Die originale Typoskriptfassung ab jetzt
→ dort in Der Dschungel. (Ich möchte meinen Essay auf keinen Fall mehr mit der Jungen Welt verbunden sehen; deshalb: Bitte, wer auf ihn verlinken will, n u r diesen Dschungellink nehmen.)
ANH, 24. Januar 2024
Wer den Text im Zeitungsformat in hoher Auflösung lesen möchte, klicke auf bitte hier drunter das Foto:
Oder kaufe die physische Zeitung, wobei allerdings der menschenverachtende Hohn, mit der die Junge Welt ihre Weihnachtsausgabe aufgemacht hat, unerträglich ist. Ich fand kaum Worte, als ich es am Kiosk vorhin sah:
Untertitelt ist die montierte Karikatur mit „Vor Kriegsspielzeug kann sich Wolodimir Selenskij kaum retten, nur geht es ständig kaputt“. Fällt unter „Meinungsfreiheit“, sicher, mir aber nun doch noch das richtige Wort ein: ekelhaft.
Meinen bestürzten Widerwillen kann auch die schöne Postkarte von 1908 nicht lindern, die für meinen Essay mir → Parallalie geschickt hat:
Woher kommt diese Lust, alles nur noch binär anzusehen? Wenn mir eine Karikatur nicht gefällt, schreibe ich nicht mehr für diese Zeitung. Grautöne sind auf der aktuellen Schwarzweißpalette nicht vorgesehen. Ich erinnere mich noch, dass, als Currentzis mit MusicAeterna ein Konzert in Dortmund gab, zwei seiner Musiker wegen „russischer Propaganda“ nicht spielen durften. Was hatten sie getan: einen voll aufgedrehten Heizkörper fotografiert und „Wir ruinieren Deutschland“ dazu geschrieben und gepostet. Ein Witz, vielleicht ein abgeschmackter, aber wer hier schon nach dem Zensor ruft, der… [Rest bitte al gusto selber ausfüllen]
Ich habe diese Lust nicht, also „alles binär anzusehen“ – sowieso kann, jedenfalls bei mir, von „Lust“ in diesem Zusammenhang nict gesprochen werden. Was die Junge Welt hier „aufgemacht“ hat , ist auch kein „Grauton“, sondern Häme der schlimmsten Sorte. Sie richtet sich sowohl gegen die Ukrainerinnen und Ukrainer, die beim, ich fürchte, vergeblichen Versuch, sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff zu verteidigen, zu Tausenden umkommen, als aber auch gegen die russischen Soldaten, die in diesem Krieg gleich zu Zehntausenden als Kanonenfutter hingeopfert werden. Der Jungen Welt Zeitungsaufmacher ist nichts anderes als eine Sympathie- und Solidaritätsnote mit einem Diktator schlimmster Sorte. Und …
ja, in der Tat, das werde ich nicht mehr können, für diese Zeitung schrieben, und was noch ungedruckt dort liegt, zrückrufen müssen – ansonsten ich zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich korrupt würde, weil ich sehenden Auges als Feigenblatt diente und es zuließe, um mir diese Publikationsmöglichkeit zu bewahren. Es tut mir sehr leid wegen meiner beiden klasse Redakteure Peter Merg und Andreas Hahn, die mir ein öffentlich-literarisch/musikalisches Spielfeld gaben, wie ich lange keines mehr hatte. Doch es ist nicht länger mit meinem Gewissen vereinbar. Ich werde auch indirekt auf keinen Fall für einen politischen Massenmörder schreiben. Besser als das wäre sogar, g a r nichts mehr zu publizieren.
Zu Alban Nikolai Herbsts hinreissendem Essay über Stefano D‘Arrigos Roman Horcynus Orca: Man möchte sofort mit der Lektüre ein erneutes Mal beginnen, so vieles gibt es darin zu entdecken, so vieles, was man womöglich überlesen hat. Wie viele Bücher, Romane bleiben am Ende, von denen man sagen kann, diese haben eine ganz neue Tür in die Sprache aufgestoßen. Mit den Jahren werden es immer weniger. Meist greift man zu den alten zurück. Powys! Gerade Böse Geister von Dostojewski. Aber von den lebenden wenige. Setz vielleicht. Jirgl, der nicht mehr schreibt. Der Horcynus Orca erschien 2015 und hinterließ keinerlei Echo in der Literatur. Es war die letzte verlegerische Großtat von Egon Ammann. Bei unserem Interview war er schon schwer krank. Moshe Kahn ! – nun das alles und auch die Stimme von Stefano d’Arrigo, von dem nur ganz wenige Aufnahmen in dem dahinsiechenden Archiv der RAI erhalten sind, kann man in meiner Sendung hören von 2015. https://soundcloud.com/tomas-fitzel/horcnus-orca
Vielleicht so im Zusammenspiel. Und ich hoffe auch auf Lucia Ronchetti, dass sie darauf musikalisch antwortet, denn der Horcynus ist reinste Oper und ihre Familie war auch mit d‘Arrigo befreundet, hatte sie mir einmal erzählt.
Wenn Sie, lieber Herr Fitzel, mir erlauben auch einmal pro domo zu reden, so gibt es auch noch den „Wolpertinger“ und die „Anderswelt“-Reihe; von beidem nehme ich nach Ihrem – sehr guten – Kommentar an, daß Sie diese Bücher nicht kennen. Es kämen von mir wahrscheinlich auch „Traumschiff“ und „Meere“ hinzu, die beide allerdings formal weniger, sagen wir, „avantgardistisch“ sind. Aber es gibt auch den grandiosen Christopher Ecker – aus meiner Sicht der wahrscheinlich wichtigste Romancier der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, jedenfalls mit „Fahlmann“; auch diesen Roman werden Sie vermutlich nicht kennen. Und vorher war es gewiß Gerd-Peter Eigner mit „Brandig“; auch Helmut Krausser, „UC“ etwa, darf nicht vergessen sein. Abgesehen von ihm, Krausser, sind es aber oft Autoren, die von der Kritik, sehr bewußt übrigens, marginalisiert werden. Auch Arno Schmidt wäre, nebenbei gesagt heute ein vergessener Autor, wär nicht der halbe Betrieb so geil darauf gewesen (und ist es nach wie vor), a u c h etwas von Reemtsmas Geld abzubekommen. Was Setz anbelangt, ist er mir zu harmlos, wenngleich mit allen Wassern gewaschen – darin, in der Lyrik, dem formvollendeten Jan Wagner zu vergleichen. Und Rohner-Radegasts „Simplicità“ scheint genauso wenig noch jemand zu kennen. Unter denen, die mitreden dürfen, ist relativ wenig Lesebildung verbreitet – die meisten richten sich an den – formal – banalen Juli Zehs oder den „Realisten“ der US-Literatur aus; auch von Gaddis‘ großen Arbeiten finden wir ja wenig Reflexe in der deutschen Literatur, ebensowenig von Pynchons. Gehypt wird ein, sozusagen, banalisierter Heinrich Böll.