Seltsam, wie ganz offenbar sich mein kurzer Aufenthalt im Piemont – meines Arco-Verlegers Häuschen in dem zum einem sehr alten Weiler hoch oberhalb Villar Pellices, dieses – also „jenes“: das Häuschen – im 17. Jahrhundert aus rohen Feldsteinen errichtet, die von Feldern freilich nicht stammen, stammen nicht können, sondern, in graubraun, handlich-kleine Felslinge sind, zum zweiten das andre, am oberen Stadtrand eines dreißig Autominuten davon entfernten Villagios gelegene, deutlich später erbaute — wie dieser Aufenthalt sich meinem Unbewußten eingeprägt und nun mit Erinnerungen vermischt zu haben scheint, die teils die, ich schreibe mal, „agrarischen“ Bleiben meines Vaters in mir hinterließen, also das halb verfallene Gesindehaus bei Bramstedt/Bassum in den Endsiebzigern wie später die Finka von Cas Concos bei Felantix auf Mallorca, und teils Gerd-Peter Eigners langjährige Eremitage in den halbwilden Colle di Giano oberhalb Olevano Romanos. Nicht in diese, das zum Schluß recht baufällige zweistöckige Winzerhäuschen auf dem halben Oliv- und Feigenhang[1]Beachten, Freundin, Sie die hohe Pinie ganz oben: Eigner pflanzte sie zur Geburt seiner Tochter., sondern in eine Wohnung drunten im Ort meinte ich zurückzukehren
(nachdem mich nachts ein Hustenanfall weckte, der so etwas wie Magensäure durch die Speiseröhre in den Mundraum spritzte, extrem unangenehm, zumal das ohne Magen doch gar nicht sein kann, kam aber mehrfach jetzt schon vor: Eykalyptusbonbons helfen, du lutschst eins, das Beißen hört auf, du schläfst wieder ein —),
die aber weder diese noch eine andere der genannten Wohnungen, bzw. Häuser war, auch wenn ich das erst merkte, nachdem ich längst nicht mehr schlief.
Dennoch war mir der Ort derart vertraut! daß ich mich selbstverständlich nicht wunderte wie heruntergekommen alles unterdessen war, wo lag nochmal der Schlüssel? oh, noch am selben Platz … Dennoch, es hatte Umbauten gegeben; insbesondere war (ich schreibe nur ersatzhalber „Eigners“) … war also seine Toilette unterdessen abgetrennt und einer Nachbarwohnung zugeschlagen worden; auch gab es weder mehr einen Strom-, noch vor allem Wasseranschluß, so daß ich erst jetzt wirklich begreife, welch eine zivisilatorische Errungenschaft unsere modernen sanitären Enrichtungen sind, mögen sie noch so klein sein. Wohin mit der Notdurft? Es gab in dem baufälligen, in den Fels hineingeschlagenen eher-Verschlag-denn-Raum nicht mal eine Schüssel, eine Kochgelegenheit aber schon, doch ohne die nötige Gasbombe, an die der Herd angeschlossen werden muß. All das zu tun, lag nun vor mir. Doch es war Nacht.
Eine zersplissene Matratze lag an einer der bröckelnden Wände. Ich wuchtet meinen Rucksack daneben auf den Boden, hatte immerhin meinen Schlafsack dabei (den tatsächlich mein Sohn soeben in den Dolomiten, direkt unter den Drei Zinnen, verloren hat; er hat es mir hinreißend beschrieben, wie der treue Gefährte sich von da nun seinem Rucksack löste und in die Tiefe rollte —
„Es goß und goß, wir mußten weiter … Hinterherzuklettern, Pa, wäre
einfach zu gefährlich gewesen. Wir hatten auch gar kein Seil, um uns
zu sichern, und der Abend zog herauf …“) —
Doch das Toilettenproblem war zu lösen, bevor ich mich hinlegen durfte. Zu pinkeln, nun gut, das ginge vor der Tür in den Gassen irgendwo oder besser noch im bewaldeten Gelände, aber die „andere“ Notdurft? – Ich brauchte ein Gefäß. Also wieder nach draußen, die brüchigen Sandsteinstufen hinunter, vom Weg abgebogen, geschaut, es würde doch irgendwo einen Behälter für die Müllabfuhr geben … – Gab es keine hier? Wie wird dergleichen vergleichsweise zivilisationsfern gehandhabt?
Keiner zu finden. Aber da lag zwischen einer Feldwand und einem Fitzelchen Gras eine alte Preßpapierschale, wie WOLT und LIEFERANDO sie verwenden, und war vielleicht noch dicht. Ich hob sie auf, brachte sie in den Verschlag und kleidete sie mit Toilettenpapier aus. Dann sann ich drüber nach, wie ich auf diesem Ding wohl Platz finden würde. Ich müßte die angewinkelten Beine etwas von mir strecken und das Gleichgewicht hinter mir mit Handflächen und Armen ausbalancieren …
Übers Sinnen wurde es Tag, schien es geworden zu sein, denn ohne, daß ich mich daran erinnern kann, mich hingelegt und geschlafen, geschweige denn morgens irgendwie mich gewaschen oder auch nur meine Zähne geputzt zu haben, stand ich bereits in den Gassen wieder, spazierte sie entlang, jeder Schritt war mir vertraut. Schon trat ich auf eine sehr weite Ebene, die sich aus Wald und danach Macchia mir öffnete, doch nun weder mehr Italien noch etwa Spanien, sondern drögestes Norddeutschland war, Marschland, Felder, Kühe, hin und wieder eine Pappel. „Dort werden selbst die Euter mit dem Zollstock vermessen“, hat mich vor Jahren → Piwitt gewarnt, als ich ein → Aufenthaltsstipendium im Emsland annahm. – Auch wenn ich es damals zur Gänze „absolviert“ hab, hatte er — dessen → Traumaturgabuch ich bewundere — derart recht, jedenfalls damals, daß ich in meinem Traum noch jetzt erschrak. Nein, es war weniger ein Erschrecken, als die Latenz eines unterschwellig weiterempfundenen Grauens, was da in mir derart schleichend aufstieg, daß ich vergessen habe, wie dieser Traum geendet ist.
Ich wachte bewußtlos am frühsten Morgen auf und sah doch immer noch d a s:
Bittrer l ä ß t sich ein Tag nicht beginnen.
ANH
15. 8. 2023
References
↑1 | Beachten, Freundin, Sie die hohe Pinie ganz oben: Eigner pflanzte sie zur Geburt seiner Tochter. |
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