[Arbeitswohnung, 7.11 Uhr
Erster Latte macchiato
Sperlingstschilp]
Worauf mich gestern abend eine Leserin aufmerksam gemacht, freute mich dann wirklich. Wenn schon die Feuilletons schweigen, gibt es dennoch, in diesem Fall bei amazon, Reaktionen, und → dies eine sehr schöne. Wobei ich dennoch irritiert bin, weil der Rezensent schreibt:
… und ich muss es unbedingt betonen, um es unmissverständlich zu machen, dass es kein Buch ist, das man liest und sofort versteht …
Zwar zieht er daraus einen für meine Prosa prächtigen Schluß, der mich dennoch insofern unsicher macht, als ich gerade diesen Roman für einen ausgesprochen leichtfüßigen, in gar keiner Weise verschlüsselten, im Gegenteil sogar süffigen Text halte — und mich aber offenbar irre. Beim etwa Wolpertinger und den Andersweltromanen könnte ich solche Erfahrungen nachvollziehen, u.a. weil dort sprachlich auch experimentiert wird, bzw. Stilistiken ausgeführt sind, an die sich Leserinnen und Leser erst ebenso gewöhnen müssen wie an die mitunter fugierten Engführungen der Motive. Doch im NewYork-Roman gibt es an „Neuerungen“ allenfalls die verschieden(artig)en ‚Ich‘-, also Erzählerfiguren, die aber ein postmoderner Topos sind, der heute auch schon vierzig Jahre alt ist, wenn nicht älter, und für weltweit gelesene Autorinnen und Autoren, etwa Ishiguro, ein Rezeptionshindernis offenbar n i e dargestellt hat. Kann es sein, daß bei deutschsprachiger, speziell deutscher Literatur andere Erwartungshaltungen wirken als bei, sagen wir, Süd- und US-amerikanischer? Daß dort mit sogar Genuß akzeptiert wird, was hier als literarischer Makel gilt? In Leserinnen- und Leserreaktionen auf das Traumschiff bereits ließ sich Ähnliches registrieren. Auch dort wurde selbst von Begeisterten von der ‚Schwierigkeit‘ des meinem eigenen Dafürhalten nach zwar melancholischen und in der Bildwelt des Romans mitunter surealen, stilistisch jedoch ausgesprochen süffigen Textes geschrieben; von der grandiosen Dichte etwa Lezama Limas ist er doch weit entfernt, um von dem hinreißenden, extrem viel und eben auch international gelesenen Lobo Antunes ganz zu schweigen. — Nein, ich habe alles andere als einen Grund, hier zu klagen (was ich eh nicht täte), aber wundere mich, wundere mich immer wieder.
Mit der Arbeit an den Triestbriefen komme ich ziemlich gut voran, sie geht leichter von der Hand, viel leichter, als es mit der Neufassung der Verwirrung war, über deren ihr jetzt vorliegendes Typoskript meine Lektorin mir schrieb, ich möge bitte nicht erschrecken, aber es seien nun doch viele Korrekturen noch nötig, „doch alles Kleinigkeiten, Grundsätzliches gar nicht“. Ich mache mich also, wenn die erste Marge hier eintreffen wird, auf mit Anmerkungen übersäte Seiten gefaßt, die, also jene, ich sofort bearbeiten werde – was mich aus dem Triestroman wahrscheinlich erst einmal wieder rauswerfen wird. Doch soll, und muß, das Buch zur Frankfurter Buchmesse da sein.
Worüber ich nun aber ausgesprochen glücklich bin, ist, daß der Wandbewuchs des Nachbarhauses auf das meine, botanisch ungeschmückte übergegriffen hat: Seit diesem Frühjahr umwächst hinter meiner linken Schulter ein starker Wilder Wein mein rechtes Fenster, er hat auf dieses Haus übergegriffen, und es sieht aus, als werde er in dreivier Jahren auch diese unsere Fassade völlig bedecken; dann wird man die Fenster immer „ausschneiden“ müssen – was ich gerne tun werd. Doch was mich daran geradezu beglückt, ist, daß ich seither ungefähr alle drei Tage Sperlingsbesuche bekomme. Die in dem dichten Laubwerk geschützten Vögel flattern auf, entdecken das rechts stets geöffnete Oberlicht meines Arbeitsraums und — fliegen herein. Mehrmals nun schon saß so ein Spatz oben auf einem der Bücheregale und tschilpte und tschilpte; ich weiß nicht, ob aus Frechheit oder vor Furcht. Oder einfach, um seine Irritation über den tippenden Mann zum Ausdruck zu bringen. Es könnten Fragetschilper sein: „Was denn, was denn tust du da?“ – Bewege ich mich dann, stehe etwa auf, wird er unruhig und flattert wieder herum, meist in Richtung des Fensters, wo er aber nicht aufs Oberlicht, sondern unten die Scheibe trifft. Dann muß ich ihn sorgsam fangen und sehr, wirklich, um ihm nicht wehzutun, sehr-sehr vorsichtig mit den Händen umfassen. Ich kann spüren, wie zerbrechlich diese seine Flügelchen sind, und meine Hände werden zu Watte, die ihn aber einschließt, um ihn zu heben, höher, noch ein Stück höher und, auf den Zehenspitzen jetzt, direkt an das geöffnete Oberlicht heran. Nun die Hände öffnen, und mit einem letzten, einem jubelierenden, glaub ich, Tschilper luftsurft der Spatz diagonalquer über den in seiner grünen Geilheit ebenso jubelnden zweiten Hinterhof davon.
Ich setz mich zurück an den Schribtisch.
Keine halbe Stunde später ist der Spatz – oder ein anderer – erneut hier zu Gast. Daß ich mich frage, ob dies mit dem Traumschiff zu tun hat, liegt nahe — Leserinnen des Romans wissen, was ich meine — und sollte mich vielleicht unruhig machen. Tut’s aber nicht, im Gegenteil. Aber wahrscheinlich hängt das sich wiederholende Phänomen tatsächlich nur mit dem Wilden Wein zusammen. Denn auch anderen Besuch aus dem Jungfernrebendickicht ist zu konstatieren; es birgt sowieso eine ganze Fauna-für-sich, die duch das offene Oberlicht ihre Botschafter zu mir hereinschickt: sehr häufig Wespen sowie immer wieder Käfer und sonstige Bewohner andrer Planeten. Und ich weiß, daß es — sollte die Hausverwaltung nicht auf die seelenlose Idee kommen, die Fassade von dem Bewuchs wieder, böses Wort, zu säubern — mehr werden wird, jedes Jahr mehr. Dieses Leben sei mir gegrüßt.
Um 13 Uhr nächste Generalkontrolle bei meinem Onkologen, die vierte seit der OP.
Ihr, Freundin,
ANH