Ja, m u t i g, daß die Autoren der Schweizer Serie → “Wilder” die Polizistin Rosa Wilder, die als Fünfzehnjährige eine Liebesbeziehung mit dem s e h r viel älteren Künstler Armon Todt eingegangen ist, zu ihren Eltern sagen lassen: “Ich habe ihn geliebt und hätte auch das Kind geliebt, wenn ihr mich nicht es abzutreiben gezwungen hättet.” (Aus der Erinnerung zitiert.) Das die Serienfolgen durchziehende Trauma ist hier nicht die Ungleichheit der Lebensalter beider ehemals Liebenden, sondern das mit dem von einer, weil minderjährig, von ihren Eltern Abhängigen erzwungenen Tod eines werdenden Kindes herbeigeführte Ende der Beziehung.
Mutig, ja, daß die → Produktionsredaktion Frau Wilders Satz aus dem Drehbuch nicht einfach gestrichen hat; zweifelhaft, ob er → heute noch gesagt werden dürfte. Ganz unabhängig von dem verlinkten Fall muß aber noch gedacht werden dürfen, daß einerseits die Beziehung einer sehr viel Jüngeren zu einem sehr viel Älteren (oder eines Jüngeren zu einer Älteren) für beide von großem Glück sein könne und daß andererseits das numerische Alter über Reife und also die Fähigkeit, eigene begründete Lebensentscheidungen zu treffen, sehr viel weniger aussagt, als die öffentliche und rechtliche Meinung es will. Es gibt Dreißigjährige, Vierzigjährige, die kaum den Horizont mancher Sechzehnjährigen haben, sonst gäbe es nicht nach wie vor “erwachsene” Rassisten. Der Begriff “Pädophilie” ist von daher extrem unscharf. Es ist denkbar – denkbar, wohlgemerkt –, daß eine in Hinsicht aufs Lebensalter weit auseinanderklaffende Beziehung für das Paar von auch objektivem Vorteil sein kann. Hier dürfte nur über den, wenn er denn strittig wird, Einzelfall entschieden werden.
Ein anderes kommt hinzu. Ich kenne einige heute erwachsene Frauen, die im Alter von um die dreizehn defloriert wurden, teils von durchweg älteren Männern; von ihnen, also diesen Frauen, hat keine ihr daraus erwachsene Traumata beklagt. Eher sprachen sie mir gegenüber – und tun es weiterhin – mit hoher Achtung von diesen Menschen, die den festen, guten Platz in ihren Herzen nie verloren haben. (Dreizehn/vierzehn scheint fast ein typisches Alter zu sein). Alle diese Frauen sind später einen klugen, reifen Lebensweg gegangen. Vielleicht sprechen sie öffentlich darüber nicht, wenn ihr Erleben wirklich glückhaft war; weshalb auch sollten sie? Bekannt werden die mißglückten, bzw. gewaltsamen Beziehungen. Genau hier liegt ein Problem. Ich selbst jedenfalls erinnere mich genau, wie sehr ich mich als Jüngling danach sehnte, von einer älteren Frau in die körperliche Liebe, wörtlich zu verstehen, eingeführt zu werden. Es ergab sich aber nicht, hingegen meine ersten Versuche mit Gleichaltrigen so täppisch waren, daß es meine ohnedies schon wirkende Isolation seelisch noch verschärfte.
Ich spreche, wohlgemerkt, nicht von Mißbrauch, sondern von “Fällen” beidseitigen Wollens. Hiergegen zu argumentieren, die jungen Menschen (“Kinder”, ecco) hätten aus Reifegründen zu wollen noch gar nicht gekonnt, ist eine ideologisierte Selbstüberschätzung späterer Lebensalter, die möglicherweise längst Klügere, als man selbst in diesem Alter war, zu Kindern abwerten. Dahinter können durchaus eigene Ängste stehen, anderweitig mißglückte Sexual- und spätere – “erwachsene” – ungute Beziehungserfahrungen, die auf eine vermeintlich heile, nämlich ihrerseits ideologisierte Kindheit projeziert werden, die zu schützen sei. Biologisch jedenfalls ist eine menstruierende Frau so wenig mehr ein Kind wie jemand, der Rassist ist, erwachsen genannt werden kann. Es sind Heranwachsende, nicht Kinder, und da sich Reife nicht notwendigerweise symmetrisch entwickelt, was für sogenannte Pädophile — präzisiert: “Nymphophile” — eben den Reiz auszumachen scheint, könnten (Konjunktiv!) Bereiche, die noch dem Körperlichen nicht entsprechen, von den Älteren sogar gefördert werden. Dies muß bedacht und im Einzelfall erwogen werden können, anstatt daß eine mögliche Wahrheit mit Tabus zuzementiert wird. Was derzeit zu geschehen im Gang ist: Programmierung statt eigener, freier Meinungsbildung (zu der die Erörterung eines Möglichen notwendigerweise gehört).
[Link auf die Serie im Bild]
Nota:
Interessanterweise bleibt, völlig anders als → Matzneff, Michael Jackson als Pop-Ikone völlig unangetastet, → geschweige, daß ein Wirtschaftsunternehmen auf die Idee käme, seine Platten vom Markt zu nehmen.
ich kann mich gut an eine auseinandersetzung im seminarraum erinnern, die sich einst nach einer lesung von ANHs isabella-maria-vergana-erzählung entsponnen hat. inhaltlich könnte auch das, immerhin 13 Jahre her, in diesen kontext gehören.
aber eine ergänzung dazu, dass m. jackson (von dessen neigung, nebenbei, niemand mehr ernsthaft überrascht sein konnte, als die herren zu prozessieren begannen) “unangetastet” bliebe: ganz stimmt das nicht, denn viele (unterdessen vermutlich wieder weniger) radio-stationen haben sehr schnell seine songs von den playlists entfernt, siehe etwa hier. das tut ihm nicht mehr und in den dimensionen auch der erbengemeinschaft nicht weh, aber immerhin.
es scheint wieder mal mehr darum zu gehen, dass die dichter, mögen sich auch laszive verse schmieden, doch bitteschön ein moralisch einwandfreies privatleben haben sollten. siehe catulls obszönes gedicht nr. 16 (bei dem wir leider nicht mehr sagen können, wie alt der “pathicus Aurelius” und der “cinaedus Furius” gewesen sein mögen, denen da eindeutige gewalt angedroht wird):
nam castum esse decet pium poetam
ipsum, versiculos nihil necesse est.
wäre dies allerdings kriterium für einen verbindlichen kanon, die bibliotheken hätten keine platzprobleme mehr.
was matzneff angeht: wenn sich die vor- und anwürfe auf äußerungen in seinem, freilich veröffentlichen, tagebuch beziehen, müsste man sich gedanken über deren status als literarische texte machen; sprich: ob sie eher als dokumentationen eventuell strafrechtlich relevanter vergehen anzusehen sind oder den benefit of the doubt der fiktion beanspruchen können. für einschlägige romane (von Lolita gar nicht zu reden) oder verwandte texte – ich denke an urs allemanns kalkuliert skandalösen Babyf*cker (der link stellt nur einen ausschnitt der rezeption dar) – gilt letzteres ohnehin noch.
A.