Nunmehr in DIE ZEIT. Zu Hubert Winkels‘ Traumschiffkritik – im Arbeitsjournal des Freitags, dem 31. Dezember 2015.


[Arbeitswohnung, 9.34 Uhr
Chaya Czernowin, Maim (2001-2007)]

Maim (מים) heißt Wasser.
>>>> Czernowin wurde 1957 geboren.
Musik ist als Kunst international, es gibt keine Sprachbarrieren.
Es beschäftigt mich d i e s e s immer wieder: so an mein Land gebunden zu sein, nicht hinausbrechen zu können, keine Ausweichmöglichkeiten in Kulturen zu haben, denen das Phantastische nicht fremd, sondern ein Teil ihrer Identität ist. Unterm Strich leide ich… na ja, „leide“… nach wie vor unter Hitlers ästhetischen Folgen.
Wasser, מים.
Übers Wasser habe nun auch ich zu schreiben, ein Gedicht zu Bildern >>>> Alfred Ehrhardts, vorzutragen am 17. Januar. Übers Meer habe ich bereits geschrieben, mehrfach, aber Wasser ist, eigenwilligerweise, mehr, ist Element-„an-sich“; anders als es bedarf das Meer keiner Abstraktion. Hierüber ist nachzudenken.
Es ist wieder kalt bei mir. Ob ich wohl wieder heize?
Immerhin konnte ich gestern, als ich zum Konzerthaus ging, den Zobelmantel tragen. Über >>>> Janowskis Beethoven IX schreib ich heute auch noch. Und ich habe den Sport wieder aufgenommen, vorgestern, gestern, je 8,5 km gelaufen, Muskelkater jetzt in Oberschenkeln und Waden. Muskelkater ist ein witziges Schmerzen; man weiß, es fehlt einem nix, eher im Gegenteil, und trotzdem tut‘s weh. Insofern ist Muskelkater sogar eine Art Lustschmerz: körpergewordene Komik. Deshalb muß ich nun dauernd, wenn ich mich bewege, kichern.
(„Julia und ich können uns nicht entscheiden, ob…“ schreibt mir bei gmx Sophia, die ich so wenig kenne wie jene. Aber sie hätten mein Profil entdeckt und lernten mich gerne kennen – wozu ich auf „ihre“ Site „gehen“ solle, wo mir, wenn ich der Bitte folge, gleich eingangs die Frage gestellt wird, ob ich jeden Tag eine andere „knallen“ möge. Davon hält mich außer, daß ich da gar kein Profil habe, vor allem ab, sofort geduzt zu werden. Ich meine, ich geh doch nicht distanzlos in ein Lotterbett! Die beiden Mädels schätzen mich völlig falsch ein. Auch zu Silvester nämlich knalle ich beim Vögeln nicht, sondern, vielleicht, seufze und, schon öfter, stöhne oder schreie auch schon mal. – Sowieso beschäftigt mich etwas ganz anderes:)
Allewelt sagt mir, auch enge Freund tun es, daß ich auf Kritiken meiner Bücher nicht reagieren dürfe. Ich verstehe auch, warum und halte die Gründe teils für sehr nachvollziehbar, oft für klug, für aber in anderer Hinsicht falsch: Es kommt drauf an, was wir im Auge haben, ob wir von möglichen Folgen ausgehen oder ob uns die Auseinandersetzung-selbst interessiert, also die kunstästhetische Position, die auf ein Buch oder Bild oder Musikstück projeziert wird.
Wenn ich nun abermals reagiere, hat dies allerdings mit etwas anderem zu tun. Ich habe es immer wieder getan; es nunmehr nicht zu tun, könnte als Mißachtung verstanden werden. Zu jedem Kleinscheiß gibt der seinen Senf hinzu, aber wenn es um etwas wirklich geht, schweigt er… Diesen sei‘s auch nur erahnten Vorwurf mag ich nicht auf mir sitzen lassen.

„Ich nehme an, Sie wissen um Hubert Winkels‘ TRAUMSCHIFF-Rezension in der ZEIT von heute“, schrieb mir gestern, über Whatsup, mein Leser WB. „Habe mich sehr gefreut.“
Nein, ich wußte von dergleichen nichts. War sofort nervös, klar. Aber wird die Zeitung nicht erst donnerstags ausgeliefert? „Nein“, schrieb abermals WB; wegen des Feiertages sei sie früher erschienen und müsse bereits an den Kiosken liegen.
So einen, auf dem Weg zum Konzerthaus, gibt es. Weshalb ich nicht das Rad, sondern die UBahn nahm, in der ich dann las…

Es ist >>>> eine gute, teils sogar sehr gute Kritik. Ich habe nicht geglaubt, daß so eine – sogar, überhaupt eine – in der ZEIT erscheinen würde, habe von Anfang an gesagt: dort auf keinen Fall.
Und habe mich geirrt. Sich zu irren, zumal so, kann etwas Erleichterndes haben, etwas sogar Befreiendes. Die Löwin, leicht, triumphierte: „Ich habe es Ihnen gesagt.“ Ich konnte nur das Knie beugen und tat es ziemlich gerne – nach Winkels‘ letztem Satz erst recht und betont tief.
Zu dem „futuristischen Tamtam“ und den „Überteibungen“, für die ich angeblich oft gerügt worden sei, möchte ich mich eigentlich nicht weiter äußern, nur in Tamtamsachen bemerken, daß unterdessen gerade die >>>>Anders>>>>welt>>>>trilogie auf mich selbst erschreckende Weise sehr viel mehr reale/realistische Wahrheit bekommen hat als die meisten anderen deutschsprachigen Romane der letztvergangenen anderthalb Jahrzehnte. Doch sei‘s drum. Ich finde für Traumschiff etwas anderes zu diskutieren nötig, nämlich Winkels‘ an sich korrekten Einwand, jemand wie der Erzähler des Romans, habe er derart weitgehend abgebaut, könne die Wahrnehmungen und Gedanken gar nicht mehr haben, die ich ihm zuschreibe; es sei also zuviel von mir selbst in Lanmeisters Notaten. „Das abnehmende Bewußtsein (…) ist eben doch nicht, wie suggeriert wird, identisch mit dem Bewußtsein des Erzählers. Wäre es das, hätten wir es am Ende wahrscheinlich mit einem Beckettmonolog der Tautologien und Redundanzen zu tun.“ Immerhin schreibt Winkels selbst das Wörtchen „wahrscheinlich“ hin. Er setzt aber etwas voraus, das im Traumschiff gar nicht angestrebt ist, nämlich den Realismus, und wendet also die Realismusdoktrin auf das Buch an, von der es sich von Anfang an abgewendet hat – wie quasi alle Bücher taten, die ich schrieb. Bei Thomas Pynchon gibt es das Problem nicht, auch nicht bei Nabokov; jener darf unter der Wüste UBoote fahren lassen, dieser Zukunfts- und Vergangenheitsasseçoirs zusammenerzählen (Ada or Ador); deutsche Autoren hingegen sollen sich an die Realität halten oder an das, was allgemein für sie gehalten wird. Einmal abgesehen hiervon weiß aber niemand von uns, was in einem schweigenden, möglicherweise dementen Menschen vor sich geht; wir alle ahnen nur. Der Realismus verläßt sich auf solche Annahmen, „schließt“ etwa aus Gehirnstrommessungen usw. Doch es bleiben Annahmen, denen nur Wahrscheinlichkeiten ihren Erkenntniswert geben.
Genau aber nun konnte ich Herrn Lanmeister so sehen lassen, wie er es tut, aufgrund einer anderen Wahrscheinlichkeit. Daß sie „unwahrscheinlicher“ als die andere ist, sei dahingestellt. Daß jemand Steine weint wie bei Marianne Fritz, ist auch nicht sehr wahrscheinlich, indes ein ungeheures poetisches Bild. Bei mir ist Lanmeisters zunehmende Sensibilität bei gleichzeitig zunehmendem physischen Verfall genau der Humus, in den ich meine Utopie pflanzen konnte, eine, die Winkels so auch bezeichnet. Ebenso versteht er genau, weshalb dieser Roman „manieriert“ ist; der Grund ist aber der gleiche wie bei allen anderen meiner Bücher, außerdem aber einer der Stilform: Genau sie will weg vom (immer scheinbaren) Dokumentarischen. das uns aufs Brett des Determinismus nagelt. Mag sein, daß die folgende Bemerkung abermals als „Auftrumpfen“ empfunden wird, aber: Ich habe darüber sehr vieles geschrieben, oft dafür argumentiert. Anworten oder Gegenargumente bekam ich selten – zuletzt von Ralf Schnell, der mir vorwarf, daß ich mich auf die Realismusdebatte überhaupt einließe. Womit er de facto recht hatte, ohne daß ich dem aber ausweichen könnte.
Die Crux ist, daß ein realistisches Konzept für einen Roman wie Traumschiff funktionieren gar nicht kann. Dies ist das eine.
Das andere ist, daß es zwischen Leser:inne:n und Autor:inn:en Vereinbarungen gibt, etwas für wahr halten zu wollen, damit ein Kunstwerk funktionieren kann. Nicht anders im (revolutionären) >>>> Figaro: Cherubino „versteckt“ sich hinterm Sessel, wo ihn aber´jeder sehen kann. Wir sind indes bereit a n z u n e h m e n, es sehe ihn niemand – und schon funktioniert die Oper. Es geht eben n i c h t um „Realismus“. Und selbstverständlich ist Lanmeister eine Kunstfigur – wie jede andere typologisch große Figur der Literatur. Als solche, als Kunstfigur, kann sie sich über das pragmatisch/faktische wahrscheinlichBescheidwissen erheben, das uns unreißbar festzuzurren scheint. Und indem s i e sich aus den vorgeblichen Faktizitäten löst, lösen wir als Leser:innen uns mit. Das, seit je, war wesentlich an Kunst, war und ist ihre Utopie insgesamt und nicht nur die eine, spezielle, eines erzählten Sterbens. Vielmehr noch ist es wahrscheinlich genau auch für die „Schönheit“ der Grund, die Winkels ganz offensichtlich beim Lesen empfand. Wie wunderbar aber, daß er von ihr auch schreibt! Nun kann ich beruhigt ins 2016er treten.
Ja, ich bin dankbar.

Und werde nun den nächsten Brotteigling kneten. Diesen Silvesterabend werde ich mit mir allein und für mich sein.

3 thoughts on “Nunmehr in DIE ZEIT. Zu Hubert Winkels‘ Traumschiffkritik – im Arbeitsjournal des Freitags, dem 31. Dezember 2015.

  1. Rezension in der ZEIT Eine sehr gute, diesmal notwendige Reaktion auf die Rezension in der ZEIT, hilfreich auch zum besseren Verständnis des Romanendes. Danke.

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