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Der erste erhaltene Weblog-Eintrag Der Dschungel überhaupt. Vom 29. Oktober 2003. Im Arbeitsjournal des Sonntags, den 8. März 2020.

 

[Arbeitswohnung, 9.04 Uhr
Zweiter Latte macchiato]

[David Ramirer, Organics auf Bachs Präludium C-Dur BWV 846]

 

Meinem durchnumerierten Word-Archiv zufolge war → dies der zweite Eintrag und ist offenbar der erste überhaupt erhaltene, den ich je für ein Weblog verfaßte. Noch für die auf freecity dank → Oliver Gassner schnell gefolgte  twoday-Dschungel bis zum, vor etwas mehr als zwei Jahren, Export nach WordPress schrieb ich sämtliche Texte in einer doc-Datei vor und legte sie nach fester Zahlenregistratur ab; die letzte da hatte die Nummer 18238 — es folgen noch etwa 200 Einträge, denen ich keine Nummer mehr gab; das war bereits die Umbruchphase zu WordPress. Der tatsächlich erste Eintrag-je scheint allerdings tatsächlich verloren zu sein, keine Ahnung, weshalb. Es wundert mich, denn in Sachen Archivierung bin ich pedantisch — wie in allem, was mit meiner Arbeit zu tun hat.

Wie nun auch immer, unterdessen bin ich dabei, die alten freecity-Einträge hier in „DIE neue DSCHUNGEL“ einzufügen, so daß ihre Geschichte in absehbarer Zeit so komplett wie möglich mit enthalten sein wird. Dies nämlich nicht nur, weil ich von der Modernität und Notwendigkeit meiner Poetik überzeugt bin, sondern vor allem, um auch hier dem Gedanken der jungen Moderne zu entsprechen, daß die Entstehung eines Kunstwerks eines ihrer notwendigen Teile sei. Wobei es jedenfalls für mich-selbst höchst interessant ist, wie eng ich damals bereits den Buchverbotsprozeß um → Meere — der eine Situation schuf, ohne die ich ein Weblog wahrscheinlich niemals begonnen hätte; ich fühlte mich dazu rundweg genötigt, nämlich um nicht zu verstummen — mit meiner Andersweltpoetik zusammensah, zusammen spürte. Das hat nichts mit der seinerzeitigen Klägerin zu tun, wohl aber mit der Reaktion des Literaturbetriebs und seiner Fetischisierung eines komplett falschen „Realismus“. Und, damit verbunden, mit dem selbstgefällig-bequemen, ich schreibe mal „linken“ Mißverständnis, was Dichtung eigentlich sei. In anderen Worten ist es ein Irrtum der Abbildbarkeit, der sich, wie auf eine Krücke, auf die „klassische“ Vorstellung der Mimesis stützt. Nahezu alles, was zu deren Seiten lag, wurde quasi weggetreten — sofern es aus Deutschland kam. Für Österreich machte man Ausnahmen, H. C. Artmann und andere, fürs nichtdeutschsprachige Ausland sowieso. Da waren sogar Vertreter der phantastischen Literatur „erlaubt“, etwa Borges, hingegen die Deutschen der Kahlschlag-Doktrin, später dem sog. Kölner Realismus zu folgen hatten. Schon klasse, nebenbei bemerkt, wie Wellershoff auf der Leipziger Literaturkonferenz 2003 wieder nach Sturmgewehren rief; da kam ganz wunderbar seine Zeit in der Wehrmacht wieder ans Licht; und Ina Hartwig trug am Kragenspiegel Stars ’n Stripesauch ein Endsieg, nämlich des Pops. Klar, daß jemand wie ich in solcher Runde nichts zu suchen hat und also weg muß: Sie wissen ja, liebste Freundin, welch Nestbeschmutzer ich bin.
Nur daß das Problem ist, man kriegt mich nicht weg, der Swinigel ist immer schon allhier. So, genau so, entstand Die Dschungel, und es ist mir wichtig, dies öffentlich zu protokollieren, zugänglich für jede und jeden, die und der es will. (Vorläufer hierfür waren die von 1985 bis 1989 erschienenen Dschungelblätter; was ich mit dem Weblog begann, war insofern eine Fortführung unter allerdings anderen, teils schlimmeren Voraussetzungen, dafür angereichert mit einiger reifer Erfahrung; und nun, mit dem Meere-Prozeß ging es halt auch um faktische Existenz, nicht nur den Widerstand eines jungen, betriebsunbequemen Autors. Wobei, wie → dieser nun wieder eingestellte erste, bzw. zweite Weblog-Eintrag formuliert, in der öffentlichen Auseinandersetzung um den inkriminierten Roman eigentlich meine ganz anderen Bücher suggestiv mitdiskutiert wurden — bis noch 2015 in Hubert Winkels´ hübscher Charakterisierung als → „utopistisches Tamtam“ (und immer noch stehen da unwidersprochen diese beiden so ekelhaft-hämischen wie kenntnislosen, → deutlich persönlichen Kommentare unter dem, aufs → Traumschiff bezogen, eigentlich sehr schönen Artikel).— Nein, ich kann und ich will das nicht abhaken und zu den Akten legen, denn es zeigt, wie Literatur, die sich nicht in den Mainstream fügt, von sehr klugen, sehr kenntnisreichen, eigentlich hochsensiblen Menschen weggemobbt wird, ohne daß sie wahrscheinlich selbst begreifen, was sie da tun. Zudem ist es höchst fraglich, ob sie die so zum Abschaum gekippten Bücher überhaupt gelesen haben. Auch hier gilt: Geschichte geschieht durch Einschliff.

Wie nun auch immer, Freundin. Einige alte Beiträge habe ich bereits stillschweigend in Der Dschungel nachgetragen; manche davon, wenn sie nicht allzu „historisch“ sind, kommen — wie → dieser dort gestern — für einzwei Tage auf die Hauptsite unter vorübergehend aktuellem Datum und werden danach unter dem alten originalen abgespeichert, so daß sie „nach hinten“ wieder verschwinden, aber im Archiv gut aufgefunden werden können (rechte Spalte, tief hinabscrollen, dann können Jahr und Monat geöffnet werden).
Des weiteren spiele ich mit dem Gedanken, auch aus der Zeit vor Der Dschungel poetologische Überlegungen und Positionierungen einzustellen, die ich zu meiner Arbeit etwa in Briefen angestellt und eingenommen habe; ich habe ja auch sie gesammelt, material aus den Zeiten, bevor ich mit dem Computer zu arbeiten begann, dieses etwa um 1983/84, sowie danach als gespeicherte Dateien/Mails. Das meiste davon ist tatsächlich, siehe „Pedanterie“, erhalten.
Daneben läuft selbstverständlich die aktuelle Arbeit; vorgestern gab ich meine Rezension zu AMERICANA von Maret, Collin, Frisell und Penn bei Faustkultur ab, soeben erschienen bei ACT, dann sitze ich gerade über einer Besprechung der schon oben genannten→ ORGANICS, also von David Ramirers neuer CD, lese derzeit fürs nächste Nabokovlesen Die Mutprobe und versuche mich weiter und weiter am Ansatz des → Béartstücks XXXII, dem vorletzten des Zyklus mithin. Doch da kommt ich grad nicht recht weiter, obwohl die Zeit nun, spüre ich, drängt. Und außerdem gucke ich mich mal wieder auf Kontaktforen um, weil mir das sexlose Dasein auf die Nerven geht, kann mich aber nicht wirklich durchringen, „tätig“ auf ihnen zu werden, weil es mich, wie ich gut weiß, zu viel und zudem meist verlorene Zeit kosten würde (zu oft kam in den letzten Jahren dieses „zu alt“, weil im Netz — nachvollziehbarerweise —  „rein“ nach Zahlen vorgesiebt wird; tatsächliches Sosein läßt sich ja nicht anschaun); und ich brauche die Zeit für die Arbeit. Eisenhauer vor paar Tagen beim Billard: „Au wei, jetzt hat dich das Leonard-Cohen-Syndrom.“ Ich verstand erst nicht, doch er erklärte es gut, und süffisant. Wie er halt ist. Außerdem, liebste Freundin, ich liebe ja; wie soll ich mich einer anderen Frau da antun? Es wäre schlichtweg unfair. Gegen meine real gewordene Anima kommt niemand an, so sehr auch dieses „real“ sich längst verweht hat, ich meine: als ein erfülltes. So gebe ich, was ich an Leidenschaft habe, allein noch in die Béarts.

Ihr ANH

[Theorie des Literarischen Bloggens]

 

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