Die krönende Phase des Anthropozäns
Ein Beitrag zur Erlösung vom Geschlecht

„Ein Nein ist ein Nein“, das ist wohl wahr.
Nur ein „Nein“ — ja wozu?
Das ist alles viel, viel, viel zu schwammig. Wir brauchen im Gegenteil „Ja“s, und zwar dezidiert, um handlungsfähig zubleiben. „Du darfst mit mir schlafen“ reicht da nicht, auch nicht mit Unterschrift, weil erstens zu „schlafen“ gar nicht gemeint ist und zweitens selbst das Gemeinte viel zu vielgestaltig, als daß es nicht einer Vertragsform bedürfte, die noch die abgelegenste Neigung präzise bestimmt oder ausschließt. Haben wir also auch hier vorm Kleingedruckten acht! Vor solcherart Täuschung sei darum sofort der Riegel geschoben:

 

[→ Quelle:auf Abbildung klicken]

 

Nur darf dies — schon in öffentlichem Interesse, vom Sozialen ganz zu schweigen — auf keinen Fall in privatunternehmerischen Händen liegen. Benötigt wird vielmehr eine ein für alle Mal gültige bürgerlich-rechtliche Form, einen Norm-, mithin möglichst europäischen Sexualvertrag, der sich aus deutlich benannten Inhalten aufbaut – am besten nach multiple-choice-Manier, sinnvollerweise in den Smartphones gespeichert. Dann wischen wir vor dem Verkehr nur noch durch die Sites, bestätigen hier, oder verneinen, und schließen den Vorgang mit einem Fingerprint ab. Es wäre dies – sagen wir’s vereinigungstechnisch angemessen: –  flüssiger als vierundzwanzigseitige Kontraktformulare, die man wie frau ja irgendwie mit sich herumtragen muß – je nach erotischem Temperament zuweilen oder dauernd. Denn kommt uns die Lust und Aussicht auf Erfüllung, muß die eineindeutige Bestätigung des Wunschpartners folgen, damit wir uns nicht strafbar machen. Für spontane Vereinigungen gilt das verschärft, etwa unter freiem Himmel. Gute Hotels allerdings, so ab der Klasse von vier Sternen, werden sich der Sachlage flugs einzufinden wissen und für ihre Klientel – von „Stammgästen“ möchte ich aus gendercorrecten Gründen nicht sprechen – die Ausdrucke immer bereitliegen haben. Praktischer- wie eleganterweise ist dennoch (→ Legalfling) das Smartphone vorzuziehen, und sowieso aus Gründen des Mainstreams. (Ich erinnere mich sehr gut an Zeiten, da, meinem Opa vom Büdchen Bier zu holen, noch nicht den eigenen Alkoholismus nach sich zog, wie es heutzutage klarerweise der Fall ist.)
Tatsächlich dürfen wir den Umfang der koitalen Verträge nicht unterschätzen. Nicht nur die direkte Penetration steht doch zur Rede, bzw. in der vertraglichen Pflicht. Da Menschen auf verschiedene Praktiken verschieden gestimmt, gar einigen bitter vergegnert sind (bisweilen bereitet bereits Orales Probleme, die durchaus faktisch – etwa mit dem Würgereiz – begründet werden können, um von analen Vereinigungsformen schon aus Vorsicht zu schweigen … ich deute hier nur Faserrisse an), unterliegen sie erst recht einer Zustimmungspflicht. Dabei zeigen uns schon die klassischen Lehrtexte zum erotischen Umgang, wie komplex die Möglichkeiten sind – alleine sieben Bücher Kamasutra (Das sind die heißesten Stellungen, brigitte.de), dazu der wahrlich Blühende Garten des Scheiches Nefzaui. Von härteren „Spiel“formen spreche ich besser erst gar nicht, erfaßt aber müssen sie unbedingt werden.
Was also ist erlaubt? Allein dessen Ausarbeitung hat einigen – auch volkswirtschaftlichen – Nutzen. Denn es geht ja auch darum, so zu formulieren, daß nicht schon da, nämlich unbedachter Wortwahl halber, traumatisierende Verletzung erfolgt, und zwar lange bevor sie praktisch an die Tür pochen kann, an die entsprechende Öffnung mithin, ob Ohr nun oder da unten. Hier müssen Spezialagenturen her, PR in allgemeinverständlicher Sprache, dabei geschlechtsausgewogen und selbstverständlich psychologisch beraten. Für, grob skizziert, zum Beispiel folgende Fragen, respektive Genehmigungen:

[Nichtzutreffendes bitte streichen]
* Sie dürfen mich in das Ohr | den Schenkel | usw. beißen
* Sie dürfen meinen Arm | Kopf | Po | … | anfassen / küssen / *** [jugendschutzhalber zensiert]
* Sie dürfen mir Ihr *** in den/die/das ***
* Sie dürfen / dürfen nicht unflätige Sätze zu mir sagen („Mach mir den Gibbon/Glühwurm/Esel“ / („Laß mich dein Badewasser schlürfen“ usw.)

[Nichtzutreffendes bitte streichen]

Ja überhaupt muß schon die spezielle Terminologie festgelegt werden, die während des Aktes Anwendung findet, wenn denn gesprochen werden soll/darf/wird. Nämlich auch hier lauern schlimmste, seelische in diesem Fall, Verletzungsgefahren, zumal wir bestimmte Körperteile nicht mehr mythisch erhöhen dürfen, erst recht nicht sentimental – stellt doch die erotische Projektion schon selbst Mißachtung der Partnerphysis dar, ja begründet ihren Mißbrauch. Es gibt für zum Beispiel den organischen Apparat der Milchdrüsen oder gar den Empfängnisvorbereich schlimme Bezeichnungen, die zu mehr als nur Verstörung führen können, andererseits deren Fehlen in gewissen Phasen der Erregung eventuell vermißt werden würde (dirty talking). Die Frage ist tatsächlich brennend: Soll auch ein Fehlen strafbar sein?
All das durchzugehen, braucht für die Partner deren Zeit, sagen wir zwei Stunden. Die allerdings das Vorspiel, dessen Mißachtung grad oft die Weiblichkeit beklagt hat, zu ungeahnter Geltung kommen läßt. Nun – weil besonders junge Leute gern vermittels ihrer Handys flirten, einander gegenübersitzend im Café – vollzieht es sich ganz auf der Höhe des Mainstreams. Überdies liegt der Vorteil in einer gewissen Pragmatik. Wie ökonomisch wird mit einem Mal alles! Geradezu von konzentriert läßt sich’s sprechen. Niemand muß mehr täppisch erkunden, ob mit den Fingern, ob mit dem Mund, was die und der Begehrte mag; man hat’s gleich schwarz auf weiß. So ist der Irrweg ausgeschlossen – der eben auch vermieden werden muß, weil sonst die Strafanzeige folgt – und à propos (gegebenenfalls ist diese sowieso klar): Verträge fallen unters Zivilrecht. So daß jenem auch ein Prozeß wegen Vertragsbruchs folgte, notwendigerweise, verbunden mit Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Rechtsanwaltskanzleien erschließt dies Einnahmequellen, die abermals das Bruttosozialprodukt unserer Volkswirtschaft steigern. Fürwahr, die Gendercorrectness ist ein signifikanter Posten des Markts.
Bislang wurde gerade dieser Aspekt nicht gebührend ins Auge genommen – daß wir uns nämlich in einer tatsächlich so fortschreitenden Emanzipation befinden, um Hand in Hand mit der Marktwirtschaft endlich Genesis 1,28 erfüllen zu können. Damit ist die Gendercorrectness eine Befreiung beider Geschlechter und nicht „nur“, wie reaktionärer Machismo gehässig es sieht, eine Feministinnenstrategie zwecks asymmetrischen Machtgewinns, sondern er trägt auch zur allgemeinen Wohlfahrt bei – zur Bildung ganz besonders. Denn wir lernen zu sehen, was ist: die Geschlechtsapparate als eben nur einen Teil – zumal, in solcher Nähe zum Anus, den unhygienischsten – unseres biologischen Körpers, der schließlich gerechterweise verwest (und dann ganz besonders zu stinken beginnt, anders als der Geist, den es rein als Seele zum Schöpfer hoch hinaufweht). Wir brauchen das erbärmliche Chassis unseres Leibes fast nicht mehr und müssen deshalb nicht länger einen Duft projezieren, wo in Wahrheit nichts als krude Miasmen (Abfallprodukte des Stoffwechsels mit allerlei, wie Schmieröl das Scharnier, entstumpfenden Sekreten), zudem durchweg infektiös und sowieso, bakteriell wie virös, äußerster Gefahrenherd.
Der Monotheismus sah es schon richtig: Solange besonders wir Männer solch ein Verklärungswerk taten, also das allem Geschlecht Unreine ikonografisch verstellten, blieben wir Tiere – als ob wir, wenn’s uns überkommt, an einer jeden Zaunecke schnüffeln. Erhöhung ist Instinktersatz. Jetzt aber, mit Queer „und alledem“ (→ Freiligrath/Biermann 1978) können wir uns darüber erheben mit dem Geschlecht als pur sozialer Konstruktion – als endlich freier nur noch Geist: trieberlöst in die Indifferenz.
Verträge wie die oben genannten helfen uns dabei. Wir werden wirklich autonom – und vielleicht vom Schlimmsten noch erlöst: daß Frauen unter Schmerzen gebären. Allein das viele Blut und auch hier die Sekrete, sogar Exkremente – widerlich! Da gegen steht die Correctness Hand in Hand mit der Gentechnologie – nicht um die Männer gleichfalls gebären zu lassen (was theoretisch denkbar wäre, wenn auch nur mittels Kaiserschnitt). Vielmehr müssen es die Frauen bald wirklich nicht mehr tun. So läutet das Ende der definierten Geschlechter als einer Tyrannei des Instinkts das uns erlösende Zeitalter ein. Wir wollen es das replikante nennen – und sehen’s als krönende Phase des Anthropozäns, die keiner Kultur der Sublimation mehr bedarf, noch der übel (→ „un admirador“) verklärenden Künste.

___________
ANH

Jan./Feb. 2020

 

 

7 thoughts on “
Die krönende Phase des Anthropozäns
Ein Beitrag zur Erlösung vom Geschlecht

  1. Sehr schöner Text. Man hätte ihm allerdings, für die Empfindlichen und die Schneeflocken unter den Lesern, noch eine Triggerwarnung voranstellen sollen, so daß man ihn dann vielleicht im Safer Space liest. Zudem gilt ja nach wie vor:

    „FASOLT:
    Verträgen halte Treu‘!
    Was du bist,
    bist du nur durch Verträge; …“

    Und etwas davor:

    „FRICKA:
    Um des Gatten Treue besorgt
    muß traurig ich wohl sinnen,
    wie an mich er zu fesseln,
    zieht’s in die Ferne ihn fort:
    herrliche Wohnung,
    wonniger Hausrat
    sollten dich binden
    zu säumender Rast.
    Doch du bei dem Wohnbau sannst
    auf Wehr und Wall allein:
    Herrschaft und Macht
    soll er dir mehren;
    nur rastloser’n Sturm zu erregen,
    erstand dir die ragende Burg.“

    (Wagner, Ring des Nibelungen)

  2. da gibt es doch diese österreichische anwältin, helene klaar, zum scheidungsrecht, in diesem irre tollen interview, die sagt doch, warum wollen sie denn heiraten, wenn sie dann einen ehevertrag machen wollen, damit stehen sie doch nur schlechter da. so kommt es mir hier auch vor, wenn man meint, einen vertrag zu brauchen, sollte man vielleicht noch mal drüber nachdenken, ob man dann mit dem/derjenigen sex haben will. und dann braucht man auch schon gleich keinen mehr. der wunsch nach einem vertrag ist wohl eh ein: lieber nicht. könnte eine freundliche formulierung für eine ablehnung sein: lass uns erst mal einen vertrag machen.

    „Raten Sie zu Eheverträgen?
    Nein. Denn die schließt man, bevor man heiratet. Der schlechteste Zeitpunkt. Gerade ausgebildete junge Frauen, die ein gutes Einkommen haben, können sich nicht vorstellen, dass sie jemals in ein Abhängigkeitsverhältnis von ihrem Mann geraten, wie ihre Mütter oder ihre Großmütter. Die unterschreiben stolz, dass sie auf Unterhalt verzichten, denn wenn der Mann sie nicht mehr will, möchten sie nicht von seinem Geld leben und finden es unappetitlich, die Hälfte seines Sparvermögens zu beanspruchen. Nur: Wenn die Frau Kinder kriegt und nicht arbeiten geht, hat sie nichts Erspartes. Und wenn er kontrolliert, was sie kauft, wenn er ihr die Strumpfhosen und den Lippenstift verbietet, merkt sie, was sie da unterzeichnet hat. Die meisten Eheverträge werden auf Wunsch des gut verdienenden Mannes geschlossen und sind Verzichtserklärungen von Frauen.

    Ehe und Liebe haben nicht viel miteinander zu tun, wenn man Ihnen so zuhört.
    Ich sage immer, das Gesetz regelt die Ehe, und da steht von der Liebe kein Wort. Es ist keine Voraussetzung, dass Menschen sich in Liebe verbinden müssen. Man hat doch nicht geheiratet, weil man sich liebt.

    Hat man nicht?
    Nach den Begriffen des bürgerlichen Rechts nicht. Nur weil man sich liebt, könnte man auch so zusammenleben. Wenn man heiratet, erwartet man diese rechtliche Bindungswirkung. Und die ist völlig unabhängig von der Liebe. Natürlich, man hält die Ehe leichter aus, wenn einem der andere wenigstens sympathisch ist. Aber Geschäftsgrundlage der Ehe ist die Liebe nicht.“

    „Die eheliche Treue, also die „Ausschließlichkeit der Geschlechtsgemeinschaft der Ehegatten“ wird als Ehepflicht angesehen. Das Zeugen von Kindern wird nicht mehr als der eigentliche Ehezweck und somit auch nicht mehr als Verpflichtung angesehen.“ – manchmal ist es ja auch gut, zu wissen, woran man sich zu halten hat :).

  3. Das habe ich gern gelesen, weil es eine perfekte Satire ist. Sie erklärt mir auch andere ganz gut, warum ich in meinem hohen Alter kein Handy besitze, geschweige denn ein Smartphone.
    Denn es gilt da: wozu?
    Danke für den Lesegenuss.

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