Vor der Nefud: Eines Sonntagmorgens Zwischenschöckerl. Am Sonntag, den 28. Juni, nämlich sechzigsten Krebstag 2020. Des Deutschen Literaturfonds in Darmstadt anonyme Jury.

[Arbeitswohnung, 7.50 Uhr
Tschaikowski VI, Musicaeterna, Currentzis
72,5 kg]

 

 

… und dann, eben las ich über Currentzis → diesen ziemlich guten Artikel und schrieb an Knelangen einen kleinen Brief, erreicht mich doch – sonntagmorgens! bevor ich die Welten wechsel! – eine Nachricht aus der, hätt‘ ich fast geschrieben, „Heimat“. Dabei war ich schon dabei, in die Galabiyya zu schlüpfen. Als dieser berittene Bote, nicht auf einem Kamel, sondern per Pferd heranpreschte, kaum an Tempo zurücknahm, sondern einen zusammengeschnürten ganzen Packen Post mir mit weiter Geste sozusagen vor die Füße, nein, in den Schoß warf, der sich meines Lotossitzes wegen anbot.
Es war sehr früh, die anderen schliefen noch, ich hatte mich leise hinausgerobbt und wartete imgrunde auf den Kaffeekoch, der in aller Regel vor Faisal erscheint, damit sein Herr den arabischen Mokka möglichst gleich nach dem Aufstehn bekommt. Nur war es jetzt noch keine sechs — dennoch der Postreiter, eine Art Wüstenphantom,  bereits in einer hohen Wolke Sandes wieder verschwunden. So sah ich das Päckchen, erst noch voller Gleichmut, durch, aber dann … —

— — der Schock versetzte mich sofort an den Berliner Schreibtisch zurück. Geahnt hatte ich’s natürlich schon. Absender: Deutscher Korruptionsfonds Darmstadt mit Signet (unten rechts) der Beauftragten der Bundesrepublik für Kultur und Medien; was bereits anzeigt, daß es um die Verteilung öffentlicher Gelder geht, nicht etwa um die der Jurorinnen und Juroren (wäre es so, hätten sie, meine ich, jedes Recht zu entscheiden, wie sie nur wollen. So ist es aber eben nicht; sie verfügen vielmehr über fremde Gelder). In diesem meinem Fall allerdings finde ich, daß die Jury (deren Mitgliederinnen und -glieder leider nicht genannt sind) absolut richtig entschieden haben, so vorausschauend nämlich wie mit äußerster Umsicht. Meine Arbeit diesmal abzulehnen, hat alles Recht der Welt, und zwar mit beiden Begründungen, die sich denken lassen. Daß es sich nunmehr um die, ich weiß nicht mehr, fünfzehnte? sechzehnte Ablehnung in Folge handelt, spielt dabei keine Rolle; die Jury ist ja stets auch anders besetzt. Oder nicht? – Doch, wie geschrieben, ist es hier wurscht, daß der Literaturfonds (stimmt, so heißt er richtig!) bereits den Wolpertinger abgelehnt hatte, danach das New-York-Buch, die Anderswelt-Romane, das Bleibende Thier, das Traumschiff, die Béartgedichte, na ja, eigentlich alles für unwert erklärt hat, was aus meiner ästhetischen Manufaktur stammt — alles außer einem Theaterstück, das aber niemals aufgeführt wurde und für das ich den Zuschlag nur deshalb bekam, weil damals Eva Demski mit in der Jury saß und wußte, daß ich eingereicht hatte. Also bestand sie darauf, daß während der Sitzung mein Text vorgelesen wurde, woraufhin es dann keinen Zweifel mehr gab.
So etwas, freilich, läßt sich nicht wiederholen. Nach meinen folgenden Erfahrungen hielt ich’s eh nur noch so, daß ich mich zwar stetig bewarb; es sollen bisweilen, heißt es, Wunder geschehen. Aber imgrunde gab ich, wie das postalische Idiom es will, die Sendung auf, indem ich sie schickte. Ich war und bin der Unhold – jetzt sowieso, mit meiner sich nicht unter die aggressive Ideologie beugenden Haltung zu, nun jà, „Gender“. Ich meine, schon daß nicht „Geschlecht“ gesagt, sondern auf ein US-Wort ausgewichen wird, zeigt die kapitalistische Richtung.

Doch dieses Mal, nein, da wird alles das keine Rolle gespielt haben. Sondern die Damen und Herren der Jury, die ich wirklich rasend gern genannt hier hätte, werden sich gesagt haben: „Dürfen wir das verantworten, einem, der wahrscheinlich stirbt, noch bevor er die Gelder erhält, ein Stipendium zuzusprechen? Die wärn dann doch alle verloren.“ Ach, das alte Problem mit dem kameralistischen Prinzip. Wie gesagt, ich verstehe alles sehr wohl.  Es ist ja auch eine Frage der Menschlichkeit, Geld an jemanden zu geben, die oder der es noch ausgeben kann und vor allem für die deutschsprachige Literatur etwas Bleibendes zu schaffen vermag – was bei mir mindestens bis nach der Operation alles andere als sicher ist. Insofern wäre es von der Jury schlimmer als nur fahrlässig gewesen, einem schwer an Krebs Erkrankten öffentliche Förderung zukommen zu lassen; es wäre unverantwortlich sowohl gegenüber den Steuerzahlerinnen und -zahlern als auch gegenüber gesunden, frischen Autorinnen und Autoren gewesen, zumal

nur der Freie liebt Freie.

Wie Uwe Dick sehr richtig schreibt.

Einfallsreich, einfach nicht berechenbar, ist er jeder Macht, volklich auch der Majorität, zuwider. Mittelmäßige, so Boris S. Kusin, ertragen in anderen keine guten Eigenschaften, die ihnen selbst abgehen. Doch besonders unerträglich ist ihnen Scharfzüngigkeit. – Verhaßt bis zur Aggression …
→ Sauwaldprosa, 339

Nur spielte das, ich muß mich wiederholen, diesmal keine Rolle. Sondern es ging um die Sicherung von Fördergeldern und ihren vernünftigen Einsatz, anstelle sie aus falsch verstandenem sagen wir: Mitleid meinem, möglicherweise, Tod in den Rachen zu werfen. Der frißt schon, da sind wir alle einig, genug.

Doch eine zweite Möglichkeit ist ebenso denk- wie nachvollziehbar, meine Arbeit abermals abzulehnen. Die Damen und Herren der Jury werden sich schlichtweg gesagt haben, die literarischen Projekte ANHs sind seit Jahren .. was sagen wir?? Jahrzehnten für ihre Begabungs- und Ideenlosigkeit bekannt, für mangelndes Stilvermögen überdies und dazu noch für ihr tief Reaktionäres, ja Machistisches sowie für die Abneigung gegen alles, was uns, den modernen Guten, gut ist … Sollen wir da jetzt drüber wegsehen, nur weil sich der Mann trauriger-, vielleicht indes gerechterweise einen schweren Krebs eingefangen hat? Hat der Literaturfonds soziale Aufgabe wahrzunehmen? Nein, das hat er nicht. Wo kämen wir da hin? Er darf im Hinblick auf die Kunst nicht sentimental sein, sondern muß halt auch Entscheidungen treffen, die hart dünken mögen, weil sie bis ins Grab hineinreichen. Aber so ist es mit der Kunst. Krankheit ist kein Grund, Unbegabung auszuzeichnen. Wir sind doch kein caritativer Verein! Er ist, ein Krebs, irrelevant für die Dichtung. Für deren Förd’rung also auch.

Und also beginn‘ ich heute meinen Sonntag. Das Geld hätte meiner Arbeit und mir ausgesprochen helfen können, aber das Risiko, es mir zuzusprechen, wäre tatsächlich viel, viel, viel zu hoch gewesen. So bin ich meinerseit sehr froh, nicht in solche Entscheidungsnot geraten zu sein, wie sie die Darmstädter Jury nun, ich bin mir dessen vollkommen sicher, im Gewissen quält. Das muß es nicht! ruf ich ihr deshalb zu. Ihr habt, Kolleginnen, Kollegen, sowas von Recht gehabt. Ach, wenn ich Eure Namen nur, Euch zu ehren, wüßte!

Ihr
ANH

7 thoughts on “Vor der Nefud: Eines Sonntagmorgens Zwischenschöckerl. Am Sonntag, den 28. Juni, nämlich sechzigsten Krebstag 2020. Des Deutschen Literaturfonds in Darmstadt anonyme Jury.

  1. Ich lese Deine Texte gern. Sie haben was Kraftvolles, Intensives. Freue mich jeden Tag, wenn ein neuer Beitrag (oder sogar mehrere! :-))) in meiner Inbox landen.
    Alles Gute für Dich! Weiterhin … Für Chemo + OP. Grüße aus Heidelberg.
    (Habe übrigens bei Kühlmann studiert …)

  2. Aber man wäre schon gerne Mäuschen, und hätte gerne gewusst, wer welche/s Für und Wider hatte; wieso – weshalb – warum. Und was förderungswürdig erachtet wurde. Kann man irgendwo Kenntnis erhalten, welche Autorren in der Vergangenheit mit welchem Projekt beglückt wurden? (wahrscheinlich mit der Suche „gefördert vom Deutschen Literaturfonds“. Ich checke das mal, neugierhalber)

  3. ich bin entsetzt – sprachlos nicht – möchte mich aber nicht weiter äußern „sie würden auf der Stelle kommen um mich einzuknasten“ – schon lange fühle ich mich innerlich brodelnd wie ein Vulkan – ob dieser Verhältnisse hier…RIvS
    P.S.: Ja – ich bin froh – in die sprachliche Welt der Dschungelin eintauchen zu können und hier und da einige Erzähl/Wissensschätze bergen zu können – Danke dafür…RIvS
    Und Crowdfunding wäre keine realistische Möglichkeit? Nicht nur diese anzudenken, sondern tatsächlich durchzuführen?

  4. Die Gründe für die Ablehnung nicht angeben zu wollen ist doch irgendwie feige. Es müsste doch in Worte zu fassen sein, warum diese unterstützt werden und andere wiederum nicht. Und dann noch um Verständnis zu bitten. Also ich verstehe das überhaupt nicht. Und billige es nicht.

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    Macht zu haben, scheint schon geil zu sein! Wie früher unter Cäsar. Daumen rauf, Daumen runter. Und dann mit dem S c h a u e r ins Bett zu steigen und sich selbst in den Schlaf zu murmeln: „…dem hab‘ ich’s aber gezeigt, DEM hab‘ ich’s aber gezeigt! Der Sekretärin, die die Zeilen auf Papier tippte, war das sicher latte. Hauptsache, man(frau) ist im Homeoffice sozial distanziert. Corona und so. Und was meint das eigentlich: „…Antrag auf Förderung, über den eingehend beraten worden ist…“? Der Duden sagt zu „eingehend“: in allen Einzelheiten; sorgfältig und ins Einzelne gehend; ausführlich … Wahrscheinlich meinte die dort aber: „Der wird schon eingehen, DER!“ Herr Herbst, auch Ihnen sollte dies LATTE sein, konzentrieren Sie sich aufs gesünder werden und dann …auf sie mit Gebrüll!

    1. Das „Gedicht“ über meinem Text stammt nicht von mir. Scheint so, als wollte Ihre Website von sich aus dichten. Daher lassen wir’s stehen. Ist schön so, auch wenn ich kein Wort versteh!

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