derzeit keine mehr gibt, die mit an Der Dschungel schreiben, ist es hier derzeit still und wird’s ein paar Tage lang so auch noch bleiben. Ich habe derzeit zuviel zu tun, um selbst nur Arbeitsjournale zu schreiben; bin komplett ins Finale des Triestromans eingesunken, muß parallel die Tonaufnahmen für eine bald anstehende Hochzeitsrede als Textprotokoll übertragen, vor allem aber auch einen Text fürs Jubiläumsheft von text+kritik fertig bekommen, und dann sitzt mir auch noch eine Steuererklärung im Nacken. Hocke ich von morgens um sechs bis abends um acht oder neun am Schreibtisch – unterbrochen von nur dann und wann einer Essenspause und etwas „fare la spesa“ –, bin ich den Rest des Abends leer. Als kleine Entschuldigung, liebste Freundin, mögen Sie bitte den folgenden kleinen Auszug akzeptieren, den ich (im späteren Buch wird das nicht mehr geschehen) mit meiner Inspirationsquelle schließe:
Blind gewesen war mein Obdachloser aber nicht. Oder doch? Oder doch? Ich hatte nicht darauf geachtet, aber habe doch eben noch von diesen verschlierten Augen geschrieben, merke erst jetzt erst, da ich mir alles ins Gedächtnis zurückrufe. Dazu aber „her black basilisk eyes‟!
Die mich in genau diesem Moment fixierten. Denn da stand sie, Nimueh, unscharf zwar, als ob sie sehr schnell zitterte, an allen ihren Körperrändern, was aber auch an den Sonnenschlieren liegen konnte, die durch das Blattwerk der riesigen Platane, unter der sie stand, in wenn auch gleichsam flachen Strömen auf sie herabrieselte. So sah es aus, als ob das hellgraue, sehr weite lockere Kleid, das sie heute trug, sich gerade eben, als ob der Stamm sich häutete, aus ihm herauslöste, teils mit der Platane aber noch verbunden war – gar nicht unähnlich den sich dünnenden Schlieren, die die aus dem Hafenbecken steigende Venus mit der Spiegelung des Mondes im Wasser verbunden hatte, bevor sie verblichen und verklätschelt war. Umso dunkler aber, von mir aus gesehen, der gänzlich ungeschützt im Sonnenlicht stand, diese Augen, black eyes, in der Tat, die auch Ligeia4 schon gehabt hat, die wahrscheinlich frühste aller Sídhe, mit denen ich es im Lauf meines Lebens zu tun bekommen habe.
Wie aber kam Nimueh hierher? War sie nicht in Ljubljana ausgestiegen? Doch, das war sie. Also war sie nur umgestiegen, etwas in einen Zug? Falls ja, warum? Oder konnte sie sich, wenn sie es wollte, anders im Raum bewegen, als es uns Menschen möglich ist? Scheint mir am wahrscheinlichsten zu sein. Aber was hatte sie mit dem Obdachlosen zu schaffen, von dem sie überdies gewußt zu haben schien, daß ich ihm etwas zustecken würde?
Noch immer stand sie, gleichsam sich zerzitternd, da. Ich muß es, glaube ich, weniger unpräzise fassen: Sie schien sich zu verborken, jedenfalls ihr Kleid. Ich war zu fasziniert, um mich zu fürchten; Angst hatte ich schon gar nicht. – Winkte sie mir? Nein, sie stand einfach so da, auch wenn sie mich, fast muß ich scheiben, anstarrte, nämlich wie um Hilfe. Schon, weil sie immer mehr Baum wurde. Ihr freches, auch durchaus arrogantes Jugendliches war völlig geschwunden. Aber wozu der sozusagen Umweg über den Obdachlosen? Gut, sie hatte mich irgendwie in den Giardino bringen wollen.
Schon zog die riesige Platane sie jetzt zurück, wie um sie dem Stamm einzuverleiben, in seiner Rinde einzuborken. Ich gab mir einen Ruck und sprang fast zu ihr hin. „Was ist los? Was tun Sie, geschieht hier?‟ Als sie mich auch schon an den Schultern packte, wie um mich mitzuziehen … was sie noch tat, als schon ihr Körper in den Platanenstamm völlig hineinwuchs. Mit der Rechten versuchte ich, mich quasi an ihm abzustoßen, spürte noch unter der Rinde Niemuehs zitternde Brust, die mich weiter an sich zog, so daß ich die neuen Zweige, die aus ihren Kleidfalten wuchsen, wie Glieder umschlang und den ganzen Platanenstamm schon, zu dem sie, meine Erscheinung, in einer derart gedehnten Zeitspanne wurde, daß sie ein unversehnes Nu war, das ich küßte, wie um es retten, aber das Holz wich vor den Küssen zurück. Doch war ich ihm in meiner Bereitschaft jetzt immerhin nahe genug, um Nimueh endlich hören zu können, wie sie aus ihrer Ferne Maria anrief, in Wahrheit aber mich. „Maria‟, rief sie, „i loro bacini d’acqua santa! Dovete riempirli!‟ Als ich zurückgerissen wurde. Weihwasserbecken, was war mit den Weihwasserbecken? Nichts anderes kam mir in den Sinn, als daß Joyce Katholik war. Und die Platane steht für die Schlange, weil deren Borke an ihre Häutung erinnert. Und abermals der „linde‟, – rasend schöne nämlich – Wurm, doch, Basiliskin, weiblich:
From my right armpit a fang of flame leaps out. A starry snake has kissed me.
Häutungen hieß mal ein Buch der Frauenbewegung. Und da soll das Weihwasser helfen? Wem vor allem? Nimueh? – Mir? – Oder gar: – uns?
„Non stai bene?‟, geht es Ihnen nicht gut? Zwei Polizisten, gelblichgrüne Schirmmützen auf, die gelbgrünweißen Jacken der Hitze wegen offen; einer der beiden hatte mir von hinten nur eine Hand auf die Schulter gelegt. „Sind Sie in Ordnung?‟ fragte er noch einmal nach. Der andere war skeptisch, zog die Augenbrauen zusammen, während er mich musterte. Nur noch diese riesige Platane war da, keine Spur von Nimueh, die aber die beiden sowieso nicht gesehen hätten; da war ich mir sicher. „Komm’ Se mal besser mit.‟ Er nahm mich am Arm, ich ließ es geschehen, weil ich noch an „bacini d’acqua santa‟ eher herummeditierte denn es übersetzte. Becken, heiliges Wasser, Maria. Der heidnische Rest in der heiligen Jungfrau war mir, Du weißt es, immer bewußt. Es hat seinen Grund, daß die Kirche sich äonenlang sperrte, sie wirklich in den Himmel aufzunehmen und da dann – 1950!, es ist dies erst recht nicht zu fassen – mit besonderer Betonung ihrer Unbeflecktheit. Der Sexus als Urgrund der Erbschuld. Und saß schon voll Erbschuld – „schuldlose Schuld‟ formulierte ich einst – in einem kargen Raum des kleinen, nur ein paar Schritte entfernt dem Parkrand integrierten Stationshäuschens der Triester Polizia locale, wo mir – was sollte, mich zu wehren, bringen? – Blut abgenommen, dann mein Ausweis gescannt und übers Intranet gecheckt wurde, ob etwas gegen mich vorliegt. Anders als wegen der Weihwasserbecken kapierte ich sofort; der Park hat ein Drogenproblem, abends wird er Görli. Mein Anzug und die Krawatte immunisierten mich nicht, im Gegenteil eher, und nicht mal, daß ich dreiviermal fragte, was „mit den Weihwasserbecken‟ sei, machte mich weniger verdächtig. „Vai a pregare‟, damit wurde ich endlich entlassen, geh beten. Nun gut, doch wo und zu wem?
(…)
(…)
Hanc quoque Phoebus amat positaque in stipite dextra
sentit adhuc trepidare novo sub cortice pectus
conplexusque suis ramos, ut membra, lacertis
oscula dat ligno, refugit tamen oscula lignum.(…)
So auch liebt sie der Phöbus, der, rechts seine Hand an dem Stamm, noch
spürt in der neuen gesprossen Borke den bebenden Busen,
und mit den Armen die Äste, als wären es Glieder, umfangend,
küßt er nur Holz, das seine Küsse doch gar nicht mehr spürt.Ovid, Metam.I, 552-555,
dtsch. von ANH______________________
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