das brachte mich nun endgültig aus meinen Konzepten, hat die NZZ meinen für sie geschriebenen Artikel gestern abgelehnt. Erst nahm ich es gelassen, dann wurde mir die Tragweite der Ablehnung bewußter und leider n o c h bewußter, und und mehr, schließlich ward’s ein Studel, bis ich schließlich vor einer Mauer der Vergeblichkeit stand, die, also jene, abzustützen (damit sie nicht ein- und auf mich draufstürzte) mich doch ziemlich viel Kraft der Selbstbeherrschung gekostet hat. Ich komme mir grad vor, als hätte ich stundenlang, und zwar nach langer Pause, trainiert.
Selbstverständlich reagierte ich und schrieb zurück – der Redakteur hat seine Entscheidung durchaus begründet, mir weiterhin gewogen und auch so, daß ich sie nachvollziehen konnte und kann, ohne allerdings den Argumenten recht zu geben; ich halte sie im Gegenteil für politisch genauso heikel, wie aus seiner, bzw. der Zeitung Sicht mein Text heikel ist, nur halt in anderer Richtung. Es geht eben darum, das Heikle zu benennen und also heikel auch zu sein. Nur dann, allenfalls, ließe sich noch etwas drehen. Du hast keine Chance, aber nutze sie läßt sich in diesem Fall nicht im Alleingang unternehmen, schon gar nicht, insofern meine poetische Innenlogik ein „also“ aus dem „aber“ macht.
Spontan wollte ich den Artikel nun in Die Dschungel nehmen, der anderswo fast nicht mehr denkbar ist. Dann fiel mir erstens doch noch eine zweite Adresse ein, und ich schickte ihn hin; zweitens hätte ich aber gerne, wenn er in Die Dschungel kommt, auch das Ablehnungsschreiben darunter mit drin, und da ich meinerseits dem Redakteur gewogen, fragte ich ihn, ob er’s erlaubt. Noch hab ich keine Antwort. — Wie auch immer, die Veröffentlichung in der NZZ wäre eine (Sie können, Freundin sagen:) i r r e Chance gewesen, sowohl für mich selbst — (dem weitere Mitarbeit dort von nun an verschlossen bleiben wird, höchstwahrscheinlicherweise; ich selbst, von mir aus, werde schon aus Stolz nichts mehr anbieten können – denn es ist ja das zweite „Nein“, das ich einfuhr; jeder dritte Versuch wirkte wie eine Bettelei) — als auch, was wichtiger, v i e l wichtiger ist, für die „Sache“ selbst.
So werde ich also morgen wieder ziemlich gerupft nach Berlin zurückfliegen, gegen frühen Nachmittag in der Arbeitswohnung eintrudeln und ziemlich sicher einen noch ziemlicheren Postberg dort finden, der dringend „abgearbeitet“ werden muß, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen. Mir hätte, liebste Freundin, die Erhitzung ziemlich gut getan, mich glühend, wie gesagt wird, beseelt, die in dieser Mittwochnacht vierfünf Stunden lang von mir solch rauschhaften Besitz nahm; ich war durchaus bereit, mich verbrennen zu lassen — ardet et floret! —, und bin es n o c h. Nun aber glost dieser Stern nicht einmal mehr; die Blicke zum Himmel verliern sich im Nichts.
ANH
Immerhin eine weitere Fundstelle für die Béarts, im Koran. Auf sie will ich aber gesondert eingehen, vielleicht auch einzwei Verse übernehmen, nur daß ich mit dem Gedanken spiele, die deutsche Übersetzung in eigene Worte, eigenen Rhythmus zu fassen. Deshalb, noch, hier etwas Vorsicht. (Am besten läse sie mir jemand vor, auf Farsi oder Arabisch, damit ich den Klang des Originals verspüre.)