[Ende des fünfunddreißigsten Briefs:]
(…)
Doch vielleicht hatte es zuerst weder damit zu tun gehabt, daß er Deine Entscheidung, wie er vorgab, akzeptierte, noch später mit seiner Erkrankung, von der er nicht wolle, daß Du sie Dir anlasten würdest, wie Kinder es oft mit der Trennung ihrer Eltern tun. Es sind dies ja alles keine bewußten Prozesse. Sondern er hat vielleicht damals nicht nur gespürt, daß und wie Eure Briefe ihm fehlten, vielmehr, daß ich nun seine – neue – schrieb, als den Versuch verstanden, sich seinerseits von Dir zu trennen, dann aber gespürt, wie wenig es half, ja daß im Gegenteil er nur noch um so weniger von Dir loskam, als durch meine Erfindungen der anderen Sídhe anderer Personen Deine Macht über ihn nur noch wuchs. Weshalb das mir erteilte – ich sag es jetzt mal krass – Verbot, die Briefe fortzuführen, tatsächlich sein Bruch mit Dir war. Nur waren jetzt viel zu viele Geister gerufen – von ihm nicht, nein, von mir –, als daß er funktionieren konnte. Ich hatte, indem ich schrieb, seine Liebe zu Dir, von der er sich verabschieden wollte, nun erst recht zementiert, nämlich im ungefähren Raum, in dem die Geschöpfe dieser immateriellen Natur eigentlich zuhause sind. Da kam er gar nicht mehr von Dir los, vor allem nicht von Deinem Einfluß, der ihn zum Künstler, der er schließlich wurde, erst hat werden lassen. Ich meine seine Kompositionen. Mit denen es freilich nach dem Krebs mit der bösen Chemofolge erst richtig und mit allen Folgen losging, von denen ich Dir berichtet habe. Und nicht an denen litt er so sehr, als an den Kompositionen selbst. Genau so denke ich jetzt. Weil sie eben Du sind, doch eben, ohne daß Du nah bist. Also sind seine Kompositionen ihm gleichfalls fern gewesen, vielleicht sogar, je mehr er an Kraft ihnen gab und je näher auf ihnen seine Augen ruhten. So daß es mit deren Entzündungen anfing.
Dieses jedenfalls kommt mir als Erklärung nun sehr viel plausibler vor, als alles was ich davor gedacht. Das kann ich ihm jetzt natürlich nicht sagen, doch hätte mich, seines unanzweifelbaren Liebesleides wegen, auch damals gescheut, es zu tun, dem niemand, der ein Herz hat, einen weiteren Schmerz hätte zufügen wollen. Doch wenn Du ihn nun also derart inspiriertest und er physisch davon immer schwächer wurde, bis zu dem wahrscheinlich letzten Alarmzeichen dieses Infarkts von vor zwei Monaten, ist es dann nicht denkbar, ja nötig aus der Sicht einer Sidhe, sich langsam anderswo zu orientieren – nicht aus Gemütskälte, nein … gut, die mag vorkommen, wir müssen ja nur an → die Sharonsídhe denken, aber doch bei Dir nicht! – sondern schlicht, um selbst zu überleben? Und weil nun ich … – Verstehst Du, nahstgefühlte Ferne? Da läge es n i c h t nahe, Dich mir zuzuwenden, der ich doch längst m i t in Deinem Energiefeld lebe, wenn auch bis vor kurzem nur am Rand, doch mehr und mehr in das hineingesogen, was meines Freundes Seele, weil es ihn vielleicht viel zu sehr überfordert hatte, als überschüssig reflektiert hat? Wir ging das denn mit Semele a u s, als sie des Gottes angesichts ward?
/ – – / – – /. Es erträgt den aitherischen Aufruhr
Nicht der sterbliche Leib und verbrennt von den bräutlichen Gaben.1
Das wär bei Göttinen anders sowie ihnen nahenden Männern? So denn nicht auch für Euch Sídhe? – Doch komm nur und nimm mich! Ich bin bereit und eigentlich längst sicher, daß Du viel mehr bei mir bist, nämlich schon lange, als Du bei Lars warst, zumindest in den letzten paar Jahren. Nämlich so, wie bei ihm nur zu Anfang, als Euch das Blicken noch war. Doch bereits Deine Achselkapelle habe i c h nur gesehen, nicht er. Er hat sie, als Ihr die Grotta gigante besuchtet, nicht erkannt und Du sie ihm nicht gezeigt. Die Lydierin zeigte sie Lenz, den aber ich und nicht Lars in die Welt tat. Und gar Yōsei! Nicht einen Blick hätte er an die Kitsune ver-, wie es mein Freund empfunden hätte, –schwendet und deshalb völlig verpaßt, wie sie und ihr jugendlicher Liebster – erinnere Dich, im Güneburgpark zu den Trommeln nah dem längst abgerissenen Palais – auf zum Himmel fuhren, geborgen in einem zum Feueropal verwandelten Kokon roten Haars. Der in die See des Weltalls klatscht, wie’s nur die Liebe vermag, sofern in ihr – D´aimer jusqu’à ce que la raison brûle – auch physisch die Leidenschaft tobt. Selbst, wenn er nichts als ein Kiesel, schäumt er die kosmische Gischt über Hunderte Lichtjahre auf. So daß, wenn es stimmt, was ich ahne, ich nun auch m i c h werde aufspalten müssen, in einen, der es erlebt, und jenen, der es Dir schreibt. – Jenen nenne denn
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________________________ 1 Ovid, Metam. III, Verse 308-309 |