Salmacis ODER Daß der Hermaphrodit das Ergebnis

einer Vergewaltigung ist[1]Für Hermaphroditinnen gilt dies wohl auch? — von Ovid geradezu brutal erzählt:

“Vicimus et meus est!” exclamat nais et omni

veste procul iacta mediis inmittitur undis,

pugnantemque tenet luctantiaque oscula carpit,

subiectatque manus invitaque pectora tangit,

360et nunc hac iuveni, nunc circumfunditur illac;

denique nitentem contra elabique volentem

inplicat, ut serpens, quam regia sustinet ales

sublimemque rapit: pendens caput illa pedesque

adligat et cauda spatiantes inplicat alas:

365utve solent hederae longos intexere truncos,

utque sub aequoribus deprensum polypus hostem

continet, ex omni dimissis parte flagellis.

Perstat Atlantiades, sperataque gaudia nymphae

denegat. Illa premit, commissaque corpore toto

370sicut inhaerebat, “pugnes licet, inprobe” dixit,

“non tamen effugies. Ita di iubeatis! et istum

nulla dies a me nec me diducat ab isto.“

 

Vota suos habuere deos: nam mixta duorum

corpora iunguntur, faciesque inducitur illis

„Sieg! Er ist mein!“ So ruft die Najad, und jegliche Hülle
schleudert sie fort und wirft sich mitten hinein in die Wellen,
hält den Streitenden fest und raubt im Ringen ihm Küsse,
schiebt ihm unter die Händ und berührt den wehrenden Busen,
und bald schmiegt sie sich hier, bald schmiegt sie sich dort an den Jüngling.
Endlich hält sie, wie sehr er sich sträubt und sucht zu entkommen,
ihn wie die Schlange umstrickt, die der Königsvogel davonträgt
und hoch rafft in die Luft – im Schweben umwickelt ihm jene
Füße und Kopf und umschlingt mit dem Schwanz die gebreiteten Flügel
oder wie Efeu pflegt sich zu ranken an ragenden Stämmen,
oder wie unter der Flut der Polyp den ergriffenen Gegner
hält mit den Fängen gepackt, die er streckt nach jeglicher Seite.
Stand hält Altas‘ Sproß und weigert der Nymphe die Freuden,
die sie ersehnt. Sie dränget und spricht, wie sie dicht an den Jüngling
sich mit dem Leibe gefügt: „Wie sehr, Grausamer, du wehrest,
doch entkommst du mir nicht. So möge, verhängt es, ihr Götter,
jenen von mir kein Tag, kein Tag mich trennen von jenem!“

Götter allsbald willfahren dem Wunsch. Die Körper der beiden
werden vermengt zu einer Gestalt miteinander verbunden.

(Ovid, → Metam. IV, 356 – 372
Deutsch von Reinhart Suchier)

 

Wichtig zu wissen ist, daß „Hermaphrodit“ keine queere Gechlechtsbezeichnung war, sondern der Name des Sohnes (!) von Aphrodite und Hermes (der Venus und Merkurs). Er ward also sowohl nach seiner Mama als auch nach seinem Papa benannt, da stand die Geschlechtsidentität noch gar nicht infrage – wobei „Herme“ auch eine Stele zu Ehren des Hermes bedeutet. Kulturphilosophisch läßt sich aus dieser Geschichte unendlich Vieles phantasieren — wobei der Satz sein Recht verlangt, Geschichten könnten wahr ein, obwohl sie nie geschehen.

(Für Fakten gilt dies nicht:

Fiktionen bleiben Fiktionen und aber erzeugen erst die andere Realität,
nämlich eine, die noch nie war, immer erst wird. Alternative Fakten
hingegen sollen wahr bereits sein. Da liegt der Fehler.

ANH, → Briefe nach Triest, TS-S. 507)

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ANH, 22. Juli 2024

Berlin

 


References

References
1 Für Hermaphroditinnen gilt dies wohl auch?

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