Was tun mit diesem zum hundertsten Geburtstag der Callas, die Kinos flutenden „Callas – Paris 1958“? – so aus Boulevardlack gemacht, wie dieser Film ist? Er tut auch dem Genre „Oper“ nicht gut, sondern desavouiert es. Dabei hat ganz dasselbe Team fünf Jahre zuvor mit „Maria by Callas“ einen Film geschaffen, der dieser Frau ergreifend nahekommt, indem er Archivmaterialien so kunstvoll montiert, daß es uns nicht eine Minute lang losläßt. Welch Glücksfall, daß 3Sat ihn morgen ausstrahlen wird! Besser also, statt für den neuen Film im Kino zu zahlen, sich den kaum älteren im Fernsehn anzuschauen. Vor der großen Leinwand wären Sie nämlich entsetzt, zumindest peinlich berührt ob dieser fast schon Puppe, als die sich die Callas da gibt – abgesehen davon, dass die Dokumentarfetzen etwa ihrer Ankunft, aber auch der Auftritte seinerzeitiger High Society vor affiger Lächerlichkeit nur so strotzen und die wenigen Backstage-Aufnahmen nichts, aber auch gar nichts hergeben. Der in den Glamour „Oberer Zehntausend“ gebadete Film wirkt gerade jetzt sogar zynisch, da Tag für Tag ins Elend des ruchlosen Putin-Krieges gegen Ukrainer, nahost gegen Juden den Blutrausch der Hamas eingeprägt wird und hierzulande der alte Antisemitismus aufersteht. Daß obendrein der kommentierende Reporter am Flughafen fragt, und wen denn fragt er? uns? : „Wird sie singen?“, ondoliert dem kitschigen Hype auch noch Locken.
Aber dann die Callas selbst! Den halben Film lang füllt sie die Leinwand beinah komplett. Und singt zwar auch, und gut, doch nimmt vor allem immer wieder, und auf das affektierteste, nicht enden wollende Ovationen eines Publikums entgegen, das, wie sie einmal sagte, sie gemacht hat: „What is a legend? The public made me“, sie selbst sei einfach nur ein Mensch. Nur ist der hier nicht zu spüren. Statt seiner steht eine synthetische Figur vor uns, die sich – sei es in Kleidung, sei’s in den Gesten – auf erschreckende Weise an der Mädchenhaftigkeit Audrey Hepburns orientiert hat. Indem sie sich so und auf dem Gefallen des selbstgefälligsten Patriarchats wiegen läßt, vor dem sich ihre Lider wie schamhaft senken und heben, versteh ich endlich, über zwanzig Jahre später, was damals meine Gefährtin so aggressiv gemacht hat, sowie sie die Callas nur hörte; Freund Eigner und ich lagen der Stimme zu Füßen. So gesehen allerdings ist dieser zweite Film erhellend. Er decouvriert die Strukturen des Pops, obwohl es den Begriff noch nicht gab; Adorno sprach von „Kulturindustrie“. Ihr hat sich die Callas gebeugt.
Seit ihrer Kindheit litt sie daran. Nur zeigt der neue Film dies nicht; er will ja schließlich Kasse machen … Um Wahrheit ist es Tom Volfs älterem von 2017 zu tun. Ihn haben Ergriffenheit und tiefe Empathie geleitet. Der eine Tragik freilich auch verschweigt: Callas hatte zwei Karrieren, deren erste, bis etwa 1955/56, alleine ihrer Stimme galt. Da wog sie, bei 1,73 Körpergröße, über 92 Kilo; der Stahl ihres enormen Stimmumfangs von ganzen drei Oktaven brachte ihr den Beinamen „Tigerin“ ein. — Callas’ zweite Karriere hingegen war optisch und schuf die Ikone. Innerhalb weniger Monate hungerte Callas sich auf 54 Kilo herunter, was zwar Hugh Hefners Zeitgeschmack diente, nicht indes der Stimme und auch Teil an Callas’ frühem Tod gehabt haben soll, mit dreiundfünfzig Jahren. Welch gräßliche Zahlensymbolik! Schuld sind aber wohl eher die schweren Depressionen gewesen, unter denen Callas so litt. Sie hätte gerne Familie gehabt, Kinder und einen verläßlichen Mann. Das sei, erklärt sie in einem Gespräch, die Bestimmung einer Frau. Und etwas später: „Im Grunde bin ich ein amerikanisches Mädchen, das von einem Prinzen geholt und weit weggebracht werden werden möchte.“ Wie es der Brieffreundin Grace Kelly geschah. Doch „destiny is destiny, there is no way out“. In ihr Schicksal habe sie lange die Mutter, dann der deutlich ältere (und reiche) Ehemann getrieben. Der spätere, ebenfalls um einiges ältere (und reiche) Liebespartner ging nicht viel besser mit ihr um. – Sich emanzipieren aber? Nicht die Spur. Eine mit Schmuck behängte, weibchenhaft lächelnde Diva in Pelz und mit Hundchen, zur Mythe geworden aus Hilflosigkeit. Gegen die allein ihre Arbeitsdiziplin sich stemmte: Sie gebe sich gern intellektuell, „was ich nicht bin. Es war dafür keine Zeit.“ So erinnert manches in ihrem späteren Leben an Romy Schneider, nur dass die das Mädchen gab, als sie noch sehr jung war; die Callas tat’s als reife Frau. Und Schneiders Depressionen gründen in ihrer eigenwillig feministischen Haltung, Callas’ im Glamour der Affirmation. Dennoch haben beide noch immer ähnliche Wirkkraft.
Wie unbeseelt aber „Callas Paris 1958“ ist, zeigt schon die schludrige Machart. Callas’ nach der Hungerkur scharf hervorstechende Nase etwa bewirkt, dass unter Bühnenbeleuchtung meist ein tiefschwarzer Schatten auf dem Amorsbogen steht, der, gleichsam ein fehlplazierter Schönheitsfleck, wie eine riesige Warze dort wirkt. Hier wäre dringend zu retuschieren gewesen, wenn der optische Mythos denn Bestand haben soll. Und grotesk im zweiten Teil des Films, komplett Akt II der „Tosca“, dass Tito Gobbis Scarpia eine bucklige Kunstnase aufgepappt ist, als wär dieser Römer von Uderzo gezeichnet – dessen erster Asterix aber ein Jahr später erst rauskam. War Gobbi da das Vorbild? – Oder das akustische Remastering: Die Stimmen bestens, das Orchester pappiger Matsch. Der damalige Inszenierungs-, nun jà, -“stil“ tut das letzte noch hinzu.
All das gibt es in dem zweiten, also dem ersten Film, dem von 2017, nicht. Besonders in einem Interview, für das Fernsehen gedreht, wirkt die Callas stolz und klar. Da ist sie nicht synthetisch Ikone, sondern wahrhaft schön. So möchten wir sie in Erinnerung behalten und werden’s nun auch tun. Sofern Sie ihn sich ansehen morgen, um 20.15 Uhr daheim. Er wird Sie aber traurig machen. Schon weil er gegen Ende – als Handwerk höchste Kunst – ganz wie der Callas Leben Take für Take zerfällt.
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ANH, 29.11.23
Berlin
Nachtrag, 4. Dezember:
Guter Text von Kesting → heute in der FAZ. (Dank an Franz-Josef Knelangen).
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Bedankt für diesen wunderbar klarsichtigen Artikel. Auch hier der Riss zwischen Person und Werk – was für die Callas um so schwerer wog, da es wohl z w e i Personen gab und die eine sich der Tragik der anderen bewusst war. Für mich, als lebenslangem Callas-Verehrer, ist da auch nie einfach „Belcanto“ gewesen, dann hätte die Tebaldi an erster Stelle gestanden, denn bei Maria Callas war immer so viel S c h m e r z in der Stimme, mit jedem Ton. Für diesen Schmerz habe ich sie geliebt. (Als sie den auf seine Art nicht minder gezeichneten PPP 1970 traf, scheint sie Spaß gehabt zu haben. Wie schön. Er war übrigens am Tag seiner Ermordung 53 Jahre alt.)
Auf Pasoloni wäre ich auch gerne eingegangen, zumal sich Callas nach der >>>> „Medea“-Erfahrung gewünscht hat, wenn es mit der Stimme nicht mehr „funktioniere“ als Schauspielerin weiterleben zu können. Nur war ich auf 6000 Zeichen beschränkt – immerhin ja doch eine ganze Seite.
Auch die Tebaldi habe ich in der Erstfassung erwähnt (die 2000 Zeichen zu lang war, so daß ich selber sie schon mal zusammenstrich; wenn ich in zweidrei Wochen meinen Text hierher übernehmen werde, werde ich die „gefallenen“ Passagen wahrscheinlich wieder einfügen): Das Publikum hat in der Tat Tebaldi ihrer wärmeren Stimme wegen mehr geschätzt als die „Tigerin“ geheißene Callas und sie, Tebaldi, „Taube“ und gar „Engel“ genannt.
Was die z w e i Callas-Personen anbelangt, sagt sie an einer Stelle tatsächlich: „Es gibt die Maria und es gibt die Callas“. Heute abend >>>> >>>> bei 3sat, in „Maria by Callas“, wird es in einem der montierten Interviews zu hören sein.
Auf allein den Balcanto allerdings hat sie sich nach wenigen z.B. Richard-Wagner-Versuchen aus eigenem Entschluß festgelegt; bekanntlich ist das „Deutsche Fach“ nicht unbedingt für die menschliche Stimme geschrieben. Nur wenige halten es sehr lange durch, vor allem die höheren Lagen verschleißen sehr schnell; siehe, was ich >>>> dort über Hildegard Behrens‘ Salome unter Karajan schrieb.
Den Widerstreit ‚Callas versus Tebaldi‘ habe ich ja in meinem Roman „Calvinos Hotel“ für Tebaldi entschieden; gegen meine eigene Vorliebe. https://kulturmaschinen.com/produkt/calvinos-hotel/
Spricht entschieden für den Autor, ob auch fürs „Urteil“, stell ich dahin. (Es wäre schön, hier die entsprechende(n) Stelle(n) lesen zu können. Könnte ich auch selbst abtippen und einstellen, hätte dann aber gern die Seiten, dürfen gern auch die der neueren Ausgabe sein.)
Das ist ja eines der Brüder-Themen, die sich durchs ganze Buch ziehen. Der jüngere Bruder der Hauptfigur liebt die Oper und schwärmt für die Tebaldi. Das wandert als Motiv bis ans Ende der Geschichte in Venedig, mit dem letzten Gespräch der beiden Brüder am Morgen nach dem Brand des Fenice am 29. Januar 1996. (Lang ist’s her.)
„(…) onduliert dem Kitsch auch noch Locken“
Die Formulierung sitzt aber! Hat mich gerade amüsiert. Tatsächlich macht Deine Rezension jeden Callas-Liebhaber auch ein bißchen neugierig auf das verunglückte neue Filmstückwerk. Den von Dir auch mehrfach erwähnten und empfohlenen „Maria by Callas“ sah ich damals sehr bewegt im Kino. Er bewegte nicht nur im Sinne von Rührung, sondern bewegte, schob, das Bild, das ich bislang von ihr „menschlich“ hatte, in eine viel sympathischere Richtung. Der Film wurde ihr so sehr gerecht, dass plötzlich die von mir empfundene Kluft von ihrer mir bislang durch statisches Bildmaterial kolportierter Ausstrahlung und ihrem beseelten, zart empfindenden Gesang, geschlossen wurde. In den vielfältigen Filmfragmenten sah ich endlich auch dieses Zarte in ihrem sonstigen Wesen, ich hätte sie umarmen mögen.
Danke fürs Teilen des Artikels.
Tatsächlich, wenn man zuerst den 1978er Film sieht, kann der neue jetzt eine andere Wirkung entfalten. Mir jedenfalls ging es so. Nach Ansehen n u r des neuen Films war ich so entsetzt, daß ich einen Komplettverriß schreiben wollte. Dann stieß ich auf Tom Volfs früheren Film, auf den ich bei amazon über ein Arthaus-Probe-Abonnement bereits zugreifen konnte, und meine Wahrnehmungen gerieten ins Rutschen. Eine hohe Peinlichkeit blieb dennoch zurück, aber vielleicht ist es „besser“, von Pein zu sprechen, weil die Art, in der Callas die endlosen Ovationen quasi einatmet, ja -saugt, nun auch ihre Not zeigt, von der >>>> hierüber Gogolin spricht.
Die Anpassung an den männerdominieren Frauengeschmack der Zeit und also Callas‘ Unterwerfung hat damals लक्ष्मी, Ende 1999, allein aus Callas‘ Gesang gespürt; dies ist und bleibt frappierend. Welch eine Sensibilität! Deshalb habe ich es im Artikel geschrieben. Weder Eigner und ich haben uns meiner Gefährtin extreme Aggressivität seinerzeit erklären können; ich kann es in der Tat erst heute, nachdem ich „Callas Paris 1958“ gesehen.
Sehr schön. Und Danke für die 2, 3 Stunden gewonnene Lebenszeit – ich verspüre nach der Lektüre keinerlei Ambitionen, mir den Film anzusehen; den auf 3Sat gibt es ja zum Glück in der Mediathek.
Was ich zu kritisieren habe, ist der mangelnde Respekt vor den Toningenieuren, in diesem Falle vor Allan Ramsay: die gut 60 Stunden Callas, die seit 2014 in „Maria Callas – Remastered – The Complete Studio Recordings (1949-1969)“ vorliegen, sind definitiv das Beste, was wir je von ihr zu hören bekommen werden (sofern sich nicht durch die Laune irgendeiner KI etwas Überraschendes ergeben sollte), und die dort enthaltene 1953er Tosca ist überhaupt nicht „matschig“, was das Orchester angeht; hören Sie sich einmal andere Monoaufnahmen aus demselben Zeitraum an.
Es wurde in „Callas Paris 1958“ die 1953er Aufnahme nicht verwendet (die ich – wie insgesamt die „remasterten“ Conplete Studio Recordings von 2014 leider nicht kenne), sondern ganz offenbar der Mitschnitt eben des 1958er Auftritts, Paris 1958 halt; andernfalls wäre obendrein der Filmtitel falsch. Da jedenfalls klingt das Orchester tatsächlich matschig. Auch aus den Dolby-Surround-Boxen des Berliner Zoo-Palasts, wo gestern die Berliner sozusagen Uraufführung stattfand, wird es nicht besser, sondern eher n o c h schlimmer geklungen haben, weil diese Dolbydinger dem Zeitgeschmack entsprechend ausgesprochen baßlastig sind.
(Ich bekam, weil der Verleih vorherige Kritiken gerne als PR haben wollte und für die Aufführung-selbst keine Pressekarten herausgab, zumindest mir, bzw. der Jungen Welt nicht, – also ich bekam einen paßwortgesicherten Link auf den hochgeladenen Film, der sich dann leider aber nicht herunterladen ließ, so daß ich unter Verwendung dieses Paßworts die Site jeden Tag neu öffnen mußte, wenn ich ihn oder bestimmte Passagen erneut sehen wollte. Was ich tatsächlich mehrfach tat. Eine zu mir heruntergeladene Kopie hätte mir alles viel leichter gemacht. Doch dies nur nebenbei.)
Oh, da hätte ich auch selber darauf kommen können: mir fiel nur, als ich „remastered“ gelesen habe, sofort die CD-Box ein. BTW: Falls hier jemand mitliest, der noch ein Weihnachtsgeschenk für ANH sucht, das wäre bestimmt eine kluge Wahl 🙂
Ich weiß übrigens nie, ob ich eingedeutscht „remastert“ schreiben soll, was zumindest für den Plural notwendig wäre („remasterte Aufnahmen“), oder eben „remastered“. Ist micht der Prozeß des „Eindeutschens“ längst abgeschlossen? Fürs gesprochene Wort ist er’s auf jeden Fall.
(Bei der Kunst der Fuge in einer → von Pina Carmirelli, Maria Fülöp, Philipp Naegele und Philippe Muller eingespielten Fassung für Streichquartett aus dem Jahr 1973. Sie lehrte mich, da war ich 18, jede Stimme einzeln hören, gleichzeitig, und sogar in der Quadrupelfuge, über der der große Mann verstorben ist. Sie, diese Aufnahme, hat mich maßgeblich geprägt. Fünfzig Jahre ist diese Schallplatte jetzt alt und knistert nicht einmal.)
[Hier der „ursprüngliche“ Beitrag – da, als ich für die Junge Welt noch geschrieben habe;
zu meinem Bruch mit ihr siehe >>>> dort.]
Online → d o r t.
[Nur das Wort „ruchlos“ hat man mir gestrichen. Wörtlich schrieb ich vom Elend des ruchlosen russischen Angriffs auf die Ukraine.]