„Warum schreiben Sie eigentlich nie einen Roman über Ihre Börsenzeit?“ | § 1: Optionsdrücker

(Die Leute lesen halt nicht:)

(…)
Maierhoff schlendert zu den Sushis und bestellt. Setzt sich Balmer gegenüber. Legt das Handgelenkstäschchen auf den Tisch. „’tschul­digung, gibt’s hier ‘n Spielautomaten?“ Die süße Bedienung catwalkte rauf, Backe links hoch, Backe rechts runter. Maierhoff, ohne sie dabei anzusehen, denn er fingerte in seinem prallen Portemonnaie, orderte einen Black Label und Wasser. Alles wie damals. Immer trank er seinen Whisky ver­dünnt, im Büro oft ein Blatt Papier oder einen Prospekt über das Glas gedeckt, damit der Chef nichts roch. Dann telefonierte er oder ließ doch seine Gruppe telefonieren, eine kleine fermündliche Drückerkolonne. „Der Dollar! Ich sag Ihnen: Dollar!“ Das war Techling, am Nebentisch. Ins Telefon, das er so weit von sich streckte, um Grund für sein Brüllen zu haben. „Der steiiigt! Der steiiiiiiiigt!!!“ „Ich würde den Dollar verkaufen“, grummelte Maierhoff über unseren Tisch und hebelte damit die Hausmeinung aus. „Guck dir nur mal, Axel, den Chart an.“ In Wirklichkeit war ihm der Chart ziemlich wurscht, er handelte rein nach Instinkt. Damit spielte er durchaus nicht schlechtere, oft sogar bessere Ergebnisse ein als die meisten Kolle­gen, die den Prognosen unserer Analytiker folgten. Es gab Broker, denen ging es mit Handlesen ähnlich. Mittags waren wir oft zusammen essen, Maierhoff steckte fünf Mark in den erstbesten Spielautomaten, bestellte ein Bier, wir aßen, derweil rödelblinkte das Gerät, tölende blökende Dragons klimpernde Glorias ratternde Time Breakes, und die Skys flöteten pfiffen fanfarten. Kam die Rechnung, klapperten bereits Schwälle aus Münzen in die Leichte Musik der Auffangschale, aus der Maierhoff dann sei­ne Zeche beglich. Ich habe ihn nie verlieren sehen. Nur warf er manch­mal, während des Essens, einen Fünfer nach. – Ein halbes Jahr lang hat er mich ausgebildet, dann ist ihm Da ist eine Handlung er­fordert dazwischengekommen. Und er war mit seinen Millionen verschwunden. War, schon ein nächstes Opfer witternd, nun zurück, das sich, dachte ich, noch lange für seinen Komplizen halten würde. Freundschaft gibt‘s beim Gaunern nicht. Man kauft und verkauft. So einfach ist die Finanzwelt.
Gib rüber das Gelump“, sagte Maierhoff zur Bedienung, als sie ihm die Sushi brachte. Das Porzellantellerchen gewölbtes Japanblau. Zum ersten Mal guckte er hoch: „Da­von soll ich satt werden? Na nun sehn Se sich das doch mal an..! Sie verarschen mich, oder? Ah, ich verstehe!: a möse, göll?“
Maierhoff profanierte Sprache und Kultur. Bisweilen, auf Empfängen, führte er den Suppen­teller zum Mund und schlürfte seinen absichtsvoll schlechten Benimm durch genau den Kakao, den ihm die High Society kochte. „Wer sagt, daß man nen Löffel nehmen muß, wenn’s auch
so geht?“ Er hatte Aura, das muß man sagen, auf Menschen mit Geld wirkte er durchweg hyp­notisch. Er affizierte in den Leuten die Gier und führte sie vor; beide, Leute wie Gier. Sowie er sie an seinem Spielerglück teilhaben und vor allem mit ihm gewinnen ließ, rettungslos verfingen sie sich. Gaben schließlich, da seine Positionen derart gewannen, alle Vorsicht auf. Er hatte Bankers als Kunden, Leiter großer Unternehmen, Pro­fessoren, sogar Künstler. Ohne daß sie es merkten, zerrte sie Maierhoff aufs Niveau seiner eigenen Herkunft herunter. Waren sie da angelangt, kam stets der Moment, an dem es den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit gefiel, ihren alten Rang einzunehmen. Dann verloren die Leute. Verloren weiter. Und abermals. Zentrifugierten sich. Trotz und Not schleuderten sie in einem Strudel Orders herum. Schon konnten sie nicht mehr zurück. Und Maierhoff erhob sich über sie. Wozu sonst war man ein Kleinbürger geblieben?
Ich habe zwei Kunden erlebt, die in den Wohnwagen kamen, weil ihnen alles andere unter den Hammer geriet. Da waren die Ehen zerstört. Die Kinder kamen ans BAFÖG. Zu früheren Zeiten hätten sich solche Väter vor die Spiegel gestellt, einmal ge­nickt und aus der mittleren Schublade die Pistole genommen. Mittlerweile zieht man den Konkursrichter vor. Bevor der aber tätig wurde, gingen noch dreivier Mona­te durchs Land, in denen es Maierhoff noch einmal versuchte. Vielleicht gab‘s Erspartes. Das sollte auch noch weg.
Bisweilen wurde er verklagt. Er zog jedesmal den Kopf aus der Schlinge. Dabei läßt es sich nicht behaupten, er habe einen Kunden jemals getäuscht. Keinen hat er übers Risiko jemals im unklaren gelassen. Es wär ihm viel zu unbequem gewesen, den Opfern etwas vorzumachen. Vielmehr gab ihm gerade seine unverblümte Gnaden­losigkeit den fatalen Charme. Daß der ganz ohne Mitleid war, das eben zog die Leute an. Täglich schrieben sie Schecks aus. Gab es nichts mehr auszuschreiben, ging Maierhoff akquirieren. Telefonierte herum. Meistens überließ er das
Coldcalling
uns.
(…)
ARGO, III,11. S. 120-122

Argo.Anderswelt
Epischer Roman
Elfenbein, Berlin 2013
ISBN 978-3-941184-24-4

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3 thoughts on “„Warum schreiben Sie eigentlich nie einen Roman über Ihre Börsenzeit?“ | § 1: Optionsdrücker

  1. spannend – interessant – jaja–Börsianer, „Eierhändler“, Immobilienfinanzierer, Versicherungsmakler – da kann man was erleben – dieser Typ da oben (Mayerhoff), erinnert mich glatt an jemanden –  Mann und Mensch aus einfachen Verhältnissen – aber: der hat die Jungs nach einem großen Abschluss in den „Puff“ geschleppt, theatralisches Theater vom Feinsten gespielt, was (fast) niveaulose Unterhaltung anging – hat Typen ausm Vorstand bei eigenen Geburtstagsfeiern vor sich „niederknien“ lassen – köstlich — und das stets mit einem zu lauten Lachen und anderem MachoGetöse – so sind se, manche Macher – Geld war immer da und der 300-er SL natürlich auch….eine Sensation im Sommer…da hatte man(n) sein Publikum…lach—RIvS

    1. Vielleicht, daß wir denselben meinen? Durchaus möglich. Selbstverständlich habe ich den Namen geändert, wenngleich ich es für unwahrscheinlich halte, daß ****** mich andernfalls verklagen würde; er hätte vielmehr seinen Spaß, nun auch in die Literatur eingegangen zu sein. Ah, und wie er das ist! (Allein schon deshalb lohnt es sich, >>>>Argo zu leen. Nur sollte mit Thetis begonnen werden, sonst ist es zu komplex – es sei denn, Sie wären eine Livingstonin auf der Suche nach den Quellen des Anderswelt-Nils. Dann könnte es sein, daß irgendwann ****** Sie aufspürt, nur um zu fragen: „Mrs Livingstone, I presume?“).

  2. „Gelächter im Hellen“ – Oh ne bitte nicht..Mit dem bin ich echt durch.. obwohl, ich hab selten so gelacht, vor allen Dingen über die Deppen, die an seiner imaginären Finanz-NabelSchnur hingen….bis dahin dachte ich immer freiwillige „Unterwerfung“ gäbe es nur bei Frauen..wobei wir über „freiwillig“ nicht näher sprechen wollen, wir wissen schon***(über die Abgründe der Abhängigkeiten)   —   in Thetis habe ich noch nicht hineingeschaut… – gibt ja noch ein Leben vor dem LESEN –  obwohl –  —  ich lass das mal so… —RIvS

     

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