über die noch en detail für → Faustkultur berichtet werden wird.
[Sonnabend, 25. Oktober 2023
Arbeitswohnung, 15.44 Uhr
France musique:
Martinů, The Roadside Cross[1]Wie immer grandios: → Magdalena Kožená]
Manchmal ist Facebook für was gut; ich hätte ohne dieses „soziale“ Netzwerk von dem Fest → im LCB gar nichts gewußt. Nun war es eine Frage der Achtung, mich auf den Weg dorthin zu machen — auch wenn ich abends bereits wieder fortmußte wie -wollte. Im Konzerthaus lag für mich eine Pressekarte zu Joana Mallwitzens → erster „Nightsession“, dem zweiten von ihr neu eingeführten Format, zum ersten → schrieb ich ja schon kurz. Tatsächlich wurde mir nun ihre, ich schreibe einmal, „musikpädagogische Didaktik“ deutlich; beim „Expeditionskonzert“ vor fünf Tagen unterlag ich einem Fehlschluß. Das Publikum d a war in dem ausverkauften Saal deutlich überaltert, viele Konzertfremde darunter, was daran zu merken war, daß sie bei der Aufführung der Sinfonie hinter jedem einzelnen Satz klatschten; sowas tun nur Uneinge-, ich sag mal, -„weihte“. Völlig anders bei der Nightsession nun; hier verteilten sich die Generationen. — Doch mehr dazu in meinem Faust-Artikel, an den ich mich morgen setzen will, dann erst, weil ich nachher schon wieder unterwegs sein werde, heute privat, und mich vormittags meine – hier auch dringend benötigte – Mme LaPutz vom Arbeiten abhielt.
Am Wannsee jedenfalls begann’s mit einer Performance. Rike Scheffler trug → ihre Gedichte zu einer Art Musik vor, die sie am Laptop steuerte und mit einem Manifest endete, das auf den Klangwogen des — jedenfalls eines — ästhetischen Zeit-, nun jà, -„geists“ dem moralisch-politischen huldigte. Anders als etwa
(Oh, ich mußte los — und wollte es gerne auch, auf Freund Broßmanns Geburtstagsfest erwartet,)
***
(das ich gegen Mitternacht wieder verließ; da war nicht wirklich Schreibzeit mehr. Und also:)
[Sonntag, einen Tag vorm Bibermond:
Arbeitswohnung, 10.30 Uhr
Erst, aus noch zu erzählendem Grund, Marias Callas gehört, doch ging’s mir schnell auf die Nerven,
aus gleichfalls zu erzählendem Grund. Also erstmal frühstücken, mich rasieren usw., mich kleiden
– so daß ich nunmehr bereit bin. Wo hatte ich geendet? bei „Anders als etwa“, aha:]
— Anders als etwa die surrealistische Erklärung von 1925, die bei mir an der Wand hängt,
schwimmt Schefflers in deren Tradition aber stehendes Manifest m i t im Strom des allgemein-akademischen Meinens und nicht dagegen an, nicht also gegen, sondern mit der ästhetischen Strömung, ein Umstand, der ihm die Kraft solcher Proklamationen nimmt, die stets aus Widerstand erwachsen, schon gar nicht „familiär“ ist. Manifeste werden von Außenseitern verfaßt, nicht unter sozialer Beschirmung. Vor Gleichgesinnten verlesen, ergeben sie erst recht keinen Sinn, sondern sind affirmativ. Dies aber nur am Rande. Denn tatsächlich haben mich einige Verse – der Gedichte Schefflers, nicht ihres Manifests – mehr als nur am Ärmel gezupft. So daß ich genauer hinsehen, das Buch mir also besorgen und dann es, nun jà, „prüfen“ will. Kann durchaus sein, daß es einiges taugt. Denn die Performance muß nicht unbedingt ein Klangverschmieren von Schwächen, sondern kann auch einfach eine Interpretation gewesen sein, die mit den Versen künstlerisch spielte, egal ob gelungen oder nicht. Ich selbst habe mit meinen → Youtube-Serien ja Ähnliches versucht, nur daß meine musikalische Codierung eine andere ist. Auch darüber läßt sich’s verschiedener Meinung sein.
Und nunmehr folgte das:
Doch so spannend die angekündigte Fragestellung war, so seltsam ästhetisch-naiv kam es zu, fast immer auch erst sehr langsam, Antworten; es war ein wenig, als wären die poetologischen Auseinandersetzungen und Selbst-, bzw. gesellschaftspolitischen Bestimmungen der Sechziger-/Siebzigerjahre den Autorinnen und Autoren (der Verlegerin Daniela Seel, einer der herausragenden Lyrikerinnen unserer Zeit, aber sehr wohl) gar nicht bewußt, um von den Aufbrüchen, siehe oben, der Zwanzigerjahre und noch vorher, etwa → Apollinaires, zu schweigen. Entsprechend nahm, entgegen Form und Formung, der Begriff der Intuition eine immer wieder genannte Rolle ein, geradezu eine Renaissance der, ich schreibe mal, „Gespürlichkeit“, aus der eigentlich nur individueller Seelenkitsch entstehen kann. Unter den drei und dreieinhalb Lyrikern, deren einer halb aber eben auch Frau, jedenfalls „divers“ war, zeigte eigentlich nur Ozan Zakariya Keskinkılıç poetische Struktur — in den Liebesgedichten ausgesprochen berückend, gerade weil → die Sinnlichkeit seiner Verse das durchaus auch homosexuell Körperliche so betont, ohne jemals pornografisch zu werden, nicht einmal bei aufgelecktem Speichel. Daß der gläubige Muslim auf die Frage, was denn am Anfang eines Gedichtes stehe, „Gott“ antwortet, frappiert da nur aufs erste Hören, und daß er teils zitierend Bezug auf den Koran nimmt, ist kurzum konsequent. Wir können dem folgen wie dem Glauben Bachs in seiner → besonders unter Rattle und Sellars geradezu hypnotisch-menschlichen Matthäus-Passion. Wobei die Schönheit der Verse Keskinkılıçs seinen Vortrag noch gesondert heraushob. Es ist imgrunde doch egal, was für ein Kunstwerk der – sei es ein persönlicher, sei er intersubjektiv – „eigentliche“ Anlaß ist.
Insgesamt aber gab dieses „Colloquium“ nur wenig für mich her. Immer wieder stieg in mir der alte Zweifel auf, ob, was ich hörte, tatsächlich Gedicht oder nicht doch einfach nur zeilengebrochene Prosa war, das, was ich „Zeilenbruchsgedichte“ nenne.
Doch darauf kommt es nicht an, wenn wir die Leistung des kookbook-Verlages insgesamt betrachten. Daniela Seel ist es gelungen, der zeitgenössischen Lyrik nicht nur ein Forum, sondern eine ganze Szene zu erschaffen; nur wenige wie Peter Engstler standen ihr dabei zur Seite.
Es folgte der Empfang, den ich ein wenig lieblos fand. Man stand halt so herum. Niemand begrüßte, niemand sprach. Den Sekt nahm man vom bereitgestellten Tisch; vorher hatte es freien Kaffee gegeben. Daß der Hausherr verhindert war, irgendeiner Sitzung wegen, sei dahingestellt. Doch dann hätte der Mitveranstalter, das Haus für Poesie, jemanden etwas sagen lassen können, um die doch sehr berechtigte Feier zu noch nicht ab-, doch aufzurunden. Hier fehlte einfach Stilgefühl; schmerzhaft war zu spüren, daß auch Rituale, wo sie sinnvoll sind, weil menschlich, ins Wegrutschen geraten sind, ohne daß die Leere Neues füllte.
Dies brachte dafür d a s:
Denn kookbooks lebte und lebt vor allem von der Gestaltung seiner Bücher, und die war und ist ohne den leidenschaftlich begnadeten → Andreas Töpfer nicht denkbar. Sabine Scho, ebenfalls kookbooks-Autorin, hat mir oft von ihm erzählt … — was heißt „erzählt“? — vorgeschwärmt. Eine gemeinsame große Arbeit der beiden steht bei mir wie ein Ausstellungsstück:
Lange schon habe ich → darüber schreiben wollen und sollte es jetzt vielleicht endlich auch tun. Nur hat der Band nichts mit kookbooks zu tun, bzw., Töpfers wegen, „nur“ indirekt. Und nun bin ich ihm zum ersten Mal tatsächlich begegnet. Wie Sie wissen, Freundin, bin ich ein – aus anarchistischen Gründen notwendigerweise – ästhetisch konservativer Knochen, besonders, was Buch- und insbesondere die Textgestaltung anbelangt. Ich will weder meine Verse noch gar die Prosa anders sehen als in der „klassischen“ Schriftform; schon eine serifenlose Schrift kommt mir nicht in die Tüte; ich lese solche Zumutungen auch nicht. Na gut, es sind schon Ausnahmen vorgekommen — aber Dichtung als auch nur irgendwie Grafik? Das ist mir viel zu schnell verspielt. Selbst bei, siehe oben, Apollinaire empfand ich dergleichen stets als Sahnehäubchen auf der Sahne, ich kann dann lächeln, meinetwegen, aber werde vom Wort entfernt, um das es mir geht. Doch jetzt Töpfer sprechen zu hören, seine Hingabe zu beobachten, diese Begeisterung … Es war einfach toll
und für mich ein hinreißender Abschluß des noch lange weiterwährenden Festes. Ich mußte nämlich weg, um meine Pressekarte im Konzerthaus nicht verfallen zu lassen. Und auch → dort, bei Mallwitz. Monolake und dem Konzerthausorchester hat es sich gelohnt. Ob mir das auf dem LCB-Fest noch Gefolgte also irgend auch nur ähnlich hätte Lust geschenkt, muß, um es spaßhaft im Juristendeutsch zu sagen, aus Gründen des Nichtwissens bezweifelt werden. Daß aber kookbooks einer der wichtigsten deutschen Verlage ist, steht außer jeder Frage. So daß Die Dschungel abermals voll Achtung gratuliert.
Und aber nun: an die Callas-Filmkritik!
Ihr ANH, 18.43 Uhr
[Callas, Orchestra del teatro alla Scala, Bernstein: Cherubini, Medea (1953)]
References
↑1 | Wie immer grandios: → Magdalena Kožená |
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