Rund eine Woche habe ich Zeit, der Artikel soll in der Weihnachtsausgabe der Jungen Welt erscheinen. 20.000 Zeichen, das ist einiges; drei Zeitungsseiten dürften sie ergeben — völlig angemessen für dieses Große Buch. Doch die Zeit, meine Arbeitsweise objektiv betrachtet, ist recht kurz. Zumal ich nach einer Erfahrung, die ich vorgestern mit Marianne E. Brunners Übersetzung des dennoch wundervollen „Europa. Ein Gesang“ von Rumiz gemacht habe, so gesehen sei den Göttinnen Dank!, nicht umhin kommen werde, auch hier ins italienische Original zu schauen, um zumindest einige Stellen mit der deutschen Fassung zu vergleichen. Bei Rumiz ist das noch gut zu leisten; für d’Arrigo ist’s deutlich komplizierter. Ohne des nach über dreißig Jahren fast schon muttersprachlichen → Parallalies Hilfe werde ich da nicht auskommen. Wie gut, daß er in seinem Amelia derzeit das Original liest. Allerdings ist er kaum bis zur Hälfte „durch“ bisher. Also habe ich mir wie den Rumiz auch d’Arrigos Roman → als ebook gekauft, das in Italien deutlich, extrem deutlich preiswerter als die deutsche Ausgaben ist. Vergleichen Sie, Freundin, einfach mal[1]Beim „Horcynus Orca“ ist der Unterschied besonders eklatant: das deutsche ebook 57,99 €, das italienische 5,99.. Jedenfalls werde ich dem Freund für die jeweiligen Stellen nun immer gleich die Seitenzahlen angeben können, wahrscheinlich vor allem jener kurzen Parts, die ich für die Zeitung zitieren werde. Was ich aber schon jetzt sagen kann, ist, daß Moshe Kahn den „Horcynus Orca“ selbst dort in das eleganteste, geschmeidigste Deutsch sozusagen umgeschrieben hat, das Sie sich nur vorstellen können, wo die Szenerie krude realistisch ist, während Brunner immer wieder die syntaktische Struktur des Italienischen nachstellt, was bisweilen leider [ich schrieb es schon → dort in der Fußnote 1] nervt. Dazu in späteren Beiträgen mehr. Überdies hat sie sogar ein hochpoetisches Vorwort ausgelassen (möglicherweise, weil Rumiz für die deutsche Übersetzung eigens ein zusätzliches Nachwort verfaßt hat, das es im Original nicht gibt). Nun werde ich-selbst dieses Vorwort übersetzen und zu gegebener Zeit in Der Dschungel einstellen; momentan kann ich mir dafür die Zeit leider nicht nehmen.
Generell indes, um auf den Orca zurückzukommen, wird man sich die Frage stellen können und wahrscheinlich müssen, ob ich nicht eigentlich, insofern es mir um die Sprachkunst, also Romandichtung geht, mehr über Moshe Kahns deutsche (Nach)Dichtung erzähle als über d’Arrigos italienischen Roman — ein Problem, das mir als Hürde schon des öfteren untergekommen ist. Aber noch habe ich ja allenfalls eine Ahnung von dem, was und wie ich es erzählen werde. Gedulden Sie sich, bis zum Lichterfest ist’s nicht mehr lang.
[Arbeitswohnung, 10.30 Uhr
Callas in „Tosca“ 1953]
Daß → mein Callastext solchen Zuspruch hatte, hat mich ebenso gefreut wie daß meine kritische Haltung gegenüber dem, wie es Jürgen Kesting nennt, „Unboxing“[2]Vorbild seien Videos von Online Communities, in denen eine Ware wie eine Monstranz vorgeführt werde.. nicht alleine dasteht; nämlich hat er heute in der FAZ → einen famosen Artikel veröffentlicht. Knelangen sei für den Hinweis gedankt; „alleine“ wär es mir entgangen. Doch auf die Freude folgt stetig gleich ein Hieb: Soeben ging die Nachricht ein, daß meine Bewerbung um das Berliner Arbeitsstipendium 2024 für Literatur abgelehnt worden ist — die siebzehnte Ablehnung in Folge. Nun wart ich noch auf die – dort wär’s die fünfundzwanzigste – des Deutschen Literaturfonds. Wobei ja allein schon die Verfahren problematisch sind. Die namentlich eingereichten Texte werden unter den Jurorinnen und Juroren aufgeteilt, die jeweils eine „Vorauswahl“ treffen; es ist also völlig ausgeschlossen, daß auch alle jeden Text sehen. So kann denn schon ein Name, der über den Textauszügen steht, als Ausschluß“kriterium“ genügen, und meiner ist bekanntlich, sanft gesagt, „umstritten“. Aber egal, ich hatte eh eingereicht, um die Sache abzuhaken, egal was kommen werde. Ob ich’s aber erneut tun darf, ist mehr als nur fraglich. Denn allmählich wird es ehrenrührig, verletzt den Stolz, um Förderung zu bitten. Ich bin nicht mehr dreißig, nicht mal mehr fünfzig, sondern werde neunundsechzig, geh auf die Siebzig also zu und schau auf ein umfangreiches Werk zurück, von dem die in die Jury Berufenen-selbst wahrscheinlich nicht mal träumen können[3]Nur dürfte unterdessen allein der Werkgedanke schon nicht mehr gesellschaftsfähig sein.. Es waren Christian Duda, Lin Hierse, Miku Sophie Kühmel, Michaela Maria Müller, Jordan T.A. Wegberg und Stefan Willer, von denen ich mir ausgesprochen sicher bin, daß Michaela Müller meinen Text weder zu Gesicht bekam noch überhaupt wußte, daß ich mich beworben hatte. — Wie ärgerlich, daß mich diese Angelegenheit nun doch so sehr beschäftigt, weil ich erneut viel mehr verletzt als wütend bin. Denn das ist immerhin sicher, daß ein solcher Text wie in Kahns Übersetzung d’Arrigos „Horcynus Orca“ ganz ebenso abgelehnt worden wäre; nur läßt mich dieses Wissen nicht meine Monatsmiete zahlen. So hat mir die Ablehnung denn doch auf den Magen geschlagen, einen zudem, den ich gar nicht mehr habe.
[13.25 Uhr
Callas, Liebestod (Wagner) — geht g a r nicht!]
Was mich aber sehr viel mehr beschäftigt und durchaus auch in Atem hält, sind nach wie vor die Antisemitismus-Debatten und eben die, die auch beim — PEN Berlin-Kongreß, ja gerad dort zu führen sein werden; auf der Jahreshauptversammlung sowieso, am Tag davor. Gestern spätnachmittags deshalb Treffen mit Stephan Wackwitz und Benjamin Stein in dem sehr, sehr schönen, fast ein wenig phantastischen An einem Sonntag im August, Kastanie Ecke Schönhauser. Draußen zu sitzen, empfahl sich freilich nicht; drinnen ist es auch bemerkenswerter. — Rund eine Stunde sprachen wir, dann mußten beide wieder los. So spazierte denn auch ich, mit Gehstock und im Biberpelz, durch den Glitzerwinterabend heim. Vor dem Café noch hatte Stein mich wegen des Mantels gefragt: „Wirst du auf das Ding eigentlich bös angesprochen?“ „Es erstaunt mich selbst, doch: nein. Viel eher bekomm ich Komplimente, vor allem auch von jungen Leuten. Nur einzweimal war jemand aggressiv, mit Blicken aber nur. Ansonsten wüßt ich sehr schnell Antwort.“ Übrigens ist das „Ding“ um die hundertfünfzig Jahre alt. Da soll man’s heut verbrennen? Und Biber, mittlerweile wieder, gelten mancherorts als Plage, nicht nur in Feuerland, und also werden sie gejagt. Ja-was dann mit den Fellen? Entsorgen? Das nenn ich wahrhaft Achtung vor dem Tier.
Jetzt aber an des Orcas Rezension. Erst einmal die Anmerkungen abtippen, die ich für gewöhnlich auf die Vorsatzblätter schreibe, wenn etwas wirklich wichtig ist:
Weitere Anmerkungen und, für etwaiges Zitieren, Unterstreichungen finden sich dann an den Seiten des Romantextes oder über ihm; die müssen ebenfalls, ich sag’s mal buchhaltérisch, „erfaßt“ werden. Da werden gerade beim Orca einige Zehner an Seiten zusammenkommen, so daß alleine, daraus auszuwählen, Stunden kosten wird.
Ihr, Freundin, viel zu langsamer
ANH
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References
↑1 | Beim „Horcynus Orca“ ist der Unterschied besonders eklatant: das deutsche ebook 57,99 €, das italienische 5,99. |
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↑2 | Vorbild seien Videos von Online Communities, in denen eine Ware wie eine Monstranz vorgeführt werde. |
↑3 | Nur dürfte unterdessen allein der Werkgedanke schon nicht mehr gesellschaftsfähig sein. |
Das mit dem Original/Übersetzungsvergleich würde ich lassen, denn erstens bezahlt einem das keiner und zweitens ist Moshe Khan der italiäänische Hans Wollschläger, und wer will sich schon mit dem anlegen :-). Was ich, moi-même, als Leser, natürlich spannend fände, wäre, ihn, MK, selber zu Wort kommen zu lassen, denn wie schreibt Wikipedia: „Kahn lebt im Elsass, in Marokko und zuletzt in Berlin.“
Oh, mich mit ihm „anzulegen“ habe ich nicht im entferntesten vor; ich bin von seiner Übersetzung, die als deutsche selber Dichtung ist, absolut begeistert. Dennoch sollte ich hier und dort vergleichen. Das erheischt schon mein Rezensentenethos. Und was die Bezahlung angeht … – kein für Faustkultur geschriebener und dort erscheinende Text wird nicht honoriert, in Der Dschungel sowieso nicht, und die Junge Welt, nun jà, das reicht kaum für den Tabak. Wenn ich die Frage nach der Honorierung zielleitend fände, hätte ich auch die meisten meiner Bücher nicht geschrieben. Die Grundfrage meiner Einkünfte („Wo komm ich her?“) mußte und muß nahezu immer anders gelöst werden. Bislang bin ich auch recht gut durchgekommen, wobei meine Ansprüche vergleichsweise so niedrig sind wie meine Lebenshaltungskosten.
Peccavi, ich meinte nur, wenn Moshe Khan wirklich in Berlin lebt, würde ich die Energie vielleicht lieber dazu verwenden, ein Gespräch mit ihm über den Orca zu führen – falls er überhaupt nach all den Jahren der Abkapselung etc. pp. Lust dazu verspürt.
Ich verstehe, was Sie meinen, und würde die Bekanntschaft und möglicherweise Gespräche mit ihm vielleicht auch sehr genießen. Aber in dieser Hinsicht bin ich scheu, hätte das Gefühl, mich aufzudrängen; das geht ja besonders mit Bewunderung fies. Nein, lieber Herr Knelangen, so etwas muß sich ergeben; man forciert es nicht, allein schon aus Gründen des Stils. Schon gar nicht möchte ich aus Höflichkeit „vorgelassen“ werden oder weil jemand sich genötigt fühlt. Sowas können Groupies tun, deren Jugend sie entschuldigt.