Buchfassung 1983:
– Und der Revolver? fragte Agnes.
– Richtig, der Revolver:
Nach außen hin war Falbin von einer Gutmütigkeit, die an Behäbiges grenzte, und kaum imstande – jedenfalls vor der Bahnhofszeit –, jemandem über eine längere Zeitspanne in die Augen zu blicken. Und zweifellos hatte Falbin Angst, anderen wehzutun, wenn auch vielleicht nur, um keine Gegenschläge zu erleiden. Einerlei, diese Angst gab es, und sie begründete seine Friedfertigkeit. Diese hingegen ließ ihn Spötteleien erleiden, gegen die er sich gerade nicht wehren konnte. Ein Zirkel. – Um so erstaunlicher also, daß er sich den Revolver besorgte. Du kennst die Anzeigen auf den letzten Seiten der Regenbogenpresse. Waffenscheinfrei. Er ließ sich einen Revolver schicken, ins Haus, per Nachnahme, Diskretion zugesichert. Vielleicht erinnerte er sich seiner ersten Fantasie dabei, bezüglich der Frau im Leopardenmantel. Vielleicht rechnete er wirklich damit, sie wiederzutreffen, und wollte sich schützen vor ihr. Gleichgültig. Er war jetzt bewaffnet, drei Wochen, nachdem er erstmals irregegangen war, die er zugebracht hatte allabendlich auf den Bahnsteigen, vornehmlich dem mit Nummer 6. Letztzeitlich war er dazu übergegangen, die Fahrpläne zu studieren, und es schmeichelte ihm – wenn er, wieder daheim, in seinem Sessel die letzte Zigarette rauchte –, es schmeichelte ihm das Bewußtsein, da existierte kaum ein Bahnhofswinkel mehr, den er nicht kennte, der ihm nicht nachgerade vertraut gewesen wäre.
Neufassung (vor Lektorat), 2022:
– Und der Revolver? fragte Agnes.
– Richtig, der Revolver:
Bevor die Bahnhofszeit begonnen, hatte Falbins Güte wie eine Gutmütigkeit gewirkt, die an Behäbigkeit grenzt, von dieser jedenfalls kaum unterschieden werden kann und wahrscheinlich deshalb nicht gut ankam. Darüber hinaus war es ihm nicht möglich gewesen, jemandem auch nur für fünf Sekunden in die Augen zu blicken, geschweige denn zurückzusehn. Dabei lag dies nur an seiner großen Scheu, anderen nahezutreten, wobei diese aus der eigenen Furcht vor fremden Übergriffen entstanden. So hatte seine Friedfertigkeit einen schiefen Beigeschmack, für den er, denn Schwäche wird gespürt, dann verspottet wurde. Da täuschte er sich nicht. Doch saß im Zirkel fest.
Um so erstaunlicher nun der Revolver.
– Du kennst die Anzeigen auf den letzten Seiten der Regenbogenpresse. Ohne Waffenschein, so werden die Dinger beworben.
Agnes nickte.
Also, er ließ ihn sich per Nachnahme schicken. Diskretion war zugesichert. Wobei er aber drauf bestand, daß die Sendung nicht von dem halbanonymen Händler kam, sondern die Frau im Leopardenmantel habe sie veranlaßt, die sich mit der tatsächlichen Absenderadresse nur maskiert habe. Rechnete er wirklich damit, sie wiederzutreffen, und wollte sich vor den Folgen schützen? Doch das ist quasi Nebensache. Worauf es ankam, war, jetzt bewaffnet zu sein, nämlich gewappnet. Drei Wochen hatte es dafür gebraucht, gerechnet ab dem ersten Fehlgang zum Bahnhof und seinen seither allabendlichen Aufenthalten dort, vornehmlich auf dem Bahnsteig Numero 6, wo er schließlich genauestens die Fahrpläne studierte, Saß er nachher wieder daheim und rauchte in seinem Großvatersessel vorm Schlafengehen die letzte Zigarette, schmeichelte es ihn ungemein, daß er diese Pläne fast schon auswenig wußte und es kaum einen Bahnhofswinkel mehr gab, der ihm nicht nachgerade vertraut gewesen wäre.
→ Beispiel 2
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …