B.L.’s 3.12. – … und icke mittendrin

16.23
Lust zu lesen und tatsächlich über 100 Seiten geschmökert in einem Roman über das Jahr 1954 (natürlich wegen meinem Geburtsjahr), wobei als Mittelpunkt der Geschichte mit den Facetten der damaligen Zeitgeschichte (Triest, Jugoslawien, Cary Grant, Lucky Luciano, Neapel, McCarthy, Gründung des KGB usw. – alles in die verschiedenen Erzählstränge gepackt und miteinander verflochten in den einzelnen Personen und am Schluß ein Handschlag mit der nachfolgenden Geschichte, zwischen einem 30jährigen Castro und einem der Bologneser in Mexico City) die „Bar Aurora“ in roten Bologna fungierte: Treffpunkt ehemaliger Partisanen und Wählern der KPI. So wäre auch der Bogen zum Gestern geschlagen, nicht zuletzt mit dem gelben Rücken des Buches, wodurch wieder einmal die nicht ausgeharrte gelbe U-Bahn dennoch vorbeifährt.

Die Orte überlappen sich in der Tat. Zwangsweise. Weil wir ja dennoch immer bei uns bleiben. Ob zu Hause oder woanders. Insofern sollte Reisen uns lehren zu verstehen, was es heißt, bei sich zu bleiben. Reisen darf keine Flucht sein. Einen solchen Zweck erfüllt Reisen mitnichten, weil meistens damit eine Flucht vor dem Ich gemeint ist.
Stimmt, ich war ja auch auf Reisen. Bzw., ich reiste nach B. Dann reiste ich zwei Wochen nicht mehr. Dann reiste ich wieder zurück zu meiner Wohnstatt. Das war schon alles. Was das Reisen an sich betrifft. Sowieso unangenehm dieses frühe Aufstehen. Beim Fliegen noch die Sorge wegen etwaiger Nikotinentzugserscheinungen mit entsprechendem Zigarettenkonsum VOR dem Flug. Aber es ging da recht glimpflich, es waren ja nur 105 Minuten Flug plus der entsprechenden Wartezeiten.
Also in B. da war ich dann. Ich war dort und nicht hier. So wie ich hier und nicht dort bin. Die meiste Zeit verbrachte ich mit Freund M.: morgens in der Küche, später in seinem Arbeitszimmer, am Nachmittag oft kilometerlange Spaziergänge durch die Stadt (das merkten zuerst meine Oberschenkel, dann meine Waden, bevor ich dann den richtigen Schritt drin hatte). „Überschattet“ wurde unser Zusammensein durch die fielen Taschentücher, die wir in all der Zeit verbrauchten – nicht um unsere Tränen zu trocknen, sondern die Nasen vom Rotz unserer Erkältung freizumachen. Am Ende plagt ihn, den Freund gar das Frösteln einer mutmaßlichen Grippe. Mich hat dieses Symptom noch nicht heimgesucht. Wunderbarerweise sammelt sich jetzt auch weniger Schleim in meiner Nase, obwohl es innen drin noch schmerzlich verkrustet ist. Lag’s an der Luft in B.? Am gehäuften Kontakt mit den Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln? Wo ich doch hier fern von Allem lebe?
Erst seit er wieder B. wohnt, besuche ich Freund M., den ich seit Ende der 70er Jahre kenne, auf diese Weise. Und ich war überrascht, wie gut das klappt, zwei Wochen sich auf der Pelle zu hängen (also nun nicht mit Haut zu übersetzen: da ist nichts Homoerotisches, da ist einfach Freundschaft, etwas Wertvolles, und ich bin immer wieder überrascht, wenn mir das bewußt wird). Mit allen Macken, die ein Jeder so hat. Aber man kennt sie ja.
Und das war ja eigentlich auch gar nicht Bruno Lampe, der da den Freund besuchte. Bruno Lampe wurde, als Paul Reichenbach anreiste, als dann Bruno Lampe von mir erzählte, und Paul Reichenbach von einem anderen als Paul Reichenbach. Insofern waren wir dann Bruno Lampe und Paul Reichenbach. Die sich dann unter noch ganz anderen Identitäten mit ANH und noch anderen trafen. Und wieder andere Brunos und Pauls lektorierten dann die „Bamberger Elegien“.
Ich weiß, der Mond hat immer dasselbe Gesicht. Dennoch gibt es Tausende von Mondmetaphern, die ihn als das beschreiben, was dem Metaphernden grad am besten paßt. Und sei es, man nennte ihn einen „Käse“.
Paul. Sein Sächseln. Ich mußte manchmal ein bißchen aufpassen, um diesen mir ungewohnten Redefluß verstehen zu können, besonders bei den Kontraktionen von Worten, wie sie jeder Dialekt und jede Sprache kennt. Ja, wir redeten über unsere jeweiligen Ehesituationen. Gaben uns gegenseitig Hintergründe preis. Und fanden zu vielen Themen einen „basso continuo“ (wie im Grunde auch in ähnlichen Gesprächen mit dem schon zweimal geschiedenen Freund (in ähnlichen Situationen mag dann auch das Wort „Weiber!“ ganz en passant durchaus und mit entsprechender Gestik fallen (was ja gar nicht mal abfällig ist: es heißt ja bloß, daß Mann mit ihnen zuweilen auch seine liebe Not hat, und daß sie – um das zu sagen – einen eminenten Platz einnehmen in eines Mannes Leben, wenn nicht sogar DEN Platz überhaupt, den die Katze als heißen Brei umschleicht))). (Andererseits dann auch ein gemeinsames Abendessen irgendwo in einer Kneipe mit der zweiten „Ex“ des Freundes, die zufällig in B. war).
Paul, der sich extra zwei Tage frei nimmt! Danke! Auch für seine Geschichten, die über die Ehe hinausgehen. Für mich ist er auch ein Stück Zeitgeschichte. Auch darum ist er aktuell. Vielleicht auch deshalb, weil uns beide etwas verbindet, was man vielleicht gar nicht vermuten sollte: Das Sich-Einleben in Realitäten, die uns nicht anheimgegeben wurden, die wir uns aneignen mußten, wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen. Insofern sind wir beide „Expatriierte“, wobei sich das wieder zu ANH hinbiegt, dem „Expatriierten“ auf Namensebene. Überraschend auch das. Und ich will unter diesem Wort verstehen: „Vaterlose“. (Treffpunkt Waterloo?). [Das hinter dem „Danke!“ ist ein nachträglicher Einschub, der mich ungebremst zwar im Denken, aber doch gebremst im Schreiben bis zu Celan leitet.]
B. war das. Auch der immer herzliche ANH, eingesponnen ins Netz und eingespannt in sein Sein. Hinzu kommen noch ein paar andere Begegnungen, auch sie ein Neues, ein Altes, ein Wieder. Dasselbe gilt für die Stadt.
Der Mond scheint zum Fenstern herein. Als Unterschrift.

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