Und langsam stellt sich nun doch boredom ein. Das Nicht-in-die-Gänge-kommen am Morgen (eher schon: Vormittag). Der hohe Grad an Unlust vor dem endlich aufgebauten Bildschirm, dem, was tatsächlich immer noch trotz aller Unkenrufe an täglicher Brotarbeit zu verrichten ist, nachzukommen. Von der Menge her allerdings erträglich. Unerträglich indes das Anfangen. Stand up, go and smoke. Turn back. Turning the back again.
Nichts gleicht an Langsamkeit der lahmen Tage Stocken,
Wenn unter schwerer Zeit eisgrauen kalten Flocken
Der Überdruß, der dumpf aus müder Unlust steigt,
Anschwellend dir das Maß der Ewigkeiten zeigt.
(Baudelaire, Spleen (Trübsinn bei Terese Robinson, von der die Übersetzung stammt): Rien n’égale en longueur les boiteuses journées, / Quand sous les lourds flocons des neigeuses années. / L’ennui, fruit de la morne incuriosité, /Prend les proportions de l’immortalité.)
Soweit mein Trübsinnsauftakt am 25.4., dem Tag der Befreiung, der ein Video mit der einsamen Bürgermeisterin vor dem Gefallenendenkmal bescherte und in gebührendem Abstand zwei Stadtpolizisten (nee, doch nur ein Foto, und auch das war wie das Video jetzt partout nicht wiederzufinden). Aus irgendeinem Lautsprecher habe man die italienische Nationalhymne erklingen lassen statt Bella Ciao (versione amerina mit am Ende: Valda!), was heute deutlich nach dem Muster vertreten war: ein jeder in seiner Behausung. Nur, daß diese sich häufenden Selbstvideos von zu Hause aus wiederum ein Gefühl der Depression verbreiten. Wie teile ich mich mit? Ja, oft eine musikalische Performance oder ein Hydepark-Redner (ja, eher Redner als Rednerinnen), ein Welterklärer. Wie ich? Nein, wohl eher nicht. Eine wahrscheinlich vom Bildverlust eingegebene typische Handke-Fragestellungs-weise.
Wichtig war eher der vorgestrige Gang in die Unterstadt. Zur Apotheke. Maskenbewehrt. Auch die Stadt hat schon Gratismasken verteilen lassen. Fand neulich eine solche in meinem Briefkasten. Plastikbeutel mit Stadtwappen. Die Maske in einer für orthopädische Artikel typischen Tönung, beige-grau. Keine mir genehme Farbe.
Achso, was war denn nun wichtig? Na klar, die ersten Mauerseglerschreie! Den Ohren die rechte Musik. Wie eh und je. Und das Vorbeigehen an der Schwalbenecke, die tschilpten auch schon herum im Hin und Her zwischen ihren Schwalbennestern und der freien Luftbahn im jäh sich öffnenden Raum.
Aber dann doch wieder das Trübsinnige der Maskenbegegnungen, zu raten, wes‘ Gesicht dahinter wohl steckt. Und natürlich das unangenehme Anstehen in der Gasse vor der dann Apotheke. — Zum Glück nur vier Vormänner, keine Vorfrauen. In der Farmacia, vor Plexiglasscheiben, Desinfektionsmassenware.
Dieses Mal langte ich nicht zu, aber im Supermarkt neulich war’s unwiderstehlich, nach einem Produkt mit dem Namen “Bakterio” zu greifen, Desinfektionsmittel für Oberflächen im Bad. Vielleicht auch deshalb, weil man sah, da haben sich andre schon kräftig bedient. Must have. Aber jetzt weiß ich nicht mehr, wozu es gut sein soll. Die Oberflächen im Bad von mir selbst zu desinfizieren? Hm.
Maskenbegegnungen: neulich im Tabakladen das herzliche Ciao einer weiteren Kundin, die ich wegen der Maske nicht wiedererkannte, nur ahnte, wer’s war. Mehr solche Unsicherheiten im öffentlichen Nahverkehr.
Hinzu kommen Episoden wie eine Mail: ob ich nicht eine gute Übersetzung von Rilkes “Panther” kennte, ihr, deren Vater vor kurzem gestorben, sei gerade danach. Man denkt sich werweißwas für Befindlichkeiten aus. Also suchen und finden und schicken. Es vergehen Stunden, aber keine Antwort sagt wenigstens danke. So daß man etwas eher Seltenes tat: mal kurz per Handy nachfragen. — Kurz, ich machte mir Sorgen. Alles ok, sie habe meine Mails gesehen, sie sei gerade dabei, Abendessen für sich und irgendeinen Dingsbums vorzubereiten. Sie würde mir am nächsten Morgen antworten. Insofern habe ich nur Gespenster gesehen. So entstehen dann gegenseitige Peinlichkeiten.
Und, ebenfalls neulich, bat man ihn (nicht mich), Frank O’Haras “Spleen” ins Italienische zu übersetzen:
Tedio
Ne so tanto
delle cose, e tanto
ne accetto, fino
alla nausea. E mi
nutre la miseria di
sapere così tanto
degli altri, di quello
che fanno, facendo
buon viso a quel che odio
come se non sapessi
quel che, per me, è.
Sapendo e odiando
quel che, per loro, è.