Die Sechste Sinfonie endet hingegen in der Dunkelheit, aber es ist eine schützende Dunkelheit, die Zuflucht bietet. Auch das verweist auf das Tragische und das Drama der Antike. Damals gab es in der Nähe der Theater oft ein Asklepeion, einen Tempel zur Heilung von Körper und Geist. Das Publikum bekam eine große Portion Drama serviert, denn der Mensch hungert nach daramtischen Erfahrungen, um in sie einzutauchen und sich von ihnen stimulieren zu lassen. Auf dem absoluten Höhepunkt des Dramas, der Verstrickungen, der Tragödie wurden die Zuschauer erlöst. Völlige Katharsis. Diese Katharis gibt es auch in der Sechsten Sinfonie. Nach dieser Sinfonie ist man nicht vernichtet, sondern lebendiger als je zuvor. Besser als zuvor.
Theodor Currentzis → im Booklet
(Dtsch. v. Verena Sierig)
Einen enormen Dank an → Franz-Josef Knelangen, der mir – dem nicht nur Currentzis bislang „entgangen“ war, sondern der mit einem solch neuen Zugriff auf Mahler längst nicht mehr gerechnet hatte – diese CD einfach so in die Post getan und mir hat zuschicken lassen. Gestern flutete mich diese Interpretation besonders im zweiten sowie dem vierten Satz mit solch dunklem, doch eben, wie Currentzis hierüber sagt, erlösendem Rausch, wie ich ihn bislang nur bei dem mir in seinem ausgesprochen männlichen Temperament nahen Solti sowie bei Inbal und Bertiny (beide haben, jener mit dem RSO Frankfurt, dieser mit den Jungen Deutschen Philharmonikern, je eine unvergleichbare Siebte vorgelegt), besonders aber bei Morris und Barbirolli und danach noch mit Tennstedt – der erst im Ausland als das galt, was er war – erlebt habe sowie als ganz, ganz junger Mann in den Aufführungen der Bremer Philharmoniker unter dem für mich idealwichtigen, heute längst vergessenen und ohnedies zu früh „gegangenen“ → Hermann Michael, wobei ich da keine andere Begründung als die jugendliche Intensität meines Erinnerns habe. Currentzis, nun, für mich gehört zu allen diesen fortan hinzu. Allein der Reichtum seiner Übergangskunst der dennoch, ja sogar besonders schroffen Klangbrüche ist von geradezu schockierender Evidenz. Er füllt sie gleichsam mit sich zerschleudernder ——— Farbe.
Überdies ist seine Auffassung des Tragischen meiner Poetik ausgesprochen nahe: Was ich in jeder Klangbewegung mit meinem ganzen Körper höre.
Auf YouTube gibt’s vom SWR das Video der Currentzis-Aufführung der 9. mit dem SWR-Orchester:
https://www.youtube.com/watch?v=86ug0OCe4Ck&t=118s