Das zweite, nun bereits nicht mehr covidpositive Arbeitsjournal, nämlich des Montags, den 29. August 2022. Quarantänetage 5 auf 6. Mit einer offenen Frage zur Genesung SOWIE zu Disziplin, „Inspiration“ und künstlerischer Traumarbeit.

[Arbeitswohnung, 9.03 Uhr]

gestern
„Gefühlt“ ging es schnell; daß der Test gestern noch nicht negativ wäre, hatte ich vorausgefühlt, war also nicht überrascht –

heute

durchaus aber ein wenig vorhin, als der Test, den ich gleich nach dem Aufstehen, noch vor dem Latte macchiato und irgendetwas, das ich sonst zu mir nahm, durchführte, bereits dieses Ergebnis hatte. Doch ich bleibe mißtrauisch, werde ihn, den Test, mittags wiederholen und dann noch einmal morgen gleich früh. Bestätigt sich das negative Ergebnis, radle ich zum Freitesten los. Wobei ich nicht sicher weiß, was es überhaupt bedeutet, nach deiner durchgestandenen Infektion „genesen“ zu sein. Bleiben die Viren, aber entwaffnet, im Körper, oder sind sie „einfach“ rausgeworfen worden? Werde ich fragen. Jedenfall erst einmal Entwarnung, vor allem wegen der Triestreise. Nicht nur werde ich mir – sofern es morgen mit der Freitestung klappt – jetzt schon in Berlin den 125er Liberty mieten können, um mich mit dem Maschinerl vertraut zu machen für den Karst, sondern sogar das Bioport-Tattoo könnte ich vor Triest noch stechen lassen – wozu ich eine Riesenlust habe.
Insgesamt betrachtet, bin ich nach wie vor über diese Covid-Erfahrung nicht unglücklich, im Gegenteil sehr zufrieden, es miterlebt zu haben; so gehöre ich weiterhin in diese Zeit. Doch darüber hinaus, daß ich, der nicht nur aus Alters-, sondern schweren Vorerkrankungsgründen (wobei ich für den Krebs „Erkrankung“ nach wie vor einen nicht nur unangemessenen, sondern grob falschen Begriff finde) zum „vulnerablen“ Personenkreis zählt, den Virus ohne Medikamente einfach so in den Griff bekam, hat etwas wenn auch leise Triumphierendes. Denn nach wie vor nicht nur meinem Instinkt, sondern meinem Körper vertrauen zu können, für den ich zutiefst dankbar sein muß und bin, ist ein feines Privileg und eine seelisch höchst sichere Basis, weiterhin so zu leben, wie ich es möchte und will: angemessen riskant und mit eben nicht unangemessener Leidenschaft. Jetzt für Triest gilt das besonders, aber wahrscheinlich auch für den Friedrichroman, den d o c h anzugehen ich nun einen bislang unerwarteten Grund habe.
Wobei ich zugeben muß, daß sich durch die, worauf mich → bei FB ein Leser hingewiesen hat, nicht „Quarantäne“, sondern Isolation für mich gar nicht so viel verändert hat; imgrunde lebe ich doch schon jahrelang so, nur daß ich zwischendurch einkaufen und spazieren gehen kann (die Fremdeinkauferei ist lästig und vor allem durchaus teuer, wenn ich Dienstleister nutze). Meine sozialen Kontakte hingegen, also ständig gelebte, sind eh reduziert und erfolgen meistens online (Skype, WhatsApp, Signal); ohne dieses wäre es ein andres. — Spannend allerdings zu beobachten, wie sich SARS-CoV-2 von allem Anfang an – bei einem Raucher eigentlich logisch – in der Lunge bemerkbar machte (und mit leicht verstärktem Atemwiderstand), was gegen Omikron und für Delta spricht, und wie, mich darauf zu konzentrieren, die Symptome spürbar zurückgehen ließ, bereits über die erste Nacht. Und wie wenig Sorge ich tatsächlich trug, sondern nervös alleine war, weil ich um die Triestreise bangte. Es war außerdem eine, denke ich, gute Idee, einer klinischen US-amerikanischen Studie zu folgen, die gerade bei Covid eine signifkant entzündungshemmende Wirkung für THC diagnostizierte hat, und etwas mehr als sonst mein Donabinol einzusetzen. Aus meiner Sicht möchte ich jeder und jedem Coronainfizierten diese Tropfen nicht dringend, aber begleitend empfehlen. Sie müssen sich, liebe Freundin, nur darauf einstellen, daß nach etwa dreivier Stunden Ihr Wahrnehmungsapparat ein bißchen, sagen wir, umgekitzelt wird. (Ganz anders, wenn ich kiffe; dann setzt schon nach dem ersten Zug eine komplette Wirklichkeitsverschiebung bei mir ein, die so umfassend werden kann, daß ich deutlich halluziere). — Bewährt hat sich des weiteren mein „Morgenmantel“-Ritual, nämlich mich, solange ich positiv bin, nicht wie sonst zu kleiden, vielmehr mir – d.i. meinem Geist – dauerhaft zu signalisieren, mich jederzeit hinlegen und schlafen zu können. Was ich ja häufig tat, anderthalb Stunden arbeiten, eine Stunde schlafen, eine Stunde arbeiten, anderthalb Stunden schlafen usw. Wobei ich zudem den sich einschleichenden Herbst zu spüren bekam; der sehr leichte Cardin war gegen den etwas wärmeren türkischen Hausmantel auszutauschen, doch auch dieser bereits gegen den klassischen englischen — vor allem am Morgen. Da war es schon deutlich frisch. (Übrigens hatte die Infektion den weiteren Begleiteffekt, daß ich, weil ich – mühsam – mein Rauchen unterband, die mir fehlenden Kilos wieder draufgefuttert habe; trotz einer durchgehenden Appetitlosigkeit war ich dauernd am nikotinsurrogierenden Kauen von irgendwas, viel Obst, Joghurts, Chips, Nüsse, Pistanzien, Crackers usw. Ich kam sogar bei über 68 an; 67 ist Muß; heute früh waren’s, Freundin, genau 68.) — Doch ist die Hausmantelzeit damit vorbei, wird es jedenfalls sein, wenn heute mittag der Zweittest das Ergebnis von vorhin bestätigen sollte. Dann wird es unmittelbar ins Bad an die Rasur usw. gehen, und ich werde den Lagerfeld, der bereits heraussen hängt, anziehn, darunter Hemd und Krawatte. Es ist eine meiner mit meinem unbedingten Willen zu formen verschmolzenen Eigentümlichkeiten, meine Haltungen zu ritualisieren, was bedeutet, möglichst jede Handlung sinnhaft zu überhöhen; eine jede ist dann eingebunden in ein organisch schwingendes Feld, das gar nicht „real“ sein muß, dies aber wird, indem ich es setze. Wobei ich den moralischen Wert als einen ästhetischen empfinde; soweit irgend möglich, geht es um Schönheit, hier nicht der Prosa und/oder Verse, sondern der täglichen, auch und gerade im Alltag, Haltung.

Doch auch „arbeitstechnisch“ bin ich zufrieden; zwar habe ich nicht so viel geschafft, wie ich für diese Woche eigentlich vorgehabt hatte — daran, den achtunddreißigsten, also vorletzten Triestbrief noch vor meiner Recherchereise „im Kasten“ zu haben, ist nicht entfernt mehr zu denken —, aber dennoch ist mir im siebenunddreißigsten sowohl eine erneute Erzählwende als auch eine enorme Szene gelungen, die den Roman jetzt nicht nur formal, sondern auch motivisch erstens mit der unmittelbaren Realität und zweitens mit meinen anderen Romanen verbindet, namentlich dem Wolpertinger, und abermals das Netzwerk akzentuiert, in dem all meine Bücher ineindergefügt — -gefugt — sind, es jedenfalls sein sollen. Das ist mehr, als hätte ich „nur“ den, nà meinetwegen, Plot voran- und bis fast ans Ende herangetrieben. Dieses wird ganz von alleine geschehen, bedarf keiner sonderlichen Inspiration mehr, nur noch der Schreibdisziplin. Wegen der vielen Tagesschlafphasen war’s mit der halt nicht weit. Oder vielleicht doch. Vielleicht zeigte sich ihre Verläßlichkeit gerade darin, daß ich nach jedem Tagesschlaf sofort wieder an den Schreibtisch ging und bis zur nächsten Müdigkeitsphase tatsächlich schrieb oder doch recherchierte und die Notate voranbrachte, sowie insgesamt mit dem Triestroman bis in die Träume hinein beschäftigt blieb. Witzig war einer, bei dem ich in die Notatdatei tippte, jedenfalls annahm, dies zu tun. Nach dem Erwachen stand selbstverständlich das scheinbar Neue gar nicht drin und ich hatte auch keine Erinnerung mehr an das, was es gewesen sei. Allerdings bedeutet dies nicht, der Trauminhalt sei verloren, sondern „nur“, daß mein Gehirn offenbar körperautomatisch weiterdenkt, weitermeditiert, weiterplant — und das kann sich – und ohne, daß ich selbst es begreife – plötzlich in einem Einfall manifestieren, den ich jetzt bewußt habe, doch für neu nur halte. So daß wir von „Inspiration“ sprechen, obwohl deutliche Arbeitsprozesse zugrunde liegen, unbewußte eben, die sich neben unserer Tagesklarheit in unsren Hirnen begeben. „Inspiriert sein“ könnte also bedeuten (und bedeutet’s, glaube ich, tatsächlich), sich auf diese und ähnliche Prozesse zu verlassen.

Gestern in einer langen Netzrecherche eine für meine Zwecke → hinreißende PDF gefunden, die sich mit Mythen des Triester Karstes beschäftigt, etwas, das ich für die Zweite Fassung nun dringend brauche. Auf Italienisch allerdings, so daß ich viel Übersetzungsarbeit hatte; manche Zitate zudem in Friual, weshalb ich einige Male auch einfach nur raten mußte. Doch unterm Strich genau das, was ich brauchte. Ich habe den ganzen Tag damit verbracht und bin noch immer nicht fertig. Sowie dieses Arbeitsjournal eingestellt sein wird, werde ich damit weitermachen. Dank an Pino Gudi,

Ihr ANH

***

[14.45 Uhr]

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