[Arbeitswohnung, 9.55 Uhr
Mécénat Musica: Elinor Frey, La Voce del Violoncello]
(Zum Video siehe unten das Postscriptum) |
Seltsame Zeiten. Frühling und doch immer weiter Beklemmung – sie interessanterweise nur, solange ich am Schreibtisch, also drinnen sitze. Geh ich hinaus, fällt sie fast durchweg von mir ab. Was daran liegt, daß Corona auf den Straßen und in den Parks kaum, sehr allerdings in den Supermärkten zu spüren ist. Draußen flanieren die vor allem jungen Menschen locker und vor allem sehr freundlich; gestern spätnachmittags spazierte ich in den Thälmannpark, um von der Sonne etwas zu haben, mich zu setzen und die ersten fünfzig Seiten von Nabokovs Bastardzeichen zu lesen, aus denen dann siebzig wurden – allerdings die letzten zwanzig Seiten bereits wieder drinnen, weil mich von meinem Steinsims inmitten der Wiese und blühenden Kirschbäume ein Paar vertrieb, das mit einem riesigen Ghettoblaster erschien, ein paar Meter von mir Platz nahm und die Lautstärke so sehr aufdrehte, daß ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Beschallungen dieser Art werden mir zunehmend unangenehm. Ich empfinde sie als sehr harten Übergriff, zumal dann, wenn die Musik von pochenden Bässen so dauerhaft wie stereotyp vorangeschlagen wird – etwas, das ich seit je als das akustische Pendant zum Stechschritt empfunden habe.
Ich war aber nicht geneigt zu protestieren, wie ich es in solchen Fällen zu tun pflege, wollte einfach nicht die gute Stimmung der anderen, auf der Hangwiese sitzenden Menschen verderben. Unterdessen ziehe ich mich in solchen Fällen lieber leise zurück. Außerdem will ich nicht zu denen gehören, die Corona nutzen, um ihr inneres Kaposein zu befriedigen – wovon >>>> dort zu lesen ist:
Und offensichtlich übertreiben es auch viele Menschen, die gerne andere überwachen, anschwärzen oder verpetzen. „Längst nicht alle Hinweise haben einen polizeilichen Einsatz zur Folge“, erklärte die Polizei.
Berliner Morgenpost, 9.4.20
Mit Verlaub, ich finde sowas widerlich. Andererseits, mein persönlicher Eindruck ist nicht, daß es tatsächlich viele Fälle sind; so reagieren eher die, denen der autoritäre Charakter seit je ein inneres Bedürfnis war, die noch geprägt von diktatorischen Systemen sind, bei denen sie gerne mitmachen wollen, weil sie das unbedingte Bedürfnis nach eigener Machtausübung haben – ein Spiegel ihrer tatsächlichen Schwäche. Kapos halt.
Hinzu kommt, daß mir nach wie vor mein Magen zusetzt; gestern abend war es erstmals so, daß ich nach dem Essen keine Schmerzen hatte, aber es ist ein ständiges Knurren, Knötern, ja Rauschen in meinem Inneren. Zudem rief eines Laborbefunds wegen, der sie offenbar alarmiert hat, meine Hausärztin an. So komme ich um die Spiegelungen nun wirklich nicht mehr herum. Sie war deutlich erleichtert, als ich ihr sagen konnte, beim Gestroenterologen bereits einen nahen Termin zu haben, ebenso bei meiner Angiologin.
Nervös macht mich alledies aber nur, weil’s auf Corona eben noch draufkommt und ich vor allem das neu aufgenommene Lauftraining wieder abbrechen mußte, jedenfalls in den letzten drei Tagen. Denn mir war zu flau; ich wollte ich nicht abermals riskieren, daß mir hernach der Kreislauf in die Knie sackt. – Aber heute geht’s besser, nachher werde ich wieder laufen, gegen Abend wahrscheinlich, damit, sollte der Kreislauf dann doch motzen, er es erst am Abend tut, wenn meine Arbeitszeit ohnedies vorbei ist.
Gut ist, daß meine Nabokovlesen-Reihe derart fein >>>> weiterläuft, auch wenn ich beobachte, daß, sowie ich einen etwas komplexeren Text in Die Dschungel stelle, die Zugriffszahlen sofort deutlich zurückgehn; andererseits werden meine nach und nach eingestellten poetologischen Essays >>>> aufs neue diskutiert. So entwickelt sich gerade in diesen Coronazeiten das Literarische Weblog wieder zum Zentrum meiner poetischen Arbeit, auch wenn ich gestern, ein bißchen frustriert, meiner Lektorin schrieb, daß ich
was „neues Erfinden“ anbelangt, momentan ausgesprochen gehemmt
sei, und ich käme
in die richtigen Tonlagen nicht rein, Corona schlägt mir sehr aufs Gemüt, verstärkt aber nur, was vorher schon war. Es ist so ein starkes Gefühl von „nicht gehört werden“, dem die schlechten Buchverkäufe völlig entsprechen. Ein irgendwie dauerndes „Danebenliegen“, obwohl man mitten im Zentrum steht und es ausdrückt. Nur daß es niemand hören will, oder kaum jemand. So fängt auch die eigentlich ganz charmante Ghostwritingarbeit an, belastend zu werden: so, als täte man Unfug, wo poetisch Drängendes darzustellen ist, das aber eben kaum jemand will. Mithin bleibt Die Dschungel als tiefstes Zentrum meiner Arbeit, und sie muß gerundet werden – auch wenn ich da wieder, so mein Gefühl, auf andere Weise allein stehe, weil viele derer, auch mir Nahste, die meine poetische Arbeit schätzen, so sehr am Buch hängen, daß sie Die Dschungel nicht verfolgen, oft fast ignorieren.
Daß das auch für meine Verlage gilt, ist besonders schmerzhaft.
Und die es nicht tun, haben in den wenigsten Fällen mit Poetik zu tun oder lesen, wenn sie lesen, „leichte“ Romane. Das ist eine blöde Zwickmühle. Anders als Hettche, der mal zu den Vorläufern der literarischen Netzdenker gehörte, habe ich an der Dichtung im Netz festgehalten und glaube zutiefst, daß ich recht damit habe. Corona wird dafür ein übriges, fast, denke ich manchmal jetzt, endgültig Weichenstellendes haben. Und die Autoren, die es nun immer mehr mit mir denken, tauchen in den Diskussionen nur dann auf und werden nur dann zur öffentlichen Stimme gebeten, wenn sie ohnedies schon, im „normalen“ Buchmarkt, gehypt oder sonstwie mainstream sind.
Das ist alles sehr unschön. Dabei, wenn jemand einerseits an der auch tradierten Poetik über die junge Moderne hinaus und am poetischen Stil festgehalten und ihn weiterentwickelt hat und zugleich sich des Internets bewußt war, bin da eigentlich nur ich. Jedenfalls im deutschen Sprachraum (andere Sprachen überschaue ich nicht).
Noch etwas Weiteres, Enttäuschendes, belastet mich:
Ich hatte für meinen kleinen >>>> Nachruf auf Ror Wolf aus Schöfflings Trauerrundschreiben eine Foto übernommen, von dem ich annahm, es gehöre zum Fundus des Verlags. Ein paar Tage später ging die Abmahnung einer Hamburger Anwaltskanzlei bei mir ein, die nicht nur, was nachvollziehbar, die Entfernung des Bildes verlangte, sondern auch Schadensersatz forderte. Wie im Beitrag zu sehen, nahm ich es sofort heraus, kommentierte das auch, teilte es mit Link der Kanzlei mit und gab ihr meine finanzielle Situation bekannt, annehmend, man werde jetzt kollegial einlenken.
Gestern erhielt ich die Antwort. Sie ist nicht schön, auch wenn mir ein vergleichsweise niedriges Ratenzahlungsangebot unterbreitet wurde – das für meine derzeitige Situation nur immer noch zu hoch ist. – Ich habe gleich zurückgeschrieben, auch meiner Enttäuschung darin Ausdruck verliehen, aber zugleich deutlich gemacht, daß ich mich weder schuldig fühlte, da ich das Foto irrtümlich übernommen hätte, noch irgendeinen Anlaß sähe, mich jetzt klein zu machen.
Es wäre sicherlich „klüger“ gewesen, mich aufs Bitten zu verlegen – aber, Freundin, Sie wissen, daß ich auf keinen Fall meinen Stolz brechen lassen und irgend zu Kreuze oder somstwohin kriechen werde. Dazu besteht keinerlei und schon gar nicht ein poetischer Anlaß, zumal Ror Wolf selbst, den ich ja kannte, den Vorgang ekelhaft gefunden hätte.
Jetzt sehn wir mal, wie es ausgehen wird. Im schlimmsten Fall läuft es auf ein gerichtliches Mahnverfahren, dann auf Pfändungsversuch und dergleichen hinaus, mit den in meinem ökonomischen Fall „klassischen“, höchst unangenehmen Folgen, die aber immer noch besser sind, als daß man sich in seiner Haltung beugen läßt.
Übrigens hätte ich nicht übel Lust, den Schriftsatzwechsel in Die Dschungel zu stellen, also auch deutlich zu machen, wer der Abmahnsteller, bzw., die Abmahnstellerin ist, man würde nur den Kopf schütteln – aber dieses Faß mach ich nun nicht auch noch auf, auch wenn ich es für ziemlich unerträglich halte, daß die auf-jeden-Preis-Geldverdienerei selbst in Coronazeiten munter weitergeht, ohne darauf zu achten, wen man hier eigentlich zur Kasse fordert. Auch erinnert das an die Welle von Abmahnungen, die wegen der selbst hergestellten Atemmasken losgetreten wurde, weil Schutzmaske ein geschützer Warenbegriff ist. Als käme es auf so etwas jetzt noch an. Dieser widerwärtige Wille, aus allem, auch aus der Not, Kapital zu schlagen.
Besonders ärgerlich an dem Vorfall ist, daß auch er nicht gerade motiviert, mich wieder auf meine eigentliche, die poetische Arbeit zu konzentrieren.
*
So ziehen die Tage, Geliebte, dahin. Wie ein zäher lehmiger Fluß. Obwohl die Sonne so sehr scheint. Obwohl die Knospen treiben. Obwohl alles, was ich sehe, ins Leben weiterdrängt. Von dem ich zugleich auf seltsame Weise Abschied nehme. Indem sich die Körper isolieren müssen, ist es für mich, als wäre die Zeit meiner Dichtung vorbei und damit die meines Selbsts. Für mich waren Eros & Poetik stets eine Einheit, in jede Fall aufs innigste verbunden, eines ohne das andre nicht möglich.
Zugleich ist mir bewußt, daß diese Wahrnehmung eine innere, meine seelische, ist, der objektive Realität vielleicht gar nicht entspricht oder nur sehr wenig. Denn daß am Ende jeder Katastrophe – ja, auch einer „Apokalypse“ – ein neuer Anfang steht, dessen bin ich völlig inne. Es ist „nur“ nicht heraus, ob man ihn selbst noch erlebt.
Sicher ist, daß wir noch sehr, sehr lange mit der Isolation werden leben müssen. Auf sehr einfache, ein wenig ungelenke, doch deshalb angenehm unshowhafte Weise hat es Mai Thi Nguyen-Kim erklärt:
Ihr ANH
P.S.:
Zu oben, Elinor Freys wunderbaren Cellovideos, schreibt Mécénat Musica:
Fascinée par les origines du violoncelle et par la démarche créative de la musique nouvelle, Elinor Frey joue aussi bien sur des instruments modernes que d’époque. Parmi les distinctions d’Élinor, notons la nomination au prix Juno pour le meilleur CD classique solo ou en musique de chambre, et un prix Opus pour le CD québécois de l’année en musique ancienne. La musique qui suit provient de son premier CD baroque, La Voce del Violoncello, qui a reçu de grands éloges pour « son érudition consciencieuse et sa brillante superposition d’ambiances et de tempos » (Toronto Star) et pour sa « grâce musicale sincère et réfléchie » (Strings).
„bin da eigentlich nur ich“
Nun jà, Die Dschungel steht offen, weitere ästhetische Ansätze dieser Art zu nennen. (Meine Bemerkung war keine egozentrische, sondern mit „Ich“ ist mein Werk gemeint, nicht das Ich als Person. Wobei da in der Tat kaum zu trennen ist; ich kann’s forciert formulieren: Ich bin mein Werk und nichts darüber hinaus.)