Das bedenkliche, weil voll der Sorge bedenkende Arbeitsjournal des Mittwochs, den 22. November 2023, in dem zunehmend die poetische Arbeit wiederaufgenommen, aber auch ihr Wert befragt, doch ebenso der Kunstlust und ihrem befreienden Potential gedacht wird. Denn es stärkt die Seele.

 

Man mag gar nicht daraus zitieren, so widerlich ist es“, sagte → Joana Mallwitz am vergangenen Sonntag, in ihrem Felix Mendelssohn und besonders seiner vierten Sinfonie gewidmeten zweiten „Expeditionskonzert“, über das ich detailliert noch bei Faustkultur berichten werde, und bezog sich dabei aus Richard Wagners Schrift über das „Judentum in der Musik“, die auf, wie auch anders?, unheilvolle Weise bis ins zwanzigste Jahrhundert wirksam blieb und es leider, leider noch jetzt zu sein scheint —wie so sehr viele insofern ekelhafte Meinungen belegen, die seit der Blut- und Schlachtorgie der Gaza-Hamas unisono mit einem offenbar bis dahin teils verdrängten und/oder nicht bewußten Antisemitismus[1]Zur Poblematik des Begriffes selbst siehe → dort. auch in Deutschland, zumal in Berlin wieder laut geworden sind und es für Akte der Widerstands halten, wenn die Föten werdender Mütter den Frauen lebendig aus dem Leib geschnitten und dann geköpft werden. Deshalb hier sehr deutlich: Derartige Rückfälle in eine rasende Barbarei sind niemals Befreiungsakte und schon gar nicht legitime Formen von Widerstand. Vielmehr zeigen sie, wohin eine solche Art „Aufstand gegen Unterdrückung“ auch dann führen wird, wenn er, wie etwa → dort skizziert, erfolgreich sein sollte — nämlich in einen dauerhaften Zustand diktatorischer Regierungsformen und also, wie nach 1933 schon einmal, in das Grauen schlechthin, eines, Zur Hamas-Strategie Interview TAGESSPIEGEL 211123 vor dem mich, bei Francis Coppola (1976) nach Joseph Conrads Vorlage (1899), → die Warnung des Obersten Curtz geradezu euphemistisch dünkt. Ein „Widerstand“ durch Folter, Menschenschlachtungen und rauschbegeisterte Vergewaltigungen, also prinzipielle Erniedrigung jeglichen Menschenrechts, führen in sich quasigöttlich, satanisch nämlich staatsinstitutionalisierte Terrorherrschaft, kurz: unabwendbar zur Tyrannei. Und trotzdem geriert sic sogar die hiesige, auf ihre Diversität so stolze → Clubszene antisemitisch. Ich könnte, Freundin, kotzen von morgens bis abends!

 

 

[Arbeitswohnung, 11.02 Uhr
Purcell, Passacaglia (aus King Arthur)]
           Es läßt mich nicht los. Wie denn auch? Daß allerdings mein Entsetzen derart groß ist, daß ich immer neuerdings mit dem Gedanken „spiele“, aus Protest zum Judaismus zu konvertieren, offiziell, ist für jemanden derart paganen wie mich schon bizarr, zumal ich patriarchal organisierten, also besonders den monotheistischen Religionen ganz besonders ablehnend gegenüberstehe — was aber eben nicht bedeutet, auch diejenigen abzulehnen, die ihren Glauben haben und auch leben. Nahe aber ist mir, was ich gestern in Paolo Rumiz‘ hinreißendem Mittelmeerbuch[2]„Hier reist man nach einem bestimmten Rhythmus, dem des Hexameters, seit Menschengedenken.“ S. 95, dtsch. von Maria E. BrunnerEuropa. Ein Gesang las:

Nicht einen Gott, nein, eine Göttin suchten wir: Nachkommen sollte sie tapfer gebären.

Überdies paßt es mit all seiner mythischen Sprechweise so sehr in unsere Zeit:

Damals ahnten wir noch nicht, wie groß die Sehnsucht nach einem Zuhause ist bei denen, die ihre Heimat verloren haben.
Wohl nur die Juden, vertrieben aus Spanien. verstanden das wirklich, sie bewahrten die Schlüssel jahrhundertelang auf für die Häuser, die sie zurücklassen mußten in Sefaràd[3]Sephardisch für „Spanien“..

Es ist bereits sicher, daß ich über dieses Buch sehr ausführlich schreiben werde — noch vor dem langen Essay über → d’Arrigos Horcynus Orca, den zu verfassen ich jetzt glücklich bin, wirklich beauftragt worden zu sein. Ja, Freundin, meine, nun jà, „Krankheit“ gab mir die Gelegenheit, Bücher geradezu zu verschlingen, darunter auch eines, das mir Freund Broßmann hatte zuschicken lassen:

          Auch dazu will ich mich noch äußern, aber später; andres steht voran. Vor allem Israel jetzt. Es spielt momentan keine Rolle, ob wir Netanjahus bisherige Politik ablehnen und ob sogar, wie ich, sehr scharf, ob wir, wie ich, entschiedene Gegner der israelischen Siedler-, nun jà, -„politik“ sind und ob wir überhaupt, wie ebenfalls ich, jegliche Dogmatik von uns weisen; wenn kein Auto kommt, gehe ich über die Straße, egal, ob die Ampel rot zeigt oder grün. Ich bin mein eigener Herr, das reicht mir schon, einen weitren, und gar „über“ mir, kann ich da nicht brauchen; er liefe mir, dem entschiedenen Synkretisten, schön kunstästhetisch zuwider. „Israel“, j e t z t, ist aber etwas anderes; es sind die vielen freien Menschen dort, die jungen, die mittelalten und insgesamt alle, die bis zum 7. Oktober in Massen gegen Netanjahu protestiert haben, und die linke israelische Intelligenz stand schon seit je auf Seiten der unterdrückten Palästinenser und hat sich für sie eingesetzt. Und aber selbst dieses noch beiseite, steht „Israel“ heute für noch etwas anderes, tatsächlich für „die“ Juden, weltweit die Juden; seit dem 7. Oktober ist es wieder Symbol, eines, um den Bogen jetzt zum Kreis zu schließen, das auch Felix Mendelssohn meint, den Enkel des nicht minder bedeutenden Moses Mendelssohn, der, mit der europäischen Aufklärung innig verschmolzen,  lebenslang von der gesellschaftlichen Gleichstellung träumte und für sie einstand und wie mit ihm viele, viele Künstler, die der gleichen religiösen Abstammung waren, die europäische, besonders auch deutsche Kultur geprägt haben, da wo sie groß auch und grad in jenen ward, die sich antisemitisch gerierten, Richard Wagner etwa, der ohne Mendelssohns Musik gar nicht geworden wäre, was er wurde — auf geradezu groteske Weise führte es Mallwitz am Beispiel des Rheingoldes vor; wir müssen fast sagen, er habe motivisch so unüberhörbar geklaut, daß es nicht nur widerlich, sondern auch peinlich ist, wie er im Nachhinein versucht, Mendelssohn aus der Musikgeschichte zu streichen, um jede Fährte zu tilgen, die in sein Plagiat mitten hineinführt. Was wir aber — und das ist’s, was der Zeit“geist“ nun schon seit Jahren zu verhindern versucht — … was wir aber lernen müssen, auszuhalten lernen, ist, daß es den Musiker Wagner deshalb nicht geringer macht und daß insgesamt große Künstlerinnen und Künstler nicht immer große Menschen sind. Nicht wenig deutet darauf hin, es seien gar die wenigsten; das schließt auch Zeitgenossen ein.

           Israel also.Wenn es also, religiös betrachtet, rechtens gar nicht sein kann, daß ich konvertiere, weil ich an Elben, Geister, Feen glaube (glauben möchte; der Impuls ist regulativ), nicht aber an den HErrn, — wenn und da dem nun so ist, habe ich mich zumindest hinter Israel zu stellen, hinter das, wofür es steht und also nunmehr seine Flagge in den Dschungel-Header einmontiert,

nachdem ich Die Dschungel insgesamt ein wenig wieder gepflegt und sowohl → die Mallwitz-Besprechung wie zuvor → die zu → John Elliot Gardiners fulminanten Les Troyens von Berlioz  als auch meine → Rezension des Essaybändchens Nichts ersetzt den Blick ins Gelände von Daniela Danz eingestellt. So sind sie in Der Dschungel nun endlich, leicht nachlesbar für Sie, archiviert und ich kann mich den nächsten Arbeiten widmen. Wobei’s mich ziemlich stolz macht, daß Hendrik Jackson meinen Text zu Danz auch → auf seiner Site zur Lyrik übernommen hat.

           Jetzt aber muß ich zur Ärztin, um Rezepte abzuholen.

Ihr ANH
Arbeitswohnung, 12.47 Uhr
Jürgen Ganzer, Passacaglia für Akkordeon

***

References

References
1 Zur Poblematik des Begriffes selbst siehe → dort.
2 „Hier reist man nach einem bestimmten Rhythmus, dem des Hexameters, seit Menschengedenken.“ S. 95, dtsch. von Maria E. Brunner
3 Sephardisch für „Spanien“.

5 thoughts on “Das bedenkliche, weil voll der Sorge bedenkende Arbeitsjournal des Mittwochs, den 22. November 2023, in dem zunehmend die poetische Arbeit wiederaufgenommen, aber auch ihr Wert befragt, doch ebenso der Kunstlust und ihrem befreienden Potential gedacht wird. Denn es stärkt die Seele.

  1. Woher haben Sie das, lieber ANH, mit den herausgeschnitten und anschließend geköpften Föten? War der Angriff IS-mäßig (Furcht und Schrecken), oder ging es darum, möglichst viele Geiseln zu entführen? Wie groß ist der Anteil der Kollateralschaden? Usw. etc. pp. Es gibt bis heute keine verlässlichen Informationen dazu. Nicht, dass es Ihnen geht wie weiland Rudolf Scharping mit seinem nicht Armee- sondern Armenfriedhof im Jugoslawienkrieg – dass und wie ein Buchstabe alles ändern kann, muss ich Ihnen nicht erzählen. Und dann die zweite auf den Dschungeln aufgepflanzte Fahne: der Vater des Protagonisten in Wollschlägers „Herzgewächse“ kündigt die Subskription seines „Großen Meyer“, nachdem er unter „Fahne“ gelesen hatte: „… ein durch Farbe oder Bild kenntliches Stück Zeug an einer Stange“. Komme mir bei der Betrachtung der Dschungel vor wie Meister Anton bei Hebel – und lese gerade (wieder) beängstigend zufällig die Karamasow-Übersetzung von Swetlana Geier – eine unheimlich gegenwärtige Lektüre. Anyway hoffe ich, dass es Ihnen unberufen gut geht!

    1. Lieber Herr Knelangen,
      die brutale Szene entnahm ich einem Bericht; es gibt auch ein Video davon – das ich mir allerdings anzusehen „erspart“ habe. Daß die Hamas aber auf allerbrutalste Weise vorgegangen ist, dürfte nun wirklich außer jedem Zweifel sein, ebenso wie ihr Ziel, alle Juden zu töten. Es bedarf schon eines ziemlichen Verschwörungs-, ja Weltverschwörungsgedanken (der dann wieder mit den „Weisen von Zion“ sehr verwandt wäre), um dies in Abrede zu stellen.
      Und auf der Flagge, in diesem Fall, beharre ich entscheiden: aus den dargestellten Gründen. Der in Deutschland offenbar latent immer wirksam gebliebene Antisemitismus erfüllt mich wirklich mit Entsetzen, und kein Einwand ist, der es mildern könnte. Es zu mildern wäre sogar seinerseits grauenvoll. Farbe zu bekennen, in noch einmal: diesem Fall, bedeutet eben auch, Flagge zu zeigen. „Ein Stück Zeug an der Stange“ ist sie nun eben n i c h t; ich gebe aber zu: „ausnahmsweise“.
      Ihr ANH

      1. Nachtrag @ Knelangen:

        An jenem 7. Oktober war die damals Dreijährige mit ihren beiden 10 und 6 Jahre alten Geschwistern gerade zu Hause in einem Kibbuz an der Grenze zum Gazastreifen, als die Terroristen der Hamas einfielen und vor den Augen der drei Kinder die Mutter erschossen, wie US-Medien berichteten. Als ihr Vater sich schützend über seine Tochter legte, sei auch er erschossen worden. Ihre Geschwister überlebten, weil sie sich in einem Schrank versteckten, wo sie 14 Stunden lang ausgeharrt hätten, bevor sie gerettet wurden, hieß es.
        Ihre kleine Schwester, die zunächst für tot gehalten worden sei, sei unter der Leiche ihres Vaters hervorgekrochen und zum Haus eines Nachbarn gerannt, zitierte die „Washington Post“ eine Verwandte des Mädchens. Die Terroristen griffen sich dort das Mädchen zusammen mit der fünfköpfigen Nachbarsfamilie und verschleppten sie mit vielen anderen Zivilisten in den Gazastreifen.

        Quelle: TAGESSPIEGEL → Gazakrieg Liveblog, 27. Nov. 2023 05:21 Uhr (geschrieben von Benjamin Lamoureux)

        Nachtrag, 14.33 Uhr
        Jetzt auch → dort.

        1. Ich bin (nach meinen Informationen aus zweiter, dritter Hand natürlich) weiterhin der Meinung, dass das Ziel des Massakers der Hamas nicht war, „möglichst viele Juden zu töten“, sondern ein so großes فوضى zu erzeugen, damit möglichst viele Geiseln verschleppt werden konnten. Die gleichnamige israelische TV-Serie empfehle ich. – Nachdenklich machen kann einen auch die derzeitige „Sprachregelung“ über „Geiseln“ der Hamas und „Gefangene“ Israels, und immer nur von „Geiselfreilassungen“ statt von Austausch zu reden. In Israel werden Jugendliche ab 14 inhaftiert, seit 2016 dürfen auch 12-Jährige „bei der Beteiligung an Kapitalverbrechen“ inhaftiert werden.

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