[Arbeitswohnung, 5.18 Uhr
→ Schostakovitsch, Streichquartett Nr. 5 B-Du
Erster Latte macchiato]
Die erste Pforte – eine Enge eher von hohem, massivem Fels, die in meine persönlich Nefud führt, wie ich die heute beginnene Chemotherapie mit Lawrence nennen will – … diese nichtPforte also unterscheidet sich insofern von jener, die uns Dante hintertrug, als sie weder eine durch den Herabsturz Luzifers entstandene kreiselförmige Einsenkung des Erdinneren ist, noch gar gibt es sie anders denn daß sie alleine gefühlt wäre. Und ohne deren oberen Abschluß kann sich auch die berühmte Aufschrift nicht tragen:
LASCIATE OGNI SPERENZA, VOI CH’ENTRATE!
Wir sollen die Hoffnung hier ja bekommen, müssen halt nur → durch die Nefud hindurch. Wozu es, um die Kraft aufzubringen, des ganz anderen Ausrufs bedarf:
VOI CH’ENTRATE, COGLIETE OGNI SPERANZA!
Nur ist hier nicht leicht Luft zu holen, die überdies so heiß ist, daß sie in den Lungen brennt; man bekommt sie kaum durch die Luftröhre wieder hinaus, geschweige zu einem Ball von genügender Lautkraft geballt. So ging es jedenfalls mir, → gestern, im Vorbereitunsgespräch zu dem, was nachher – → nach FLOT – gleich beginnen wird,
Vier heftige Medikamente mit durchweg unguten, möglicherweise extremen Nebenwirkungen; dazu Nebenmedikamente, die sie ab- und auffangen sollen. Vier je zweiwöchige Zyklen, zu je deren Beginn die Stoffe dem Körper in einer ungefähr vierstündigen Liegung zugeführt werden, und jeweils einen Tag trägt man eine kleine mit dem implantierten Bioport verbundene Pumpe am Gürtel, die dem Körper den Wirkstoff nach Art eines Tropfs zuführt, langsam also, sanft, ohne zu reizen. Jedenfalls verspricht man es sich so.
Mit Abschluß der vier Zyklen oder Phasen, nach acht Wochen mithin, sei der Patient (im Dschungelfalle ich) in aller Regel für die Operation bereit. Die Erfahrungen mit FLOT seien ausgesprochen gut; er, mein Onkologe, habe schon erlebt, daß der Chirurg gar keinen Tumor mehr gefunden habe, als er nach den acht Wochen habe operieren wollen. Mein Krebs sei heilbar, davon sei er, mein Onkologe, überzeugt. Durch die Wüste müsse ich nun aber. Ich wisse doch, daß Aqaba … wie??, von der Seeseite aus? ––– absolut unmöglich! Nein nein, es geht nur durch die Wüste. Wobei … nun jà, ss stimme schon, daß den Leuten bisweilen die Fingernägel ausfielen auf diesem langen Marsch, oft sogar am ersten Tag schon. Deshalb bekomme man gleich zur ersten Behandlung spezielle Handschuhe übergezogen, die so etwas verhinderten. Bei den Füßen sei es ja nicht schlimm.
Das verschlug mir den Atem.
Die Füße? Meine Füße??? Füße gehören ins → Zentrum meiner erotischen Lust, seit je, je, je, je her! Nirgends bin ich derart empfänglich, derart sinnlich zu erregen. „Also hören Sie mal!“
Mein Horror war ihm fremd. Ebenso wie, daß mir Haarausfall, Schleimhautentzündungen, Darmprobleme sehr viel weniger bedrohlich vorkamen, also -kommen. Sie greifen nicht mein Selbstbild, nicht meinen Stolz, nicht meine Ästhetik an. Aber häßliche Füße? Ganz, ganz furchtbar. Ein Grund, sich für alle Zeiten wegzuschließen.
Aber weiter: In höchst seltenen Fällen komme es auch zu Herzinfarktenm jedenfalls etwas ihnen sehr ähnlichem: bei entsprechenden Anzeichen sofort Alarm schlagen. „Kommt aber wirklich nur bei einem von zehntausend vor.“ Beunruhigtr mich auch nicht, nicht wirklich. Nur das mir den Finger-, vor allem mit den Fußnägeln. Aber, dachte ich dann, sind nicht dem Messemer auf seinem Everest die Zehen gar ganz abgefroren?
Es sind diese, ja, Bilder, woran ich mich nun orientiere. Was mein Selbstbewußtsein stolz hält. Und eine enorme Neugier, von der ich nicht recht weiß, ob sie die meine oder von jemandem anderes inszeniert ist, einer andere, die wir namentlich nun kennen, zumal sie gestern von Frau von Stieglitz → in einen nochmal anderen Zusammenhang gestellt wurde, über den ich mich morgen äußern will; heute werde ich es vermutlich nicht mehr schaffen. Man sei, hieß es gestern in der Beratung, nach der Sitzung, nun jà, „Liegung“ schon deshalb sehr erschöpft, weil anfangs ein starkes Antihistaminicum gespritzt werde, das zu enormer Müdigkeit führe. Deshalb muß ich heute mittag auch abgeholt werden; „einfach so“ lasse man mich in dem Zustand nicht auf die Straße. Am besten sei ein Krankentransport. Was ich entschieden verweigerte. Ich lasse mich vor die Arbeitswohnung mit sowas nicht bringen, auf gar keinen Fall.
Also herumtelefoniert. Nun holt Ricarda Junge mich ab, die nahe mir vertraute Kollegenfreundin.
Ich habe noch gar nicht vom Kribbeln geschrieben, einem in Finger- und Zehenspitzen. Eine Nervenschädigung. Dazu aber später noch vielleicht. Ich möchte diesen Eintrag in Der Dschungel stehen haben, bevor ich aufbrechen werde.
[Schostakovitsch, Sreichquartett c-moll op. 110]
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[Onkologie 9 – 13 Uhr, ambulant]
Phase I (von IV): Infusionstag
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[Arbeitswohnung, 16.34 Uhr
Schostakovitsch, Streichquartett Nr. 13 b-moll]
Gut und wohlgelaunt zurück. Der Bericht folgt dennoch erst morgen. Denn erst einmal mußte oder wollte ich meine Siesta halten, dann war anderes Einiges zu tun, und ich möchte nicht hetzen. Allerdings auch morgen wieder Arzttermine, erst bei meiner Hausärztin, dann erneut dem Onkologen, weil ich ihm die Pumpe zurückbringen muß, von der, was sie ist, ich Ihnen, Freundin, ebenfalls erst morgen erzählen werde (während ich dieses schreibe, tröpfelt’s sanft in mich weiter noch hinein). Dennoch ist der Zeitlauf morgen relativ ruhig, bei der Hausärztin muß ich erst um 11.30 Uhr sein, eine halbe Stunde später allerdings ziemlich flugs aufs Rad.
Das in Deutschland in der 5-mg-Dosierung nicht mehr erhältliche und deshalb in den USA bestellte Melatonin ist angekommen. Da bin ich jetzt aber, heut für die Nacht, sehr gespannt.
! HEILBAR ! wie schön !
Puuh – ok….dann heißt es nicht: “ Leinen los“ – sondern die Kamele gesattelt, die Trinkschläuche bis zum Bersten gefüllt – und – los geht’s – Hitze wechselt mit klirrender Kälte des nachts, also seien sie gewappnet – Wasser – um die innere Quelle zu füllen, im FLUSS zu bleiben, mit allem was geht – mögen die Oasen zum Träumen einladen – der Weg nur halb so beschwerlich sein, wie gedacht…..alles, alles Gute ich wünsche..RIvS
Selbst Ibn Hamdis ist bei Ihnen (https://parallalie.de/20171016/ibn-hamds-diwan-xii-1022635823/):
„22
Ich irrt’ durch die Wüsten auf geschwinden Kamelen, die im Wettstreit
mich die Entfernungen durcheilen ließen, die ihnen ihr Futter.
23
Und würdest verwechseln die rasche Bewegung ihrer Hufe im Wettstreit
mit den geschwinden Fingern, die am Rechenbrett die Zahlen bewegen.
24
Und würdest fast glauben, daß das erschöpfte Kamel das Halfter
an seiner Nase für eine Schlange gehalten.
25
Ich durchquerte die Nacht unter dem Stern meiner Lanze,
wenn die Sterne sich den Blicken verbargen.
26
Denn der, der auf den Spuren edler Taten stirbt, kommt dem gleich,
der das erzielt, was er von ihnen wollte, und kehrt wieder.“
Einfach einen lieben Gruß aus Stuttgart..
Ulrike