Es stürmt dieselbe Energie durch Dich,
nicht ich, doch wie durch mich,
seh ich den jungen Mannesleib
als alter Vater an,
dem die, gleich Eisenguß, Guirlanden
um jeden Knochen schwanden
und, mit einsachtzig, hatte dann
an Kilogramm Verbleib
siebenundsechzig grade noch
– was nicht sein Aussehn schert
noch schert es seinen Geist,
doch schon das Ende ahnen heißt,
als Mann zumal nun unbegehrt
zu bleiben, der das Altern doch
wie jeglich Kranksein oft verlacht
und nimmt es nach wie vor nicht ernst
wenn er Dich sieht, o Sohn,
in dem dasselbe Feuer schon
und eigne Leidenschaft, modernst
in elegante Jungmannstracht
gewandet – Pluderhose, Sneakers und
das Understatement-Mantelblau
von wadenlang geschnittnem Loden –
unterm Wildhaar und den dunklen Oden
des hellen Blicks zum dichten Bau
der Brauen, dem feinen maskulinen Mund –
aus, kurz, dem ganzen Ausdruck leuchten
des stolz bebärteten Gesichts –
Wenn dies den Vater vor ins Ende beugte,
und bezeugte früher als gedacht
das Nähern seines letzten Nichts,
er gäbe gern, und heiter, des noch feuchten
Lebensstabes Seinsgeflecht
an Deine, Sohn – und fände es gerecht –
erreichte Lebensstaffel weiter
Es stürmt dieselbe Energie durch Dich,
nicht ich, doch wie durch mich
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ANH, Januar 2021
Berlin
Wie schön!
Was geschieht hier poe(tolog)isch? Ich meine die drittletzte Strophe. Denkt niemand mit, die/der in Gesetzen der Gedichte denkt? Ich könnte es leicht, also den „Fehler“ der drittletzten Strophe, beheben – aber tu es nicht. Weshalb?
Warum seht ihr Menschen immer nur den Plot – das am wenigsten Wesentliche jeder, jeder, jeder Dichtung?