Arbeitsjournal. Montag, der 4. Dezember 2006.

5.42 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Nachts dann wieder, nach der Familie, mit dem Profi in der Bar gesessen und diskutiert, was ein falsches Wort ist, da wir ziemlich einer Meinung waren: nämlich >>>> hierüber. Er fügte allerdings die juristische Seite hinzu. „Sei dir einfach immer im klaren darüber, daß Jura ein Herrschaftsintrument ist. Ich bin sehr froh, kein Richter geworden zu sein.“ „Letztlich bleibt es bei der Struktur des Naturzusammenhangs“, fügte ich bei, „es sieht nach wie vor der Stärkere. Oder d a s Stärkere.“ „Ja, nur daß sich gewaltig verschoben hat, was denn ein Stärkeres i s t.“ Das ist dann nicht unbedingt mehr die Art, sondern kann durchaus auch eine Kultur sein. Sitzt aber die über eine andere zu Gericht, geht es genauso wenig um Gerechtigkeit wie in der Auseinandersetzung von Tieren; sondern es geht darum, daß die stärkere Kultur siegt. Führt man sich das sehr deutlich vor Augen, dann ist die brutale Gewalttätigkeit etwa terroristischer Gruppen (des Islamismus, der PLO, der ETA usw.) überhaupt nichts mehr, das einen noch wundern kann. Denn deren Interessen k ö n n e n gar nicht von den Gegnern mitvertreten werden. Osama bin Laden(oder wer immer hinter diesem Label tatsächlich steht) hat Recht, den fundamentalen Islam gefährdet zu sehen. Und zwar unerachtet, ob er wirklich den ‚reinen Glauben’ retten will oder ganz andere Intentionen hat.
Es wurde halb ein Uhr nachts, bis ich daheim war; dann sah ich mir noch den zweiten Species-Film an. Kurz nach zwei lag ich im Bett, dreieinhalb Stunden später bin ich jetzt aufgestanden. Um >>>> weiterzulesen, bevor ich den Jungen zur Schule bringe. Danach wird weitergelesen (BUENOS AIRES), mittags treffe ich Delf Schmidt, den Lektor, zum Essen und zeige ihm vielleicht die Fahnen zu den Liebesgedichten sowie die Bamberger Elegien, von denen er noch Konkretes gar nichts weiß. Die Geliebte hat jetzt die Liebesgedichte gelesen, mag sie und wendet gegen die Publikation nichts ein. Das war mir sehr wichtig.
Nachmittags wieder Familie, abends wieder einmal Eisenhauer, und morgen geht’s in aller Frühe nach Bamberg zurück.
Auch über meinen Gedanken objektiver Geschichts- und Naturmuster sprachen der Profi und ich; meine Einlassung zur Allegorie schien ihm völlig schlüssig zu sein. Auch, daß es der Kunst sei, jene in dieser – also der allegorischen – Form zu gestalten, Allegorie-s e l b s t zu gestalten. Dies hingegen in einem Rechts-System zu tun, würde bedeuten, handlungsunfähig zu werden. „Wer immer richtet, – bewußt sein m u ß man sich darüber. Darin liegt die Moral: Man muß S c h u l d nehmen. Genau das ist es, was die Menschen nicht aushalten. Sie wollen moralisch-gut dastehen. Deshalb schätzen sie es nicht, sondern bekämpfen es sogar, wenn jemand zu genau hinsieht.“

[Freiheit & Glaube.]

8.11 Uhr:
Wie auffällig, daß mich die Lektüre der beiden ersten ANDERSWELT-Bücher fast unmerklich auf moralische Grundfragen stößt. Die waren mir, erinner ich mich, als ich an diesen Romanen schrieb, nicht bewußt; sondern d a war ich auf erkenntnistheoretische Fragestellungen focussiert. Nun drehen die sich s o. (Selbstverständlich, das >>>> Buchverbot liegt dazwischen; so etwas verändert die Perspektive eines Autors enorm; und dennoch). Also: Wer hat recht? Die Vertreterin der ‚Mütter’, Thetis Jörmungrand?; die Amazonen?; die Schänderpriester und die ‚Heiligen Frauen’?, oder Ungefugger und sein Neues Christliches Weltreich?, oder gar die holomorfen Rebellen um Miriam Tranteau? – Jeder aus seiner Perspektive und jeder mit sehr guten, seine Art, bzw. Kultur schützenden Gründen; jeder aber g e g e n die anderen; es gibt in THETIS so wenig eine Möglichkeit friedlicher Koexistenz wie zwischen streng (fundamental) rechtgläubigen Islami und der profanierten und profanierenden Technologie des demokratischen Kapitalismus, der ja, da seine Produkte keine Ländergrenzen kennen, jegliches Andere materiell unterläuft. Also kommt es geradezu notwendigerweise zu einem Krieg, den letztlich – und sei es nach Jahrzehnten – der Schwächere verlieren wird. Genau das stellt THETIS dar und übernimmt – sich je mit jeder Seite identifizierend – die verschiedenen Positionen. Unter anderem d a s ist es, was so viel Verärgerung über das Buch ausgelöst hat; hier spricht kein Autor, der für seine Kultur und ihre moralischen Paradigmen einsteht, sondern sie als eine unter vielen anderen ansieht – aber als solchen, die sich nicht in das hier obwaltende Menschenbild integrieren lassen. BUENOS AIRES nimmt diese Bewegung zwar auf, ist aber fast durchweg auf die Zentalstadt und d e r e n Antinomien konzentriert (etwa: ‚reale’ Personen gegen holomorfe). Mich interessierte damals und bis in ARGO hinein die Frage, was w a h r sei; jetzt, während der Lektüre, frage ich mich, was r i c h t i g ist – das ist ein fundamentaler Unterschied. Für die G e s c h i c h t e – im Sinn der Roman-Narration – ist das gleichgültig; >>>> tiefe Geschichten können auf allen Seiten der Streitenden geschehen, und so geschehen sie auch: alle Parteien kennen Lust und Leid, Sorge und Überhebung, Angst und Mut – die extentiellen Grunddynamiken, die jede gute Geschichte ausmachen. Damit ist aber über Recht gar nichts gesagt und also nichts über die Frage, wie einer gerecht leben könne, und zwar gerecht außerhalb des eigenen kulturellen Moralsystems: die brennendste Frage in der Globalisierung. Dazu kommen, das geht speziell das Sexuelle an, die Antinomien nahezu sämtlicher Moralsysteme zu den Erfordernissen und Determinanten der naturhaften Evolution (also deren teils primitiv-brutale Unterdrückung, teils jene durch Internalisierung von Normen {Tabus}). Ich werde nicht ablassen, hier nachzufragen.

22.15 Uhr:
Insgesamt ein Scheißtag. Nach dem guten Gespräch mit Delf Schmidt finde ich im Briefkasten der Arbeitswohnung einen Brief des Hessischen Rundfunks. O wie gut, denke ich, endlich kommt das Geld. Für die lange Pettersson-Arbeit. Ich öffne. Knapp 1200 Euro, für eine 80-Minuten Sendung, über einen Monat intensiver Arbeit plus einer knappen Woche Regiearbeit plus meinem eigenen Sprecherpart. Dürftig genug. Und dann denk ich, ich seh nicht recht: auf das falsche Konto überwiesen, auf eines, dessen Dispo gekündigt wurde, bei dem ich Monat für Monat 100 Euro abstottere… Sofort beim hr angerufen. „Das tut uns leid“, heißt es, „dieses Konto war bei uns im Computer.“ „Aber hören Sie mal! Das Konto ist dicht, da sitzen fremde Hände drauf, und ich brauche das Geld! Ich habe seit über anderthalb Jahren ein ganz anderes Konto!“ „Dieses Konto war in unserem Computer.“ „Ich bekomme von jeder Rundfunkanstalt sonst einen Lizenzvertrag, den ich vor Überweisung des Honorars unterschreibe und zurückschicke. Und da steht dann immer auch das Konto drin, das man entsprechend stornieren und statt dessen das neue Konto nennen kann.“ „Das ist bei uns anders.“ (Später erfahre ich über eine Freundin, daß der hr solche Lizenzverträge bei Summen unter 2000 Euro oder sowas nicht mehr herausgibt, aus Kostengründen). Man muß sich das vorstellen: seit über zehn Jahren hatte ich beim hr nichts mehr gemacht. Und jetzt, ohne Nachfrage, nehmen die dieses gesperrte, belastete Konto! Ich: „Rufen Sie das Geld zurück.“ „Das geht nicht.“ „Wieso geht das nicht?“ „Wir überweisen d a u e r n d auf falsche Konten, und nie bekommen wir das Geld zurück. Das müssen S i e machen.“ „Ich hab dazu erstens keine Rechtsbefugnis, und zweitens, selbst wenn ich sie hätte, die Bank behielte das Geld als Schuldsumme ein. Sie aber k ö n n e n zurückrufen.“ „Nein, das können wir nicht.“ „Weshalb nicht?“ „Aus juristischen Gründen.“ „Was sind das für Gründe?“ „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann Ihnen nur sagen: aus juristischen Gründen.“ Endlich erreiche ich, spätabends, meinen Anwalt. „Das ist völliger Kokolores, was dir diese Leute erzählt haben. Selbstverständlich können sie. Und sollten das tun. Und zwar schnell.“
Ich habe eine – für meine Verhältnisse und mir auch gar nicht richtig nachvollziehbar – riesige Umsatzsteuernachzahlungsverpflichtung – dafür und für die Miete der Kinderwohnung hatte ich das Geld vorgesehen. Nun steh ich mal wieder, zumal kurz vor Weihnachten, im Dauerregen. Wieviel unnötiger Zweitaufwand! Und möglicherweise für gar kein Ergebnis. „Na“, sagte ich, als ich vorhin bei der Geliebten saß und erzählte, „es ist grauslich, aber auch da werd ich’s hindurchschaffen.“
Und ich kann morgen nun doch noch nicht nach Bamberg fahren. Bernd Leukert sitzt hier in einem Berliner Studio und hört mit dem Toningenieur das Material für Caspar Johannes Walters und mein Hörstück „Weltwechsel“ an. „Es wäre gut, wenn du hier wärst. Irgend etwas fehlt, das ergibt noch nichts, was wir hier haben. Sei da mit deinen Ideen.“ Es geht um eine CD, die der hr vor etwa fünf Jahren produzieren wollte, für die ihm das Geld ausging und die jetzt offenbar d o c h produziert werden soll…. also: morgen und wahrscheinlich noch den Mittwoch über werd ich ab mittags hier in Berlin in dem Studio verbringen… Die Villa wird darüber nicht glücklich sein.
Mit BUENOS AIRES ingesamt kaum weitergekommen. Aber Eisenhauer eben noch auf ein Bier getroffen. Wieder über sexuellen Mißbrauch junger Mädchen gesprochen und wie er sich psychodynamisch weiter- und immer weiter in sämtliche Lebenshaltungen einschreibt und jeden mitreißt, hinunterreißt, der nah ist. Man könnte die Wände hoch! Man müßte. Öffentlich machen. Immer mehr öffentlich machen. Aber wer das tut, wird bestraft. Denn es soll ja alles – alles – wollen die Opfer – im Verborgenen bleiben. Es soll nicht sein und nicht gewesen sein, was war. Verdrängung als Lebensstrategie.

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