[Aus dem dreizehnten Brief]
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Die Zahl, Geliebte, dreizehn,
Dienstag, 8.25 Uhr
Stan Getz at Montmartre, live 1977
die geliebte 13, Herz, spielt in meinem Denken und darum auch Empfinden eine große Rolle; ich sollte sie ihr auch hier zukommen lassen – in immerhin einem Elbenroman, meinem außerdem zweiten. 13 x 28 (ich schrieb Dir schon davon: vom matriarchalen Jahr, das nach Euren Monatszyklen gezählt war). Jedenfalls soll nun wenigstens die Quersumme der Zahl seiner Briefe an Dich ein Vielfaches von dreizehn ergeben, das Dreifache vielleicht, um gleichzeitig die andere, nunmehr für L a r s bedeutsame Zahl, die 3, aufzunehmen. Schmölzen wir, er und ich, strukturell so ineinander, kämen wir auf neununddreißig Kapitel, was schon vom reinen Ansehn Evidenz hat und deshalb unser Blicken gleichsam zahlenmystisch spiegelt (ich formuliere dies bewußt nicht | in dem „an sich“ hier zu verwendenden Konjunktiv). Wäre dem so, würde ich mit dem Rohling des Buchs spätestens im kommenden Januar fertig sein, was in seiner Logik bedeutet: mit dem Verarbeitungsprozeß. – Ach, lach nur auf, ich weiß ja selbst: Welch ein bizarres Gerüst seiner Trauer! Als ließen sich Verluste bestimmen … Übrigens spricht die Lydierin schon gleich bei beider erstem Wiedersehen in Triest, und zwar noch vor dem Grottenbegebnis, von den dreizehn Dimensionen, in denen wir lebten; bis dahin hätte Lenz nie gedacht, daß diese Frau phantastische Neigungen hat, wenngleich, wer mit einer Sídhe umgeht, darauf von Anfang an gefaßt sein muß, sozusagen natürlicherweise. Für das Vielfache von Dreizehn spricht außerdem, daß es in diesem Roman immer auch um ein Kind geht, das sich – außer Jessir (oder hatte ich mich für „Volker“ entschieden, den Namen des exekutierten Freunds meiner Freundin?) alle Beteiligten wünschen und zu dem es aber nie kommen wird, jedenfalls nicht in diesem Roman. Was nach ihm geschieht, steht in den Sternen.
Freilich, eine Sídhe … Im Gegensatz zur menschlichen Frau hat sie fast jede Zeit der Welt. So kannst Du ruhig bleiben. Alleine Lars, der Vater so gerne eines zweiten Kindes würde, gerät in die Not seines Endspurts. Wäret Ihr möglich geblieben, hättet Ihr schnell eins gehabt. Du hast ihm sogar den Tochternamen genannt, ich schreib ihn, Lars’ Bitte folgend, nicht hin – nein, Liebste, habe deshalb keine Sorge. Aber er hat, dieser Name, Lars momentlang stummwerden lassen. Solch ein Wagnis! Aber daß Du es eingehen wolltest, wirklich eingehen wolltest, schloß Euch fast ebenso eng zusammen wie Eure pheromonale Melange. Du weißt, er hätte sich drauf eingelassen, wiewohl gerade er niemand ist, der die mythischen Hintergründe nicht sehr genau, nämlich aus unsern Gesprächen, kennt und also weiß, was da heraufbeschworen worden wäre – zumal ohne, daß er auch nur ahnte, was die Motive, Deine, hinter diesem Namen sind. Ihr hättet aber sicherlich immer wieder darüber gesprochen und wäret ihnen schließlich, vermute ich jedenfalls, nahegekommen. Bei der Lydierin hingegen sind sie klar. Anders als Du bist, ist sie nicht scheu, sondern emphatisch matriarchal; deshalb ist sie sich auch so sicher, daß das Kind, das Lenz ihr dann – ihrem Empfinden zufolge – verweigert, eine Tochter werden wird. Nicht eine Sekunde lang, tatsächlich, glaubte sie an ein männliches Baby. Während Lenz das Geschlecht seines zweiten Kindes völlig egal gewesen wäre.
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