GOtt weint ODER Das Mißbrauchsproblem – womöglich indes nicht der katholischen Kirche allein.

Der, wenngleich ein ungeweihter, Literaturbetriebs-Nuntius Martin Mosebachkann reinwaschen, wie er nur will, und Schuld auf ’68 verschieben, zurückverschieben wohlgemerkt (bei Putin wird sowas Revisionismus genannt; nämlich ein Krieg brandet auch hier — doch unter dem „Glanz“):

Selbstverständlich muß die Kirche immer damit rechnen, daß in ihren Schulen und Internaten einzelne Erzieher sich an den Schülern vergreifen, das liegt in der Natur der Sache.

Der Mißbrauch von Kindern liegt in der „Natur“ des Erziehens, aha. Denn:

Wo Kinder unterrichtet werden, finden sich stets auch Persönlichkeiten mit pädophilen Neigungen ein.

Weshalb ‚wir‘ uns „aber fragen (müssen)“,

wieso es in katholischen Internaten gerade in den unmittelbar auf das Zweite Vatikanische Konzil[1]Siehe → dort, ANH folgenden Jahren gehäuft zu Sexualstraftaten von Priestern gekommen ist.

Vordem hat es offenbar weniger solcher Übergriffe gegeben. Woher weiß der katholische Großschriftsteller das? — Ah! er hat es dem Umstand entnommen, daß

kein Weg an der bitteren Erkenntnis vorbei(führt): das Experiment des „Aggiornamento“, der Angleichung der Kirche an die säkularisierte Welt, ist auf furchtbare Weise gescheitert. (…) Alle Institutionen, die einem Priester auf seinem schwierigen und einsamen Lebensweg Hilfe geleistet hatten, wurden in Frage gestellt. Was Wunder, wenn viele Priester in diesen Jahren sich nicht mehr in überlieferter Weise als Priester empfinden konnten,

sondern Kinder, vornehmlich Jungens, mißbrauchten. Auch hier offenbar gingen sie, die Priester, den heute „queer“ geannten Weg offenbar mit, indem — nach Mosebachs Lesart — ihr innerer, erziehungshalber natürlicher Pädophiler den Homosexuellen emanzipierte. Wogegen selbstverständlich n u r hilft,

die Zügel der Disziplin im Sinn des Konzils von Trient[2]1545 – 1563! ANH. Siehe → dort: „Die letzte amtliche Ausgabe des Index librorum prohibitorum erschien 1948 mit Nachträgen bis 1962. Der Index enthielt zuletzt über 6000 Titel, die … Continue reading wieder anzuziehen und zu einem Priestertum der katholischen Tradition zurückzukehren.

Da bringt’s heut in der NZZ Benedict Neff auf den Punkt:

Die These ist Unsinn, wie der Bericht aus der Schweiz zeigt. Es scheint im Gegenteil so, daß der Zeitgeist die Kirche eher geläutert hat. Die Studie zu den sexuellen Übergriffen im Kirchenmilieu der Schweiz weist für die 1950er und 1960er Jahre die meisten Fälle auf, während das 21. Jahrhundert noch 12 Prozent der Fälle betreffen. Die Kirche ist sensibler geworden und das Kirchenvolk kritischer. Es hat die übertriebene Ehrfurcht vor den Stellvertretern Gottes abgelegt. Gerade dieses Machtgefälle war für die Missbräuche mitentscheidend.

Und er schlußfolgert:

***

Nahm Jesus von Nazareth die Erbschuld nicht aus der Welt? Oh — GOtt weint nicht nur, er h e u l t — und zerreißt sich seine Kleider. Die wir, zum Beispiel, in der Ozonschicht erkennen. Und in manchen deutschen Gemeinden wählen von einhundert Bürgerinnen und Bürgern zweiundvierzig AfD. Auch sie wollen in alte „Traditionen“ zurück. Ach hoffentlich nicht g a n z bis 1545, alleine schon der Zahnärzte wegen.

***


NOTA:
Mein Verriß der religiösen Meinung Mosebachs ist keiner seines literarischen Werks; dies muß in unsren „identitären“ Zeiten festgehalten sein. Ich habe auch die politischen Haltungen D’Annunzios nie geteilt, um von Célines geradezu ekelhaftem Rassismus zu schweigen. Dies ändert aber nichts an meiner Achtung vor beider poetischen Leistung. Etwas bewundern und ehren, ja sogar lernen zu können aus ihr, auch wenn uns ihre Inhalte zuweilen sogar anwidern, bedeutet, Ambivalenzen auszuhalten — was zwar kein hinreichendes, aber das notwendigste Primat des politischen wie persönlichen Erwachsenseins ist und uns überhaupt erst ermöglicht, zu vertretbaren Haltungen zu kommen, unseren Reifeprozeß also noch zu fördern, anstelle ihn uns regredieren zu lassen, wie derzeit die Zeitläuft‘ es wolln.
ANH, 27. September 2023

References

References
1 Siehe → dort, ANH
2 1545 – 1563! ANH. Siehedort: „Die letzte amtliche Ausgabe des Index librorum prohibitorum erschien 1948 mit Nachträgen bis 1962. Der Index enthielt zuletzt über 6000 Titel, die sich mit der Glaubens- oder Sittenlehre der Kirche nicht vereinbaren ließen. Bekannte Beispiele sind die Liebesgeschichten von Honoré de Balzac, die Chansons von Pierre-Jean de Béranger, sieben Werke von René Descartes, zwei Werke von Denis Diderot (darunter die Encyclopédie), die Liebesgeschichten von Alexandre Dumas dem Älteren und von Alexandre Dumas dem Jüngeren. Weiterhin werden vier Werke von Heinrich Heine, die Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant, Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir, das Gesamtwerk von Maurice Maeterlinck und nahezu alle Werke von Voltaire genannt. Als einer der letzten gelangte Jean-Paul Sartre auf den Index.

1 thought on “GOtt weint ODER Das Mißbrauchsproblem – womöglich indes nicht der katholischen Kirche allein.

  1. Das hinzugesetzte Grundsätzliche spricht mir aus der Seele, zumal ich es für selbstverständlich halte, „Ambivalenzen auszuhalten“ – in der Literatur wie im Leben auch. Wie sonst könnte ich lesen? Mein Bücherregal wäre sehr schmal, würde ich alles „canceln“, was meinem oder dem jeweils aktuellem „politisch korrekten“ Weltbild nicht entspricht (das ja zudem ohnehin einem ständigen Wandel unterliegt).

    [vondort.]

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