[Aus dem vierzehnten Brief]
(…)
15.35 Uhr
Christoph Lauer, Mondspinner, 1995
Lars ist vom Heben und Stemmen zurück. Das Eiweiß ward angerührt und gekippt. Danach den Kassler geschnitten, in die Pfanne zum Buzzeln getan. Gestern schon hat er den Grünkohl bereitet; es reift ihn, ihn über Nacht die Gewürze durchziehn zu lassen, Kulinarik-Rauch eines eßbaren Joints. Wie Du siehst, hier geht alles seiner Wege; es hält sich Lars ganz gut. Grad trinkt er scharfen Ingwertee. Vor allem war es klug, so früh zum Training aufgebrochen zu sein, weil es dann nicht gleich wieder dunkel ist, wenn er das Studio verläßt. Diese kurzen Tage, langen Düsternisse tun ihm fast noch mehr weh, als, um nicht an Dich zu denken, mich diese Briefe schreiben zu lassen. Aber er lächelt, liest meinen vorigen Satz noch einmal. Denn in Wahrheit machen sie ihm Deine Abwesenheit physisch sichtbar. – Bitte? Abwesenheit, sagst Du, l a s s e sich nicht sehen, weil da ja eben gar nichts sei? Nimm es als gegeben, „einfach“, daß er‘s kann. Wobei ihm das Schlimmste immer noch bevorsteht, nämlich Deine Fotografien aus den Geräten zu löschen; auf jedem lächeln sie ihn, verschiedene, als allererstes an, zum Beispiel, wenn er die Computer hochfährt. So endgültig ist er also wirklich noch nicht. Imgrunde ist es mit Deinem Parfum gar nicht andes; besorgte er es sich, um es von Zeit zu Zeit zu tragen, wäre auch das Besieglung.
Dabei täte ihm, sich neu zu verlieben, ganz gut. Nicht mythisch wieder, nein. Wunder lassen sich kaum wiederholen, sie sind ja nicht von der Stange; schon zweie überfordern uns völlig, sofern nicht Jahre zwischen ihnen liegen. Aber ein Flirt, der gern auch ins Bett führt, wäre Lars recht. Bezauberungen, Angerührtheiten diesseits der Besessenheit, Leichtigkeit vor allem. Doch müßt es eine Fremde sein, die nicht abermals auf Dich und gar nichts andres zuführt. Kein Brennen, doch ein kleines Feuer, über dem sich die Nacht ausgebreitet hat, über und um uns nahe herum. Das Sternenzelt räkelt sich und gurrt. Da nur der Wärme halber miteinander schlafen und weil es „süß“ ist, wie fremdes Haar an den Nasenlöchern kitzelt und man es wegzuschnauben versucht oder, die Unterlippe vorgeschoben, wegzupusten, ohne die Frau aus dem Schlaf zu wecken. Diese Zärtlichkeit der Rücksichtnahmen ist Lars niemals schwergefallen, wenn Du vom Rauchen mal absiehst. Egal, welch ein Querkopf er sonst auch gewesen. Doch Lenz wurde es, so Rücksicht zu nehmen, zu seinem Wesen. Einige Monate lang hat es die Lydierin genossen. Dann wurd’s ihr zu viel Schwamm. Und sowieso ging ihm das Geld aus. Selbst auf in Deutschland den Prozeß reagierte er nicht, ließ die Briefe, auch amtlich Zugestelltes, ungeöffnet. Sie bekam es erst mit, als der Gerichtsvollzieher klingelte, und fiel aus allen Wolken. „Warum hast du nichts gesagt?!“ Er lächelte sie an. Sie verdiente kaum genug für sich. Müßte sie ihren schönen Peugeot verkaufen? Was bekam man schon für einen alten Wagen, egal wie gepflegt? Ihre Mutter rief sie an und, ausgesprochen ungern, in Lydien ihren Vater. Lenz war das alles nicht wichtig, er merkte nicht einmal, wie gequält sie sich wandt. Was war dabei, den patriarchen Starrkopf anzuklingeln, wenn sie einander hatten? Er selbst, für seine Geliebte, hätte sich an den Straßenrand gehockt, um zu betteln. Sie hätte nur was sagen müssen, diese – denke ich plötzlich, der’s aufschreibt – Sirene. Ob nun gewollt oder nicht, sie zog ihn ins Meer; drin trieb er, doch er schwamm nicht. Und also ging er unter. Doch selbst, wäre sie schwanger geworden, was hätte daraus schon werden können? Und aber was, Herz, wendetet Ihr? Lars hat seinen Sohn in Berlin und ist zwei kleinen Kindern fast ebenfalls ein Vater. Da die ständige Fliegerei hin und her..? Dennoch wär er’s angegangen. Denn derart sich täuschen, nach der Nagelprobe auf den mythischen Blick, der sein erster Besuch in Triest w a r? Ich meine, Du warst bekannt wie bunte Hunde. Trafst Dich dennoch ganz offen mit ihm. Sogar ins Tommaseo bist Du mit Lars gegangen, wo die großen alten Spiegel Eure Küsse derart vervielfacht haben, daß sie Wimpeln ähnlich waren, die eine Menschenmenge schwingt. „Weniger anonym“, bemerkte später ein Freund, „wärst du mit der Jolie an deiner Seite da auch nicht gewesen.“ Dort hast Du drei Selfies von Euch geknipst und als MMS an Giulia geschickt, Deine Freundin. „Du Luder !“ soll sie geäußert haben, verschworener Hochachtung voll, als Du ihr von ihm zum ersten Mal erzähltest. Auch Deiner Mutter hast Du fast sofort berichtet; er sogar selbst hat mit ihr gesprochen. So versteht und versteht er immer noch nicht.
(…)