[Bei Ravi Shankar, Raga Lalit
Ravi-Shankar-Edition, → Parophone Records Lt. 2020]
Es war ein ziemlich guter Instinkt, was mich entscheiden ließ, nach dem → Gelächter im Dunkel nicht das folgende, zwei Jahre später erschienene, sondern dieses direkt davor geschriebene Buch zu lesen, ja, auf Russisch im selben Zeitraum geschrieben, 1931/32 — einen im → schlinkertschen Sinn wahrhaftigen Taugenichtsroman. Denn verschiedener kann ein aufeinander folgendes Erzählen nicht sein, kann nicht die Hinsicht eines Romanciers auf seine Figuren sein. Wobei wir, Geliebte, immer in Betracht ziehen müssen, daß Grundlage der Übersetzungen — hier von Susanna Rademacher — in aller Regel die englischsprachigen, meist von Nabokov und seinem Sohn Dmitri stammenden Fassungen aus den mittleren bis späten Sechzigerjahren sind, die vom artist as an older man nicht nur mit der späteren Sprachvirtuositätstilistisch ans Englische angepaßt, sondern teils auch inhaltlich ergänzt worden sind.
Was so oder so auffällt, ist die ungewöhnliche Liebe, die Nabokov in der Mutprobe für seine Figuren hat, eine fast grundsätzliche Zuneigung, die dem Gelächter im Dunkel komplett fehlt. Die Mutprobe ist nicht nur ein ungemein zärtliches Buch, sondern wieder mit sprachlichen Schönheiten und „Bildern“ angefüllt, die dem Gelächter abgehen — so daß ich mich frage, ob ich dessen Übersetzern → nicht eigentlich etwas unrecht getan habe, als ich von einer gewissen Holzigkeit schrieb, der Nabokovs elegante Stilistik bisweilen abgehe. Wie also ist der Unterschied zu erklären? Hier, in dem direkt vorherigen Buch, ist sie in reinster Erscheinung von Seite 1 bis 251 zuhanden. Wobei ich abermals ein antiquarisch erworbenes Taschenbuch, rororo 1977, und nicht in Rowohlts von Dieter E. Zimmer kommentierter Ausgabe der Gesammelten Werke las.
Hier jedenfalls gibt es wieder
das elastische Bankett der Landstraße
Mutprobe, 13
sowie, daß die
Liebe seiner Mutter (…) so eifersüchtig [war], so heftig und intensiv, daß ihr Herz davon wundgescheuert [zu sein] schien.
Mutprobe, 18
Ferner
das hohe Sirren der Mücken
Mutprobe, 23
und eine
von staubigen Brombeeren gesäumte staubige Straße (…).
Mutprobe, 35
Oder nehmen Sie, Freundin, die folgende Passage:
Sie heiratete mit achtzehn und blieb ihrem Mann mehr als zwei Jahre lang treu, aber die Welt ringsum dampfte vom rubinroten Dunst der Sünde; glattrasierte, beharrliche Männlichkeiten drohten sich am Donnerstag, sieben Uhr abends, am Heiligabend um Mitternacht oder um drei Uhr in der Frühe unter ihren Fenstern umzubringen; die Daten gerieten durcheinander, und es war schwer, all diese Verabredungen einzuhalten. Ein Großfürst siechte ihretwegen dahin; Rasputin bedrängte sie einen Monat lang per Telephon. Und zuweilen sagte sie, ihr Leben [sei] nur der leichte Rauch einer ambraparfümierten Regie-Zigarette.
Mutprobe, 44
Gehen wir dann ganz wieder an den Anfang des Buches zurück, wird eindrücklich klar, woher diese einfühlsame, egal wie spöttische Fähigkeit rührt:
An der hellen Wand über dem schmalen Kinderbett mit den Seitengittern aus weißer Schnur und der kleinen Ikone am Kopfende (braunlackiertes Heiligengesicht auf Blattmetall, mit karminrotem Plüsch unterlegt, der von Motten oder Martin selbst ein wenig angeknabbert war) hing ein Aquarell, das einen dichten Wald darstellte mit einem gewundenen Pfad, der sich in Waldestiefen verlor.
Mutprobe, 15
Sie steigt, Naobokos poetische Gabe, tatsächlich aus der Erinnerung eines nahezu eidetischen Kindes auf und prägt sich ihm für alle Zeiten als Quell ein, aus dem als Schönheit die Macht der nabokovschen Fabulierkunst nur so sprudelt; Die Mutprobe ist aber auch deshalb ein für Nabokovs Gesamtwerk paradigmatisches Buch, weil dieses ihr Paradigmatisches hier zum Klammermotiv wird, einem, das das erzählte Geschehen auch formal in- und miteinander bindet. Seine romanästhetische Funktion geht weit über die eines bloßen Leitmotivs hinaus, indem das Aquarell immer zugleich das konkrete gerahmte Bild bleibt und doch zugleich metaphorisch wird. Ich habe, was Poesie ist, selten derart evident erfahren, besonders weil man anfangs immer nur denkt: welch schöne Erinnerung und nicht ahnt, daß in ihr bereits der gesamte Roman beschlossen, auch dann nicht, wenn Nabokov immer mal wieder dezente Hinweise darauf gibt, sehr versteckte wie auf S. 137:
(…) seine Träume hatten die Fähigkeit zu kristallisieren und zu Wirklichkeit zu werden,
Mutprobe, 137
und deutlichere wie auf S. 193:
Er begann einem Waldpfad zu folgen, der Pfad rollte ab, aber kein Schlaf kam ihm entgegen.
Mutprobe, 193
Denn erinnern wir uns, daß ihm seine Mutter zum Einschlafen
eine Geschichte über genau so ein Bild von einem Waldpfad, das direkt über dem Bett eines kleines Jungen hing,
Mutprobe, 15
erzählt hatte,
und dieser kleine Junge ging eines Nachts so, wie er war, nämlich im Nachthemd, von seinem Bett aus in das Bild hinein, auf den Pfad, der sich im Wald verlor.
Mutprobe, ebda.
Ein behutsam und beschützt in einer märchenhaften Umgebung und von einer hingebungsvollen Mutter, auch wenn sie ihn einmal ziemlich verdrischt —
Sie befahl ihm, die Hosen herunterzulassen und sich auf den Bauch zu legen. Er tat es, ohne sich zu mucksen, und sie peitschte ihn wortlos mit einer Reitgerte aus lohfarbenem Ochsendarm aus.
Mutprobe, 25
Achten Sie auf die Wortwahl hier — wie dieses „loh“farben
zugleich die leuchtende Farbe des Schmerzes ist!
Dann zog er die Hosen herauf, und sie half ihm, sie an sein Leibchen anzuknöpfen, da er sich um einen Knopf geirrt hatte. Dann ging er hinaus, und erst draußen im Park ließ er seinem Jammer freien Lauf und schluchzte herzbrechend,
Mutprobe, ebda.
— geliebter Junge ist also unser Martin; und anders als sein in der Kindheit ein wenig Zweitgänger → Lushin erlebt er auch die Stadt und die Schule nicht als einschüchternd, sondern baut alles in seine phantastisch-beglückende Wahrnehmung ein, hat also, wie meine Mutter zu sagen pflegte, allezeit einen Weihnachtsbaum über dem Kopf … — wir sprechen heute von einem früh erworbenen, lebenslang anhaltenden und bestimmenden Grundvertrauen. Später kommt hinzukommt, daß auch der ältere Martin sich niemals ökonomische Sorgen machen muß, und wenn er mal finanziell klamm ist, ist es seine Entscheidung, wie er’s behebt. Nimmt er Arbeiten auf dem Land als Hilfskraft an, so nicht, weil er muß, sondern es will. Selbst Vertreibung und Flucht durch die und vor der Revolution erlebt er fast eher als ein Abenteuer seiner Fantasie denn als reales Elend, dies weder auf der wundervoll beschriebenen Krim, von dessen einem Kliff aus der nun schon Jüngling
einen breiten schwarzen Abgrund und dahinter das Meer [sah] und dahinter das Meer, das erhöht und nähergerückt erschien, weil die Spur des Vollmondes, die sogenannte „Türkenfährte“, in der Mitte breiter und nach dem Horizont zu wieder schmaler wurde. Links in der dunstigen, geheimnisvollen Ferne schimmerten die diamantenen Lichter von Jalta. (…) Die Grillen zirpten unaufhörlich; von Zeit zu Zeit wehte ein lieblicher Hauch von brennendem Wacholder zu ihm herauf; und über der schwarzen Gebirgssteppe (…) empfand Martin wieder etwas, [d]as er als Kind mehr denn einmal erlebt hatte: eine unerträglicher Steigerung all seiner Sinne, einen magisch fordernden Impuls, die Gegenwart von etwas, für das allein es sich zu leben lohnte[,]
Mutprobe, 33
noch danach, als seine Mutter und er sich für das Exil einschiffen müssen:
Sie waren auf der Flucht vor tödlicher Gefahr, aber aus irgendeinem Grunde beunruhigte es Martin wenig, daß es so war, daß der Schieber mit dem aschfahlen Gesicht da drüben, der in seinem Gürtel auf der bl0ßen Haut einen Haufen kostbarer Steine trug, von dem ersten Rotarmisten, den seine Brillanteninnereien in Versuchung geführt hätten, auf der Stelle getötet worden wäre, wenn er dieses Schiff nicht erreicht hätte. Und Martin sah fast gleichgültig zu, wie die russische Küste im Nieselregen zurückblieb, so einfach und zurückhaltend, ohne jedes Anzeichen, das auf die übernatürliche Länge der Trennung hingedeutet hätte.
Mutprobe, ebda.
Es ist diese enorme Fülle sinnlicher Eindrücke, die dem Gelächter im Dunkel einfach deshalb fehlt, weil Nabokov für dieses andere, der hier folgende Buch auf sie nicht zurückgreifen, sie nicht zugunsten seiner dortigen Figuren in Bewegung setzen konnte, nicht einmal so, wie es eben selbst in Lushins Verteidigung noch ging. Anders gesprochen, sind die Figuren im Gelächter abstrakt entworfen, nur dichterische Imagination und Konstruktion — was auch die Unerbittlichkeit erklärt, mit der er sie wie Marionetten führt. Ein tatsächliches Eigenleben ist ihnen versagt, etwas, das das Buch nicht etwa schlecht macht, aber ihm etwas Seelenloses gibt, das ich in Nabokovlesen 25 einen tätigen Zynismus genannt habe. Es wirkt dort kein warmes Korrektiv, das die Personen vor der notwendigen Kälte ihres genialen Autors schützt; sie ist sozusagen losgelassen und mäht nieder, wobei sie sich zugleich an ihrer Schadenfreude delektiert. Genau deshalb schrieb ich oben, zwei direkt aufeinander folgende Romane könnten nicht verschiedener sein.
Dennoch ist selbstverständlich Martin nur ein sehr bedingtes alter ego seines Schöpfers, wie eben auch Lushin es war. Es ist eine Abspaltung, die sich nach einiger Zeit selbstbewußt von der Biografie des Dichters entfernt und hier, in Die Mutprobe, fast in die Kindheit zurückkehrt — egal, daß nebenbei auch noch manche Sottise ihre Spötteleien mit der von Martin und einer Freundin „Soorland“ genannten Sowjetunion treibt:
Kahlgeschoren, in braune Kittel gekleidet, wärmten die glücklichen Soorländer sich an Freudenfeuern, während die Saiten verbrennender Geigen mit lautem Knall platzten, und diskutierten Pläne für die Einebnung des Landes durch Sprengung der Berge, die zu anmaßend herausragten.
Mutprobe, 184
Tatsächlich begibt sich Martin am Ende des Buches nach Rußland zurück, schwarz die Grenze überquerend, voll Zuversicht in die real höchst zweifelhafte Zukunft. Und genau da, auf den letzten beiden Seiten, vollbringt der junge Nabokov ein weiteres Meisterstück. Nämlich geht Martins Freund Darwin, mit dem er zusammen in Cambridge studiert hat, nach dessen Verschwinden besorgt und nachdenklich spazieren, und unversehens wird sein Blick zu dem des Freundes, der, als er die Grenze überquert, in das Kinderbild zurückkehrt:
Darwin lauschte und schüttelte ohne ersichtlichen Grund den Kopf. Seine Pfeife war ausgegangen und gab ein hilfloses saugendes Geräusch von sich. Er sagte halblaut etwas vor sich hin, rieb sich nachdenklich die Backe und ging weiter. Die Luft war trübe, hier und da querten Baumwurzeln den Weg, schwarze Tannennadeln streiften dann und wann seine Schulter, der dunkle Pfad verlief sich zwischen den Baumstämmen in malerischen, geheimnisvollen Windungen[,]
Mutprobe, 251,
in die der junge Mann Martin vor unseren Augen in denen Darwins verschwindet.
*
Die Mutprobe ist oft ein Entwicklungsroman genannt worden. Über viele Seiten stimmt das, jedenfalls fast, insofern eine wirkliche Entwicklung imgrunde nicht stattfindet, auch wenn viel über die — bereits auf der, nach der Flucht auf dem Schiff, ersten Festlandsstation, einem Hotel in Phaleron — Begegnung mit der ersten erfüllten Liebe erzählt wird, in deren Name, Alla, bereits die Ada des Spätwerks glimmt:
Als sie eines Tages über den unebenen Sand schlenderten, stolperte sie, Martin fing sie auf, sie blickte über die Schulter auf die Sohle ihres Schuhs, den sie mit der Ferse nach oben angehoben hatte, dann stolperte sie wieder; damit war es entschieden, und er preßte seinen Mund auf ihre halbgeöffneten Lippen. Während dieser ausgedehnten, ziemlich ungeschickten Umarmung hätten beide beinahe das Gleichgewicht verloren. Sie machte sich frei und erklärte lachend, er küsse zu feucht und solle ein paar Stunden nehmen.
Mutprobe, 48
Ein tatsächlich also berauschendes Geschöpf, dem auch ich sofort erlegen wäre, und ich bin Nabokov außerordentlich dankbar, daß er sie uns lange ansehn und erleben ließ. Bis Mutter und Sohn halt in die Schweiz zu Martins Onkel Henry weiterreisen, der sich — da begütert und, wie er selbst es ausdrückt, pas mesquin, nicht knickerig — fortan um das Wohlergehen beider kümmert, auch dem Neffen die höchst kostenträchtige Ausbildung in Cambridge finanziert, schließlich sogar, da sein Bruder doch gestorben, Martins Mutter ehelicht. Ganz gewiß ist dieses Emigrantenschicksal eines der privilegiertesten; ein anderes hätte es aber kaum möglich gemacht, als ein phantastischer Taugenichts weiterzuleben:
Ein geschwätziges metallisches Klingeln unbekannten Ursprungs näherte sich allmählich aus einer unbekannten Richtung. Es trieb näher heran, es hüllte den Lauschenden ein und verursachte ein seltsames Kitzeln im Mund. Dann kam in einer Staubwolke eine graue, gelockte, dicht gedrängte Menge von Schafen herangeströmt, die sich aneinander rieben, und das feuchte, dumpfe Klingeln ihrer Glocke, das alle Sinne entzündete, stieg, schwoll so geheimnisvoll an, daß es so schien, als läutete der Staub selbst, der über den vorüberziehenden Rücken der Schafe wölbte.
Mutprobe, 61
Was Martin — ganz anderes als viele der Romanfiguren in Nabokovs russischsprachiger Emigrationszeit — auch real erhalten bleibt, nicht nur als Erinnerung, ist eine jedenfalls nicht spürbar coupierte Natur, die deshalb das verlorene Rußland der Landgüter ihm erhalten bleiben läßt; er nimmt seine Kindheit überall unentfremdet mit hin, hie etwa erneut in der Schweiz:
Während er mit federnden Schritten durch den Tannenwald am Berghang ging, dessen Schwärze hier und da vom Glanz einer schlanken Birke aufgehellt wurde, fühlte er sich hingerissen von Vorfreude auf ein ähnlich sonnendurchwirktes Dickicht auf einer nördlichen Ebene — Spinnweben, von Sonnenstrahlen getragen, feuchte, mit Weidenröschen verstopfte Mulden und dahinter die leuchtende Weite, die herbstlich leeren Felder, und auf einen Hügel geduckt die kleine weiße Kirche, die auf die Isbas aufzupassen schien, die so aussahen, als wollten sie gleich auf die Wanderschaft gehen;
Mutprobe, 208,
[Foto ©: → Wkipedia, Alex Zelenko]
nämlich die dieses Taugenichts‘. Genau das gibt Martins bleibender Kindheit ständig neue Nahrung, so daß er sich zwar in Herzensdingen „entwickeln“ und auch Niederlagen einstecken mag, aber die persönliche Grundsicherheit bleibt unantastbar bewahrt; er wird niemals von irgendetwas traumatisiert, also tatsächlich geschädigt. Im Gegenteil, alles wird ihm zur Bestätigung seiner eigenen, ich möchte fast schreiben: agrarischen Menschennatur. Nur deshalb sieht alleine er die Rückkehr in das gefährliche Rußland der Sowjets nicht wirklich als Gefahr, er muß ja bloß den Traumpfad in den Wald begehen, um Häschern und Mördern verschwunden zu sein. Wie auch uns Leserinnen, uns Lesern er entschwindet.
So sehr ich also, Geliebte, Nabokov bewundere, für dieses Buch liebe ich ihn. Und nicht mit Freude, nein mit Glück schreibe ich nur noch ein paar der uns beinah schon gewohnten, doch jedesmal aufs neue staunenswerten Schönheiten ab, als deren Zusammenfassung das in keinem anderen Buch Nabokovs in seinem ganzen Recht so häufig verwendete Adjektiv geheimnisvoll gelten darf:
(…) nach der Familienlegende standen die Uhrzeiger im selben Augenblick still wie sein Herz (11) — Madame Tscharskijs junge Heldinnen (mit dunklem Teint und wohlklingendem Titel) (13) — die [in Büchern, ANH] Sünde des Moralisierens (14) — von dessen Augenwinkeln ungebräunte kleine Linien ausstrahlten (21) — eine Sünde gegen das Feingefühl (…), öffentlich über ein Gefühlserlebnis zu sprechen — denn sobald es heraus ist, verblaßt es, löst es sich auf und ähnelt merkwürdigerweise einem analogen Erlebnis des Gesprächspartners (24) — der ekstatische Himmel und das herrliche blaue Meer mit seinen metallisch funkelnden Schuppen (30) — Der einzige Vertreter des Insektenreiches in diesem Zimmer war ein einzelner Floh, der dafür aber sehr geschickt, gefräßig und absolut unfangbar war (45) — alles war deprimierend sonnig und sorglos (65) — Ein Gefühl reicher Einsamkeit (67) — während das Summen und Knistern des Feuers zunahm, erschien auf dem Papier ein fuchsroter Fleck, der allmählich dunkler wurde und plötzlich zerplatzte. Das ganze Zeitungsblatt stand nun in Flammen, wurde sofort eingesogen und flog den Schornstein hinauf (75) — Das menschliche Denken, das, die Mathematik unter sich ausgebreitet, an den Trapezen des sternenerfüllten Universums dahinflog, war wie ein Akrobat, der mit dem Netz arbeitet, aber plötzlich merkt, daß in Wirklichkeit kein Netz da ist (82) — deren Neugier größer ist als ihre Statur (83) — Teneriffa – Gott, was für ein schönes, smaragdenes Wort! (107) — einen sonnenbeschienenen Absturz, in dessen Tiefe mehrere zurückgebliebene Tannen in panischer Angst dem abwärts wandernden Wald nachliefen (110) — rieb Wangen und Stirn, bis die Haut quietschte (121) — das Tacketack der Pferdehufe, der Anäpast des Galopps (126) — in ihrem knappen gelben Schlafanzug von einer Welle der Stille an Land getragen und sanft auf seiner Decke niedergelegt (134) — in der weichen Kuhle der Kinderstubennacht zusammengerollt (136) — man fragt sich, warum Fieber sich so beharrlich im Zeichnen vulgärer Karikaturen manifestiert (144) — Er zog das goldene Kettchen mit dem Kreuz über den Kopf, ließ es in der Handfläche zusammenrieseln [Hervorh. v. mir, ANH] (154) — daß das Gute in der Menschheit so ansteckend sei, daß das Metall davon infiziert wurde (159) — denn er kannte den Ausdruck, der auf dem Gesicht seiner Mutter erschien, sobald Henry beim Essen redselig wurde. Ein Spürchen von gutmütigem Spott lag darin und eine gewisse Trauer und ein stummer Appell, dem wunderlichen Kauz zu verzeihen, und noch etwas (…) Unaussprechliches, aber sehr Weises (160/161) — Sein Haar wurde heller und seine Haut dunkler, so daß er wie ein Negativ seiner selbst aussah (170) — mit den Backenzähnen ein Gähnen zerquetschend (192) — In der strahlenden Luft brannte das Streichholz mit unsichtbarer Flamme (199) — in dem seltsamen Licht der Phantasie eines Eindringlings (205)— Ein dicker Herr mit dem Gesicht eines höflichen Reptils (236) — wie ein geschickter Dieb, der sich mit der einen Hand die Tränen abwischt, während die andere jemandem die Uhr wegnimmt (239)
Und dann gib es noch viele, viele Stellen,
an deren Rand ich das da geschrieben habe:
Ihr, sehr selig,
ANH
P.S.:
Von einem fastKinder-Flash, dem meinen, ist noch zu erzählen, weil ungezählt zwischen den Seiten 232 und 233 der eingeschobene Duft einer völlig vergessenen Bücherfressererinnerung aus meinen Tiefen herausstieg.
Bildlich sieht sie auf der Vorderseite so aus:
Auf der Rückseite des Blatts allerdings so:
Tatsächlich hat Rowohlt damals in seinen Taschenbüchern diese insofern intelligente Anzeigen geschaltet, als sich die Werber stets eine Geschichte einfallen ließen, die einen Bezug zu dem entsprechenden Buch herstellten. Hier gipfelt sie in der Wähnung, es zögen „etwas bürgerlichere Naturen als Martin (…) vielleicht weniger riskante Möglichkeiten vor, ihr Geld zu vermehren“, was wiederum den Witz hat, daß ein Taugenichts solchen Möglichkeiten überhaupt nicht erwägt. Denn was er braucht, das fällt ihm zu.