(Die Tonfiles beinhalten das gesamte Gespräch.
Aufnahme und Schnitt: ANH)
[28. Januar 2020
Lindenoper, Apollosaal, 13 Uhr]
(Von links nach rechts:
noch fehlend Günther Groissböck, Arthur Ambesser, Xenia Hausner, André Heller, Intendant Matthias Schulz, Zubin Mehta, Carmilla Nylund, Wolfgang Schilly)
Sie wissen, Freundin, mit kaum einer Oper habe ich mich auch → poetisch so sehr beschäftigt wie mit dieser, vor deren Premiere der neuen Inzenierung Matthias Schulz die Mitwirkenden und die geladenen Gäste begrüßt:
wobei, siehe den oben noch leeren Stuhl, Groissböck – der Ochs der neuen Inszenierung – erst direkt nach der Begrüßung herein-, so muß ich’s erzählen, –stürmte, dann vorgebeugt Platz nahm, den linken Sneaker von sich gestreckt, um nachher mit einer sonoren Stimme zu sprechen, die bereits d a Echos im Brustkorb erzeugte, aber erst nachdem Heller eine quasi Einführung in seine Werkauffassung halb zelebrierte, halb — „den Irrtum ehren“ — , ebenso anekdotisch wie ernsthaft als Liebhaber des Werks, speziell indessen Hofmannsthals, zu dem er als Junge habe gebetet, um die Gunst der versammelten Journalistinnen und Journalisten buhlte:
Nein, nichts daran ist manieriert, auch wenn es dem ironischen Pragmatismus nicht paßt. Beglückt aber auch, als Dirigent, Zubin Mehta, der seiner Beglückung den deutlichen Ausdruck verlieh, endlich einmal auch bei einer Regie tiefe Freude empfinden zu dürfen; er könne es kaum abwarten, daß die Bühnenproben begännen:
Und Carmilla Nylund, die Sängerin der Marschallin, erzählt von der Reife ihrer Rolle und wie froh sie drüber sei, sie jetzt, mit 35, auch wirklich erfahren spielen zu können. Dabei dreht sich immer wieder die Rede um Wien — Heller auf einer seiner alten Platten: sein Verhältnis zu dieser Stadt „gleicht dem des Hosenträgers zum Oberkörper: Er läßt sich sehr weit dehnen, schnalzt aber immer wieder in die Ausgangslage zurück“ —, und der sogenannte – ein dem Poeten wahrscheinlich aufgepapptes Wort – „Multimedia“-Künstler wird akribisch genau bei seiner Schilderung, einer weiteren Liebeserklärung, der Diversität des Wiener, nun jà. Dialekts?, der sämtliche Schattierungen einer Sprache kenne, sogar vielleicht noch m e h r – vom elaborierten Code der, sagen wir, „höheren Stände“ bis hinab zum restringierten der einfachsten Bevölkerung. Ja, von Stadtbezirk zu Stadtbezirk sei er verschieden, ob als Schatten oder Licht. „Das werden Nichtwiener niemals begreifen, schon gar nicht in Paris oder New York – und auch nicht in Berlin … oder nur sehr wenige.“ Im übrigen habe er mit Hofmannsthal bereits einen Termin nach seinem, Hellers, Tod, um sich über diese Sachverhalte zu besprechen:
Und dann bricht er für die Marschallin mehr als nur die Lanze in der Gastalt einer Eule, die über Athen einen Rundflug der dieser Art völlig unbekannten Stadt macht*– durchaus ein bißchen ungerecht gegenüber Sophie, weshalb ich mir denke, er habe niemals Laura Aikin gehört (1996, hier an diesem Haus), die seinerzeit mir Tränen in die Augen trieb. Zwar ist es sicher wirklich so, daß dieses, ja, noch – ecco – Mädchen der Fürstin Werdenberg kein Wasser reichen kann. Doch wer sagt uns denn, daß dies so bleibe? Und ob die Marschallin dem Octavian nach schließlichem Ende seiner jugendlichen Liebe und wenn auch nur „vielleicht wieder zur Verfügung stehe“, muß arg, aus meiner Sicht, bezweifelt werden. Statt dessen wär ihr ein nicht-homosexueller Jean Marais zu gönnen, bzw. gewesen. Doch dies ist meine Sicht auf die Dinge, die er gewiß nicht teilen muß:
Den Rosenkavalier wolle er (plaudert Schulz aus, daß Heller es gesagt habe) „in Schönheit ertränken“. Ich nehme an, daß es am 9. Februar nicht so sein wird, denn um eine gestorbene Oper, zumal eine solche, wäre es schade. Der Tod durch Ertrinken nämlich ist ein Ersticken.
Irre Spannung jedenfalls, gerade bei mir (der immer noch nicht weiß, ob für ihn eine → Premierenkarte bereitliegt), wiewohl es für mich ein um zwei Tage verspätetes, weil eben mit meiner eigenen Arbeit verbunden: wahrhaftiges Geburtstagsgeschenk zum Fünfundsechzigsten wäre, das allein geeignet ist, meine zu diesem „Anlaß“ eigentlich geplante Flucht nach Neapel oder Sizilien zu verhindern. Einen Rezensionsauftrag jedenfalls h a b e ich. Wir werden sehen. Aber klar, alle Aficionados wollen diese Inszenierung erleben — und leider solche Kritiker** auch, denen und deren Auftraggebern es vor allem um den „Event“ geht. Denn das, in jedem Fall, wird die Inszenierung sein, und nicht nur für Berlin.
{*) Ein Wort, dieses „macht“, das in dem Gespräch ein bißchen arg zu
häufig fiel: „wir machen eine Inszenierung“, „den Rosenkavalier machen„,
wir „machen Liebe“ sozusagen.
**) Ich bin da nicht so freundlich, freundschaftlich oder, sagen wir,
weise wie Heller und meine im übrigen, es müsse ein ganz neuer
Begriff eingeführt werden, nämlich der einer poetischen Kritik,
die völlig andere Kriterien als die berichterstattende und vor
allem urteilende hat. Dazu einmal getrennt.}
Richard Strauss
Der Rosenkavalier
Komödie für Musik von Hugo von Hofmannsthal
Staatsoper Unter den Linden
Premiere: 9. Februar 2020