Willensfreiheit & Moral.

Die Beurteilung all unserer Haltungen und Handlungen – also auch Rechtsfähigkeit – hängt davon ab, ob wir glauben, daß es einen freien Willen gebe, oder ob wir das nicht glauben, sondern glauben, jegliches Bewußtsein sei letztlich das Erzeugnis von Chemie. D a ß beides Glaube ist, ist ausgemacht: für die Richtigkeit des letzteren gibt es allerdings Belege, und zwar zuhauf, für den ersteren hingegen k e i n e, geschweige einen Beweis. Darüber hinaus gibt es Indizien, die es nahelegen, ganz unabhängig vom individuellen Bewußtsein und von individueller Handlungsfähigkeit wirkten objektive Strukturen: Muster, die sich wieder und wieder in uns und durch uns (und durch Welt insgesamt) erneuern, sei es, sich weiterentwickelnd, sei es unverändert; die Kunst faßt sie als Allegorie, was eine projezierte Form-in-sich ist, in der sich das Allgemeine am Beispiel des Individuellen geradezu durchführt. Insofern ist alle Kunst immer auch (spekulative) Erkenntnistheorie und doch zugleich, wenn man – wie ich – an den freien Willen n i c h t glaubt – stets naturwissenschaftlich rückgebunden.
Jedenfalls bleibt der sog. freie Wille eine kulturgeschichtliche B e h a u p t u n g, der jeder heilende Ansatz widerspricht, der von notwendigen und hinreichenden Gründen ausgeht. (Die es für die Vorstellung einer freien Wahl nicht geben kann; denn schon ein GRUND schränkt die Wahlfreiheit ein, zumal, wenn er derart mächtig ist, daß man sich seinethalben für etwas entscheidet. Wie aber entschiede man sonst? Aus Daffke g e g e n den mächtigen Grund? Oder gegen ihn aus Stolz? Woher kommt dann dieser? Und Verantwortung? Wer setzt sie? Und w e n n man sie setzt: weshalb? Niemand kommt aus diesem Zirkel heraus.)

5 thoughts on “Willensfreiheit & Moral.

  1. Groundhog Day Mich erinnert das an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Der Held des Films erhält die Möglichkeit einen bestimmten Tag immer wieder zu erleben, gleichgültig was er an diesem Tag auch unternimmt, gelangt er immer am Ende zum Anfang des Tages, um sechs Uhr in der Früh, wenn sein Wecker klingelt, zurück.

    Aber wir können doch wählen? Ich denke da an die Geschichte des Oskar Schindler zur Zeit der Nazidiktatur. Er hatte die Wahl, Menschen zu retten, auch wenn er damit sein eigenes Leben auf´s Spiel setzte. In allen möglichen „Groundhog-Day“-Permutationen der Handlungen Schindlers, gibt es sicher solche, in denen er eben keine Menschen rettet, sondern opportun ist. Das hätte jedoch eine andere, weit zurückliegende Abänderung der Lebensgeschichte des Oskar Schindler zur Folge gehabt.
    Muss man nicht auch unterscheiden zwischen den kleinen Wahlfreiheiten, ob ich z.B. mir die Nase mit der linken, oder der rechten Hand abwische, und den großen Entscheidungen, die ein Leben verändern können? Und liegt der Schlüssel für das alles nicht darin verborgen, das es sich hierbei um zeitliche Phänomene handelt? Die Beurteilung einer Handlung b e v o r, w ä h r e n d und n a c h d e m sie ausgeübt wurde. Es ist doch das Paradox der Zeit, das uns Willensfreiheit vorgaukelt oder nicht? Die vielen „hättest du nicht…wärst du vielleicht…“ usw. zeugen doch schon in der Sprache von diesem Dilemma.

    1. Ich denke, Herr Stromberg, daß gar kein Unterschied zwischen den Handlungen besteht. Also wenn man sie sich auf ihre Gründe – ihr Begründetsein – anschaut. Tatsächlich ist es wohl egal, ob es sich um das Schnäuzen der Nase mit rechts oder links handelt oder ob um die ‚Entscheidung‘, in den Widerstand zu gehen. Man muß für eine solche Entscheidung die Vorgaben haben, die sie uns treffen oder nicht treffen lassen. Das G e f ü h l allerdings sagt: I c h habe entschieden. Indes besitzt dieses Gefühl hat aber keine Wahrheitsfunktionalität in Hinsicht auf tatsächliche Gründe. Immer ist eine Gehirnaktion vorhergegangen, die letztlich chemischer Natur ist.
      Mir ist bewußt, welch einen moralischen Skandal das bedeutet – gerade auch in Hinblick auf Menschen wie Herrn Schindler. Und man kann ihn nicht hoch genug ehren – um vielleicht eben dadurch n e u e Gründe wirksam werden zu lassen, und zwar unabhängig davon, ob er für seine mutige Haltung etwas kann oder nicht.
      Das zeitlich Phänomenale, das Sie ansprechen, scheint mir dabei lediglich eine Frage der Perspektive zu sein, – eines Verständnisses von Handlungen, das sich oft erst aus der Distanz ergibt (und vielleicht auch nur ergeben k a n n – so wie jemand eine Insel nur dann überschaut, hat er sich im Boot von ihr entfernt).

    2. Weltbild Ihre Replik scheint schlüssig zu sein. Ich bastle mir seit geraumer Zeit ein Weltbild zusammen, welches diesen chemischen Aspekt des Lebens beinhaltet. Ich hege, aus einem eigenartigen Gefühl heraus, seit längerem den Verdacht, dass einiges „unüberschaubare“ den Menschen die Sicht auf die Dinge, wie sie sind, verwehrt. Zeit, räumliche Ausdehnung, selbstorganisierende Materie, Resonanztheorie, Konstruktivismus, Chaostheorie etc. sind einige Bausteine in diesem Puzzle. Ebenso die sprachliche Unfähigkeit, bestimmte Phänomene richtig auszudrücken (erklären Sie einmal Ihrem Sohn, was ZEIT ist, dann wissen Sie, was ich meine!). Damit beziehe ich mich auf die Schriften Wittgensteins und hier besonders auf den Tractatus, in dem es etwa so heisst: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Womit gemeint ist, das es eine Grenze des Denkens gibt, ab der die geschriebenen/gesprochenen Worte nur noch Nonsens ergeben. Vielleicht ist es ja die fantastische Literatur, die diese Barrieren aufhebt. Irgendeinen Sinn hinter allem wird es sicher geben, vielleicht heisst und bedeutet hinter dieser Barriere das Wort „Sinn“ nicht so, wie wir es verstehen.
      In der Rechtsphilosophie geht man ja offensichtlich von einem freien Willen aus, sonst gäbe es die Abstufungen bei der Bestrafung ja nicht: hat jemand etwas gegen seinen Willen getan, oder wurde er gezwungen, geschah es triebhaft, oder sogar vorsätzlich und hinterhältig… Eine weites Feld. Interessant also, das hier auf diesem Planeten von einem freien Willen gesprochen wird, mit ihm hantiert wird, obwohl es ihn offensichtlich nicht gibt. An anderer Stelle hier in den Dschungeln ging ich auf die Thesen Richard Dawkins ein. In seinem evolutionstheoretischen Buch „Das egoistische Gen“ beschreibt er den Kampf der Gene um den Fortbestand, was uns in unserem Konstrukt und unseren Äußerungen zu Fortbewegungsmitteln der Gene in der Zeit werden läßt. Das Gen will unsterblich sein, koste es, was es wolle. Nur – warum?

    3. die medizin vor allem reduziert den menschen auf eine chemische formel. sehr viel mehr hochachtung habe ich vor den meteorologen mit ihren rechenmodellen, die immerhin zugeben, sie könnten das wetter nicht länger als ein paar tage vorhersehen. medizin dagegen ist hochmut vor dem fall des patienten. weil die unbekannten werte nicht in rechnung gestellt werden. deshalb ist der freie wille ein wetter und wir wissen nicht weshalb es so wettert, wie es wettert. dennoch hängt es nicht an fäden, die von anderer hand dirigiert werden. die hände sind durchaus die unseren, deren bewegungen von den umständen abhängen, in denen wir gelernt haben, sie zu bewegen. das wetter läßt sich nicht vorhersagen. ebensowenig unsere gesundheit. trotzdem können auch wir selbst einer der tausend faktoren sein, die dieses unser wetter beeinflussen. das ist zu relativieren.

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